OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 21.12.2007 - 3 Bf 101/07.Z - asyl.net: M12380
https://www.asyl.net/rsdb/M12380
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Generalprävention, Daueraufenthaltsrichtlinie, langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, Antrag, Privatleben, Verhältnismäßigkeit, Sperrwirkung, Wirkungen der Ausweisung
Normen: VwGO 124 Abs. 2 Nr. 1; RL 2004/109/EG Art. 12; EMRK Art. 8; AufenthG § 11 Abs. 1
Auszüge:

Das in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geregelte antragsgebundene Befristungsverfahren ist als solches mit Art. 8 EMRK vereinbar.

Die vom Kläger zur Begründung des vorliegenden Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vorgetragenen Gründe führen nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags.

Der Kläger macht weiter geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass die Ausweisung allein auf generalpräventive Gründe gestützt werden könne.

b) Der Kläger trägt weiter vor, es sei zweifelhaft, ob der europarechtliche Ausweisungsschutz eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung zulasse. Die Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht lasse eher das Gegenteil vermuten. Das Gleiche gelte im Hinblick auf Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG vom 25. November 2003; danach dürften die Mitgliedstaaten einen langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen nur ausweisen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger sich nach dem am 23. Januar 2006 erfolgtem Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie unmittelbar auf deren Art. 12 berufen könne, sei bei gemeinschaftsrechtlichen Bezügen sicher anzunehmen, dass die Ausweisung im Falle einer mehr als zehnjährigen Aufenthaltsverfestigung nicht allein auf generalpräventive Gründe gestützt werden könne.

Der Kläger fällt auch nicht in den Schutzbereich von Art. 12 der seinerseits erwähnten Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Der damit verbundene Ausweisungsschutz (mittlerweile umgesetzt durch § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a i.V.m. §§ 9 a ff. AufenthG i. d. F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.8.2007, BGBl. I, 1970) setzt voraus, dass der betreffende Drittstaatsangehörige (zum Zeitpunkt der Ausweisung) bereits die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt hat. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall (gewesen); er besitzt keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9 a AufenthG.

c) Der Kläger macht geltend, seine nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts allein generalpräventiv begründete, unbefristete Ausweisung verstoße wegen Unverhältnismäßigkeit gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK.

aa) Zum einen gibt es, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger als sog. faktischer Inländer einzuordnen und seine Ausweisung deswegen unverhältnismäßig wäre.

bb) Zum anderen trifft es nicht zu, dass seine (generalpräventiv begründete) Ausweisung unverhältnismäßig wäre, weil die Beklagte sie nicht von sich aus befristet hat.

Nach dem von der Beklagten anzuwendenden nationalen Aufenthaltsrecht hatte sie (anders als in Fällen des Verlustes eines gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts, vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU) die Wirkungen der Ausweisung (Einreise- und Aufenthaltsverbot) nicht sogleich und von Amts wegen zu befristen. Vielmehr obliegt es nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dem Ausländer, die Befristung dieser Wirkungen zu beantragen, woraufhin die Ausländerbehörde in der Regel die Befristung zu verfügen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Regelung mit Art. 8 EMRK unvereinbar wäre. Der Ausländer hat es selbst in der Hand, durch einen Befristungsantrag eine entsprechende Entscheidung zu erwirken. Ist er, wie hier der Kläger, mit einer im Bundesgebiet lebenden deutschen Staatsangehörigen verheiratet, wird nur in sehr extremen (hier nicht ersichtlichen) Fällen eine Ausnahme vom Regelfall der Befristung anzunehmen und die Befristung zu versagen sein. Der betroffene Ausländer kann den Befristungsantrag auch schon vor seiner Ausreise stellen, ohne dass die Ausländerbehörde die Entscheidung hierüber auf einen Zeitpunkt verschieben dürfte, in dem sie den Zweck der Ausweisungssperrwirkung für erfüllt hält (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 26.3.1992, InfAuslR 1992, 359, 362). Alldem entspricht es, dass sowohl die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid (S. 4) als auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil (UA S. 12 unten) zum Ausdruck gebracht haben, dass die Wirkungen der Ausweisung keineswegs unbefristet bleiben müssen.

Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich ebenfalls nicht, dass aus Art. 8 EMRK ein Gebot für die nationalen Ausländerbehörden abzuleiten wäre, die Wirkungen von Ausweisungen mit deren Erlass von Amts wegen zu befristen. Der EGMR hat zwar in einigen Fällen angenommen, dass die Verhängung einer unbefristeten Ausweisung gegenüber einem sogenannten Einwanderer der zweiten Generation unverhältnismäßig sein könne (vgl. die Entscheidungen in den Sachen: K , Urt. v. 27.10.2005, InfAuslR 2006, 3 f.; R , Urt. v. 22.4.2004, InfAuslR 2004, 374, 375; Y., Urt. v. 17.4.2003, NJW 2004, 2147, 2149). Abgesehen davon, dass die Einstufung des Klägers als "Einwanderer der zweiten Generation" angesichts seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet im Alter von sechs Monaten und seiner erst im Alter von 16 Jahren erfolgten Rückkehr nach Deutschland nicht auf der Hand liegt, hat jedenfalls der EGMR das deutsche System der Trennung zwischen der Ausweisung und deren Befristung auf Antrag nicht vom Ansatz her missbilligt. Soweit er wegen der unbefristeten Wirkung der Ausweisung seitens deutscher Ausländerbehörden eine Verletzung von Art. 8 EMRK angenommen hat, handelte es sich um Fälle, in denen es trotz Antrags des betroffenen Ausländers aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht zu einer Befristungsentscheidung gekommen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.10.2005, a.a.O., Rn. 65, insoweit veröffentlicht in juris) bzw. in denen eine zunächst von der Ausgangsbehörde erteilte Befristung seitens der Widerspruchsbehörde wieder aufgehoben worden war (vgl. EGMR, Urt. v. 17.4.2003, a. a. O., 2147, 2149, Rn. 47). Der EGMR hat in diesen Fällen somit seine Annahme, dass Art. 8 EMRK durch die unbefristete Ausweisung verletzt worden sei, nicht mit dem Erfordernis eines Befristungsantrags begründet, sondern damit, dass es im Ergebnis nicht zu einer Befristung gekommen war.

Dem entspricht eine kürzlich ergangene Entscheidung des EGMR (K., Urt. v. 28.6.2007, Auszüge in InfAuslR 2007, 325, vollständige und wörtliche Fassung in juris).

cc) Soweit schließlich das Vorbringen des Klägers so zu verstehen sein sollte, dass er zusätzlich geltend machen will, seine allein generalpräventiv begründete Ausweisung sei bereits vom Ansatz her nicht mit Art. 8 Abs. 2 EMRK zu vereinbaren (vgl. den Schriftsatz vom 4.6.2007, S. 7), wird auch damit die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht hinreichend in Frage gestellt, um ernstliche Zweifel daran begründen zu können. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage beschäftigt und in seinem Urteil ausgeführt, den verallgemeinerungsfähigen Grundsätzen in der Rechtsprechung des EGMR lasse sich nicht entnehmen, dass allein generalpräventiv begründete Ausweisungen, die einen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellten, grundsätzlich unzulässig seien (UA S. 13 f.). Damit setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht auseinander; dementsprechend vermag sie auch unter diesem Gesichtspunkt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darzulegen.