VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.01.2008 - 7 G 3911/07.A - asyl.net: M12387
https://www.asyl.net/rsdb/M12387
Leitsatz:

Kein Stopp der Abschiebung nach Griechenland im Dublin-Verfahren; zum vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Überstellung im Rahmen der Dublin II-Verordnung.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Verfassungsmäßigkeit, Verfahrensrichtlinie, Griechenland (A), Asylverfahren, Zusicherung, Dublin II-VO,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; AsylVfG § 27a
Auszüge:

Der Antrag ist als Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs.1 Satz 1 VwGO als Sicherungsanordnung zulässig.

Es kann nunmehr nach Ergehen der Abschiebungsordnung dahin gestellt bleiben, ob dieser Antrag zum Zeitpunkt seines Eingangs bei Gericht zulässig war. Zu diesem Zeitpunkt war bereits das Verfahren zur Abschiebung des Antragstellers in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat eingeleitet worden. Dieses Verfahren ist ein zwischenstaatliches Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 und dient der Abklärung, ob die erforderlichen Tatsachen gegeben sind, nach denen sich die Bestimmung der Zuständigkeit des Mitgliedstaates der Europäischen Union, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrag zuständig ist, richtet. Spätestens nach Ergehen des Bescheids ist jedenfalls das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers gegeben.

Der Antrag ist auch zulässig, obgleich § 34 a Abs. 2 AsylVfG bestimmt, dass die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der auf dem Wege des § 27 a AsylVfG – wie hier – ermittelt worden ist, nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.

Entscheidend für den verfassungskonformen Ausschluss des Eilrechtsschutzes mit Wirkung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist, ob das angerufene Gericht davon ausgehen kann, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 AsylVfG vorliegen. Dies ist nach der vorliegend zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Drittstaatenregelung) dann aber nicht der Fall, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen Schutz zu gewähren hat, weil dessen Gewährung durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und somit nicht zu den Regelfällen des § 34 a AsylVfG gehören, für die Eilrechtsschutz nicht in Frage kommt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 - BVerfGE 94, 49, 99). Unter Orientierung an dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht lässt sich formulieren: Ein Regelfall dürfte dann nicht vorliegen, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im Drittstaat gegeben ist. Ausgeschlossen ist der Ausländer lediglich mit der Behauptung, in seinem Fall werde der Drittstaat – entgegen seiner sonstigen Praxis – Schutz verweigern.

Insoweit hat sich die verfassungskonforme Auslegung des § 34 a AsylVfG auch nach In Kraft treten der Änderung des Asylverfahrensgesetzes durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien des Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I, S.1970) nicht geändert. Der Gesetzgeber hat zwar die Prüfungskompetenz des Bundesamtes durch die Neufassung des § 27 a AsylVfG erweitert und dem Eilrechtsschutz, der zuvor gegen auf §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 35 Satz 2 AsylVfG (1992) gestützte Anordnungen zulässig war, seine Grundlage entzogen (vgl dazu: HessVGH, Beschluss vom 31.08.2006 9 UE 1464/06.A, dokumentiert in juris, VG Frankfurt a.M, Beschluss vom 01.08.2002 - 5 G 2082/02.A(3) -, AuAS 2002, S. 201). Dies enthebt das Gericht jedoch nicht seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob ein Ausnahmefall i. S. d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht beispielhaft Sonderfälle gebildet, deren gemeinsames Kennzeichen ist, dass bei ihrem Vorliegen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat unzulässig wäre (vgl, BVerfG, a.a.O., S. 99). Hierzu gehören etwa die drohende Todesstrafe im Drittstaat, sonstige Ausnahmesituationen, aber auch, dass der Drittstaat – etwa aus politischer Rücksichtsnahme gegenüber dem Herkunftsstaat – sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte. Das erkennende Gericht hält diese Sonderfälle – erstens – für nicht abschließend und – zweitens – grundsätzlich auch unter der Bedingung eines verfahrensrechtlich abgesicherten europäischen Asylrechts auf die vorliegende Sachlage übertragbar.

Nach dieser Maßgabe lässt sich vorliegend die der einstweiligen Anordnung zugrundeliegende Abwägung dahin fassen, dass deren Erlass dann notwendig ist, wenn dem Antragsteller nach der Abschiebung nach Griechenland dort insbesondere ein die europäischen Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 S.13) verletzendes Verfahren droht. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass dies einen schweren Nachteil für den Antragsteller bedeuten würde, der zudem irreversibel sein dürfte. Die in diesem Fall feststellbare Verletzung europäischen Rechts dürfte als weiterer, von dem Bundesverfassungsgericht zur Zeit des Ergehens seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigungsfähiger Sonderfall hinzukommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind an die Darlegung eines Sonderfalles allerdings strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, a.a.O., S. 100).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes stellt sich der Antrag als unbegründet dar.

Zunächst kann festgestellt werden, dass nach den Art. 5–9 und Art. 15 der Verordnung (EG) Nr.343/2003 vom 18.2.2003 (Dublin II) der Antragsteller keinen daraus ableitbaren Anspruch auf die Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland hat. Mit dem Bescheid vom 14.12.2007 hat die Antragsgegnerin insoweit diese Normen in nicht zu beanstandender Weise ausgelegt, Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Nach dem derzeitigen Sachstand kann der Antragsteller auch nicht glaubhaft darlegen, dass zu befürchten ist, ihm drohe mit der Abschiebung nach Griechenland ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren in diesem für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat.

