LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2008 - L 20 B 85/07 AY ER - asyl.net: M12370
https://www.asyl.net/rsdb/M12370
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 48-Monats-Frist, Rechtsmissbrauch, Aufenthaltsdauer, Integration, freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Zu Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller die begehrten Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im tenorierten Zeitraum auszuzahlen.

Der Anordnungsanspruch folgt aus § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Wie das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt hat, reichen zur Auffüllung der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch Zeiten des Bezuges von Leistungen nach § 2 AsylbLG aus, so dass der Antragsteller die 48-Monats-Frist im streitbefangenen Zeitraum bereits deutlich überschritten hat. Zwar spricht § 2 AsylbLG hinsichtlich der Erfüllung der o.g. Frist ausdrücklich nur von "Leistungen nach § 3 AsylbLG". Der Senat hat jedoch bereits entschieden, dass bei der Prüfung des § 2 Abs. 1 AsylbLG dem Sinn und Zweck der leistungsrechtlichen Privilegierung in dieser Vorschrift entscheidende Bedeutung zukommt. Hiernach soll bei Leistungsberechtigten, bei denen aufgrund ihres längeren Aufenthalts eine stärkere Angleichung an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist, Leistungen in entsprechender Höhe wie nach dem SGB XII erbracht werden (BT-Drucks. 12/5008, S. 15; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 2 Rn. 1). Der Gesetzgeber geht damit bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Regelfall davon aus, dass nach Ablauf von 48 Monaten des Bezuges niedrigerer Leistungen nach § 3 AsylbLG ein Wirtschaften unterhalb des sog. soziokulturellen Existenzminimus (welches etwa mit Leistungen nach dem SGB XII bzw. mit Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt wird) nicht mehr zumutbar erscheint (vgl. auch Beschluss des Senates vom 06.08.2007, L 20 B 50/07 AY ER). Gerade das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums gehören, gebietet es, höhere Leistungen zu gewähren, wenn der Ausländer über einen mindestens 48-monatigen Zeitraum seinen Lebensunterhalt mit Leistungen nach § 3 AsylbLG oder jedenfalls aus Mitteln nicht oberhalb des soziokkulturellen Existenzminimums bestritten hat. Entsprechend hat der Senat entschieden, dass auch Leistungen nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zur Erfüllung der o.g. Frist des § 2 AsylbLG ausreichend waren (Beschluss des Senates vom 27.04.2006, L 20 B 10/06 AY ER). Dann aber kann für Leistungen in entsprechender Höhe nach § 2 AsylbLG nichts anderes gelten.

Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Widerspruchsbescheid vom 27.09.2007 von einer Einzelfallentscheidung des Landessozialgerichts NRW spricht, übersieht sie, dass bereits mehrere Beschlüsse des erkennenden Senates ergangen sind, in denen zur gesetzgeberischen Intention bei Schaffung des § 2 AsylbLG und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen Stellung genommen worden ist. Insbesondere ist dabei auch mehrfach bekräftigt worden, dass Sozialleistungen in der Höhe der BSHG- bzw. SGB XII-Leistungen ausreichen können, um die Wartefrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erfüllen (LSG NRW, Beschlüsse des erkennenden Senates vom 26.04.2006, L 20 B 4/07 AY ER, vom 06.08.2007, L 20 B 50/07 AY ER, vom 27.04.2006, L 20 B 10/06 AY ER, ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007, L 7 AY 14/06 ER, SG Aachen, Urteil v. 19.06.2007, S 20 AY 4/07).

Soweit die Antragsgegerin im Eilverfahren erstmals geltend macht, der Antragsteller habe die Aufenthaltsdauer rechtsmißbräuchlich selbst verursacht i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG und könne aus diesem Grunde keine höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG beanspruchen, so kann dem nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Sachlage nicht ohne weiteres gefolgt werden. Hierzu fehlt es an ausreichenden Feststellungen, die zweckmäßigerweise bereits im Verwaltungsverfahren hätten getroffen werden sollen und hier ersichtlich unterblieben sind.

Soweit die Antragsgegnerin erstmals im Schriftsatz vom 29.10.2007 darauf abhebt, das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Antragstellers sei bereits in der Unterlassung zu sehen, auszureisen, obwohl ihm dies möglich unzumutbar gewesen sei, und sich dabei auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 08.02.2007 beruft (B 9b AY 1/06 und B 9b AY 2/06), so übersieht sie, dass das Bundessozialgericht in den zitierten Urteilen auch Ausführungen zu einer etwaigen Unzumutbarkeit der Ausreise aufgrund solcher Gesichtspunkte unterbreitet hat, die weniger gewichtig sind als die Gefahr für Freiheit, Leib und Leben aufgrund zielstaatsbezogener Umstände. Insbesondere hat das Bundessozialgericht hervorgehoben, dass als Bleibegrund, der der Bewertung des Verhaltens des Ausländers als rechtsmissbräuchlich entgegenstehen könnte, auch die besondere Situation von Ausländern angesehen werden kann, denen sich die Ausreisemöglichkeit erst nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland eröffnet hat und die sich in die deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert haben.