OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.01.2008 - 18 B 1945/07 - asyl.net: M12393
https://www.asyl.net/rsdb/M12393
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Fiktionswirkung, rechtmäßiger Aufenthalt, Schengener Durchführungsübereinkommen, Aufenthaltsdauer, Auslandsaufenthalt
Normen: AufenthG § 81 Abs. 3; SDÜ Art. 21 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung fällt bezüglich der in der angefochtenen Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Juli 2007 enthaltenen Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und der darauf bezogenen Abschiebungsandrohung zugunsten der Antragstellerin aus, weil der Ausgang des von ihr diesbezüglich betriebenen Widerspruchsverfahrens offen ist und dem Interesse der Antragstellerin an ihrem vorläufigen Verbleib in Deutschland keine erkennbaren nennenswerten öffentlichen Interessen entgegen stehen.

Überwiegende Gründe sprechen für die Zulässigkeit des nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrags. Sie hängt davon ab, ob durch die angefochtene Ordnungsverfügung eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG beendet wurde. Hier kommt aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen nur eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 VwGO in Betracht, deren Eintritt davon abhängt, ob die Antragstellerin sich zur Zeit der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis, die nach ihren Angaben mündlich am 14. Juni 2007 erfolgte, bevor der Antrag am 12. Juli 2007 schriftlich aufgenommen wurde, rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Antragstellerin eine bis zum 3. August 2008 gültige italienische Aufenthaltserlaubnis, mit der sie sich aufgrund von Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II S. 1013) – SDÜ – höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien dieses Übereinkommens bewegen durfte. Neben den vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angesprochenen rechtlich nicht letztlich geklärten Fragen ist in der Senatsrechtsprechung bisher auch nicht geklärt, ob die Formulierung "höchstens bis zu drei Monaten" eine Addition aller während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels außerhalb der Grenzen der ausstellenden Vertragspartei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien verbrachten Kurzaufenthalte zulässt. Wäre dies der Fall, so wäre angesichts der von der Antragstellerin eingeräumten häufigen Reisen von Italien nach Deutschland in den Jahren 2005 bis 2007 zum Besuch einer Cousine und ihres späteren Ehemannes der Drei-Monats-Zeitraum voraussichtlich überschritten. Erhebliche Gründe sprechen jedoch gegen eine solche Addition und für die Ermöglichung eines jeweiligen Aufenthalts von höchstens bis zu drei Monaten nach jeder Ausreise aus dem Ausstellerstaat des Aufenthaltstitels in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien. Darauf deutet zum einen die großzügige, die Kumulierung von Drei-Monats-Zeiträumen erlaubten Aufenthalts ermöglichende Auslegung von Art. 20 Abs. 1 SDÜ durch den EuGH (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2006 C241/05 (Bot), ZAR 2007, 25) hin. Zum anderen ist Tz 1.3.4.2 der Allgemeinen Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommens zufolge ein Bezugszeitraum für einen dreimonatigen Kurzaufenthalt nicht festgelegt. Anhand des Akteninhalts ist belegt, dass die letzte Ausreise der Antragstellerin aus Italien nach E. am 30. Mai 2007 erfolgte, so dass der bei dieser Auslegung des Art. 21 Abs. 1 SDÜ erlaubte Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten bei Beantragung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht abgelaufen war.

Geht man nach alledem von der Zulässigkeit des nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrags aus, so ist die im Rahmen der Begründetheit zu prüfende Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung offen.