Zur Berücksichtigung dieses Vorbringens stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf die Zusicherung der Antragsgegnerin, durch rechtzeitige Information und Mitteilung an die griechische Partnerbehörde für die ordnungsgemäße Registratur des Asylantrages in Griechenland Sorge zu tragen und durch die deutsche Botschaft in Athen das Verfahren des Antragstellers weiter beobachten zu lassen. Durch diese Vorkehrungen dürften wesentliche, die Einhaltung der bereits erwähnten Verfahrensrichtlinie (RL 2005/85/EG) in Frage stellende Einwände, die sich aus der bisherigen Umsetzung europäischen Asylrechts in Griechenland ergeben, entfallen. Damit hat die Antragsgegnerin Vorkehrungen zum Schutz des Antragstellers getroffen, die abgesehen von ihrer grundsätzlichen Eignung auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen möglicherweise gegebenen Sonderfall einer unzulässigen Abschiebung in einen Drittstaat zulässig machen können (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 100).

Hiergegen sprechen die insbesondere durch das Auskunftsschreiben von UNHCR an das Gericht vom 10.01.2008 dargelegten formellen und materiellen Defizite des Asylverfahrens, welches der Antragsteller in Griechenland zu erwarten hat, nicht entscheidend.

Zunächst ist festzustellen, dass der Antragsteller Schutz vor Verfolgung in seinem Heimatstaat nach der Genfer Flüchtlingskonvention begehrt, welche nach Art. 9 und 10 der sogenannten Qualifikationrichtlinie (RL 2004/83/EG, ABl. 2004, L 304/12) konkretisiert worden ist und auch auf das Asylverfahren in Griechenland Anwendung findet. Diese Richtlinie ist – neben den anderen in dieser Entscheidung aufgeführten – in Griechenland noch nicht in innerstattliches Recht überführt worden, die Umsetzung soll bis Mitte des Jahres 2008 abgeschlossen sein. Wegen des Ablaufs der Umsetzungsfrist entfaltet sie aber nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes eine Direktwirkung und ist somit unmittelbar anzuwenden (grundlegend: EuGH C188/89, Foster, Slg 1990, I 3313/3348). Ohnehin ist Griechenland Konventionsstaat, sodass Art. 1 A Nr. 2 Genfer Flüchtlingskonvention davon unabhängig Anwendung findet.

Soweit ersichtlich betreffen hiergegen die formellen und materiellen Einwände zu der Durchführung des Asylverfahrens in Griechenland die Berücksichtigung des subsidiären Schutzes gemäß Art. 15–17 der Qualifikationsrichtlinie.

Hierauf deuten die in dem Auskunftsschreiben von UNHCR angeführten Entscheidungen britischer, niederländischer und belgischer Gerichte hin, welche die Abschiebung nach der Verordnung Dublin II von irakischen und afghanischen Staatsbürgern nach Griechenland für unzulässig halten. In der Studie von UNHCR zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie, November 2007 (Asylum in the European Union. A study of the implementation of the Qualification Directive) wird im Einzelnen ausgeführt, dass die Umsetzung des subsidiären Schutzes in Griechenland nicht garantiert ist. Schließlich wendet sich auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12.07.2007 im Kern gegen die Rückführung von irakischen Staatsangehörigen nach Griechenland.

Hieraus ist ersichtlich, dass der Antragsteller als iranischer Staatsangehöriger, der zudem Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sucht, von etwaigen Mängeln bei der Umsetzung des subsidiären Schutzes nicht betroffen wäre.

Hinsichtlich der sogenannten "Abbruchpraxis" haben die griechischen Behörden zugesichert, den entsprechenden Präsidialerlass nicht mehr anzuwenden. Zudem ist nach Auskunft von UNHCR bisher eine Inhaftierung von Personen, die im Dublin-II-Verfahren nach Griechenland abgeschoben wurden, nicht bekannt geworden. Ein drohender Verstoß gegen Art. 18 der Verfahrensrichtlinie (RL 2005/85/EG) kann somit im Falle einer Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland nicht angenommen werden.

Soweit in der vorliegenden Auskunft von UNHCR auf die niedrige Anerkennungsquote von asylsuchenden iranischen Staatsangehörigen in Griechenland als Beleg für signifikante Mängel der griechischen Anerkennungspraxis anführt, reicht dies mangels weiterer Angaben nicht aus, um für den Antragsteller eine konkrete Prognose zu stellen, dass sein dem Asylantrag zugrundeliegende Verfolgungsschicksal nicht gewürdigt wird.

Es lässt sich zur Überzeugung des Gerichts – auch in der Zusammenschau des Vorgetragenen – nicht feststellen, dass vorliegend die Anforderungen an einer unzulässigen Abschiebung des Antragstellers erfüllt sind. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller in Griechenland ein menschenrechtswidriges und den Mindestanforderungen der vorgenannten Richtlinien nicht genügendes Asylverfahren drohen würde, sind nicht glaubhaft gemacht worden. Durch die Zusicherungen der Antragsgegnerin ist zudem sichergestellt, dass der Antragsteller Zugang zu einem Asylverfahren erhält.