VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Urteil vom 27.12.2007 - B 3 K 07.30049 - asyl.net: M12373
https://www.asyl.net/rsdb/M12373
Leitsatz:
Schlagwörter: Nepal, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung, Suizidgefahr, REFUGIO, fachärztliche Stellungnahme, eigene Sachkunde, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, neues Beweismittel
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; VwVfG § 51 Abs. 2; VwVfG § 51 Abs. 3
Auszüge:

Der (erneute) Asylantrag des Klägers vom 16. Januar 2007 stellt einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG dar, nachdem der erste Asylantrag des Klägers vom 29. Mai 2002 nach dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Dezember 2005 - Nr. 8 ZB 06.30078 - durch den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. November 2002 unanfechtbar abgelehnt worden war.

Im vorliegenden Fall meint die Beklagte, der Vortrag, der Kläger leide an einer PTBS, sei nicht neu; damit meint die Beklagte wohl auch, es handele sich bei dem im Folgeverfahren vorgelegten Gutachten von REFUGIO München vom 13. Oktober 2006 um kein - qualitativ-inhaltlich -"neues" Beweismittel i.S. des § 51 Abs. 1 Nr.2 VwVfG.

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts entsprach das Attest des Arztes den (Mindest-)Anforderungen, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (a.a.O.) an Atteste zum Vorliegen einer PTBS stellt, vor allem auch im Hinblick auf die Äußerung des Klägers, dass er bei einem Facharzt in Behandlung ist. Da das Vorliegen einer PTBS im Verfahren Nr. B 4 K 02.31051 nicht durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüft wurde (was nach dem BVerwG, a.a.O., eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht, § 86 Abs. 1 VwGO, darstellt), stellt das in dem nunmehrigen Verfahren vorgelegte Gutachten von REFUGIO München vom 13. Oktober 2006 ein (inhaltlich-qualitativ) neues Beweismittel im Sinn des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar, da der Beweis des Vorliegens einer PTBS beim Kläger ohne dessen Verschulden im Erstverfahren nicht erbracht werden konnte (vgl. auch § 51 Abs. 2 VwVfG sowie Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 71 RdNr. 129). Da der Kläger - auch durch den Antrag auf Zulassung der Berufung - damit rechnen konnte, dass das Vorliegen einer PTBS durch Sachverständigenbeweis geklärt wird, was nach dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 2006 nicht mehr der Fall war, ist auch die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gewahrt: Wie sich aus dem Gutachten von REFUGIO vom 13. Oktober 2006 ergibt, fand dort die erste Exploration bereits am 17. Mai 2006, also innerhalb der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG statt.

Die mit Folgeantrag vom 16. Januar 2007 vorgelegte ärztlich-psychotherapeutische Stellungnahme von REFUGIO München vom 13. Oktober 2006 i.V.m. dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Gutachten von REFUGIO vom 22. August 2007 stellt nach Überzeugung des Gerichts ein geeignetes Beweismittel, soweit es das krankheitsbedingte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, dar (vgl. auch Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 71 RdNr. 133.1.). Wenn das Bundesamt in seinem Bescheid vom 5. April 2007 in der - nach Vorlage des Ergänzungsgutachtens vom 22. August 2007 - erfolgten Klageerwiderung vom 2. Oktober 2007 meint, dass die Gutachten vom 13. Oktober 2006 bzw. 22. August 2007 "nicht geeignet sind, den Beweis zu erbringen, dass vorliegend eine PTBS vorliegt, aufgrund der behaupteten traumatischen Erlebnisse im Heimatland oder gar eine Retraumatisierungsgefahr, die sich alsbald nach Rückkehr ins Heimatland einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung konkretisiert", so ist hierzu mit dem Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Juni 2006, InfAuslR 2006, 485, festzustellen, dass es "für medizinische (psychotraumatologische und psychotherapeutische) Fachfragen (wie insbesondere genaue Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung sowie Therapiemöglichkeiten einschließlich Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen je nach Behandlung) keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde" des Bundesamtes (wie auch der Gerichte) gibt. Einen Beweisantrag auf Einholung eines - weiteren - Sachverständigengutachtens hat jedoch das Bundesamt nicht gestellt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll (insoweit Abweichung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: "kann") von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Wie das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - DÖV 1999, 118) entscheidet, kann die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen.

Das Gutachten von REFUGIO wurde nach ausführlichen Explorationen und körperlichen Untersuchungen erstellt; es wurden dabei auch die Anhörungen und Entscheidungen im Erstverfahren vor dem Bundesamt sowie im gerichtlichen Verfahren Nr. B 4 K 02.31051 verwertet. Das Gericht hat keinerlei Anlass, an der Richtigkeit der von REFUGIO erstellten Prognose der gesundheitlichen Auswirkungen einer Rückkehr des Klägers in sein Heimatland zu zweifeln. Vielmehr ist das Gericht von der fachlichen Sachkunde des Gutachters überzeugt.

Nach alledem war die Beklagte zu verpflichten, im Falle des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (nach dem Urteil des BVerwG vom 20.10.2004 sind die Verwaltungsgerichte gehalten, die Sache soweit wie möglich spruchreif zu machen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).