LSG Niedersachsen-Bremen

Merkliste
Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.11.2007 - L 6 AS 664/07 ER - asyl.net: M12353
https://www.asyl.net/rsdb/M12353
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz auf Leistungen nach SGB II für Unionsbürgerin, die sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhält; offengelassen, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht vereinbar ist.

 

Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Unionsbürger, Arbeitssuche, Diskriminierungsverbot, Vorwegnahme der Hauptsache, Folgenabwägung
Normen: SGG § 86 Abs. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; SGB II § 284 Abs. 1; SGB II § 8 Abs. 2; EG Art. 12
Auszüge:

Vorläufiger Rechtsschutz auf Leistungen nach SGB II für Unionsbürgerin, die sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhält; offengelassen, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht vereinbar ist.

(Leitsatz der Redaktion)

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragsgegnerin ist im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Antragstellerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen.

Zwar steht ihrem Anspruch § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bzw. seit dem 28. August 2007 § 7 Abs 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BGBl I vom 27. August 2007) entgegen. Nach dieser Vorschrift sind von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Antragstellerin zu 1.) kann ihr Aufenthaltsrecht nicht aus einer anderen Regelung des § 2 Abs 1 bis Abs 5 Freizügigkeitsgesetz/EU als der des § 2 Abs 2 Nr 1 2. Alternative Freizügigkeitsgesetz/EU ableiten.

Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bezweifelt, ob der Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern mit dem EU-Recht, insbesondere mit der nach Art 12 EGV verbotenen Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit vereinbar ist (vgl dazu LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25. April 2007 - L 19 B 116/07 AS ER; Brühl/Schoch in: LPK-SGB 112. Aufl § 7 Rdnrn 19 und 27; Valgolio in: Hauck/Noftz SGB II § 7 Rdnr 30; Winkel, Soziale Sicherheit 2006, S 103, 104; Schreiber, ZESAR 2006, S 423, 430; a.A. LSG NRW Beschluss vom 15. Juni 2007 L 20 B 59/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 2. August 2007 - L 9 AS 447/07 ER; SG Reutlingen Beschluss vom 3. August 2007 - S 2 AS 2936107 ER).

Da dem Senat eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 12. Mai 2005 1 BvR 569/05 Info also 2005, 166) anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Der Senat sieht sich anders als der 9. Senat des erkennenden Gerichts (aaO) nicht gehindert, bei seiner Entscheidung im Eilverfahren die Möglichkeit einer Unvereinbarkeit des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II mit dem EU-Recht in seine Erwägungen einzubeziehen. Ein solches Verbot kann der Senat der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen. Vielmehr kann danach ein Fachgericht, das eine für die Hauptsacheentscheidung erhebliche Regelung für verfassungswidrig erachtet, vorläufigen Rechtsschutz gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (BVerfG Beschluss vom 19. Juli 1996 1 BvL 39/95). Durch die Entscheidung des Senats wird indes die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen, weil die Leistungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen der Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren stehen.

Da die Antragstellerinnen abgesehen von dem Bezug von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von monatlich 168,-- € nicht über finanzielle Mittel verfügen, ist ihrem Begehren hinsichtlich der Regelleistungen für beide Antragstellerinnen und der Leistungen für Mehrbedarf für werdende Mütter abzüglich 168,-- € zu entsprechen.