VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 13.12.2007 - AN 3 K 06.30579 - asyl.net: M12410
https://www.asyl.net/rsdb/M12410
Leitsatz:
Schlagwörter: Pakistan, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Verfolgungssicherheit, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, MQM-H, Mutahedda Qaumi Movement - Haqiqi, MQM-A, Mutahedda Qaumi Movement - Atlaf, Oppositionelle, Funktionäre, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid zu Unrecht die Asylanerkennung des Klägers und die Feststellung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft (früher § 51 Abs. 1 AuslG, jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) widerrufen, da bezüglich des Klägers nach Überzeugung des Gerichts jetzt und in absehbarer Zukunft weitere Verfolgungsmaßnahmen im Fall einer Rückkehr nach Pakistan nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können. Diese Überzeugung ergibt sich für das Gericht insbesondere aus den Angaben des Klägers selbst, den von ihm festgelegten Unterlagen sowie den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen. Der Kläger ist nach Auffassung des Gerichts einerseits als Funktionär der MQM-H mit engen Verbindungen zu der Führung dieser Partei wie auch als Zeuge in einem Mordfall, in den der im ... Exil lebende Vorsitzende der MQM-A verwickelt sein soll, weiterhin sowohl von staatlicher wie von nichtstaatlicher Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Pakistan bedroht, jedenfalls kann aber eine solche Verfolgung nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Dies gilt nach Überzeugung des Gerichts auch im Hinblick auf die seit der Ausreise des Klägers verstrichene lange Zeit, wie insbesondere die Tatsache, dass führende Funktionäre der MQM-H weiterhin in Pakistan inhaftiert sind und es weiterhin zu Mordanschlägen gegen die führenden Mitglieder dieser Partei kommt, belegt.

3. Der Kläger hat nach Überzeugung des Gerichts glaubhaft dargelegt, dass ihm als Funktionär der in Opposition zur MQM-A, der Regierungspartei im Sindh, welche wiederum mit der Regierung Musharaf zusammenarbeitet, stehenden MQM-H im Fall der Rückkehr nach Pakistan dort möglicherweise sofortige Verhaftung als Oppositionspolitiker droht, jedenfalls lässt sich diese Gefahr aber nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen. Dies zeigt sich zum einen aus der langjährigen Inhaftierung führender MQM-H-Mitglieder ebenso wie aus der Tatsache, dass nach Pakistan zurückkehrende führende Oppositionspolitiker sofort verhaftet wurden – wenn auch der Kläger etwa mit ... von der Bedeutung her keinesfalls vergleichbar sein dürfte. Jedenfalls zeigt es aber, dass der pakistanische Staat derzeit selbst im Gegensatz zu Urteilen des obersten pakistanischen Gerichts Oppositionspolitiker auch ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung in Pakistan und außerhalb inhaftiert, wenn er dies für opportun hält. Auch zeigt die seit dem Putsch im November erfolgte Inhaftierung vieler tausend Regierungsgegner ebenso wie die brutale Niederschlagung von gegen die Regierung gerichteten Demonstrationen, dass politisch aktiven Bürgern Pakistans, die aus dem Ausland zurückkehren, insbesondere Funktionären und bekannten Mitgliedern von oppositionellen Parteien, zumindest Inhaftierung in Pakistan droht. Damit allein schon kann eine staatliche Verfolgung des Klägers im Fall der Rückkehr nach Pakistan nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

4. Hinzu kommt die vom Kläger geschilderte Befürchtung vor Übergriffen der Gegenpartei MQM-A. Auch insofern erscheinen die Angaben des Klägers dem Gericht als weitgehend glaubhaft und widerspruchsfrei, insbesondere decken sich die Angaben des Klägers weitgehend mit den aus anderen Quellen bekannten Ereignissen in der Zeit vor der Ausreise des Klägers. Da der Führer der MQM-A weiterhin in ... im Exil lebt und gerade angesichts des derzeit weitgehend rechtlosen Zustandes in Pakistan und der Zusammenarbeit seiner MQM-A mit der Regierung Musharaf wohl politische Gründe nicht gegen seine Rückkehr sprächen, muss es andere gewichtige Gründe für einen Verbleib in ... geben.

Dies könnte für die Richtigkeit der Angaben des Klägers sprechen, dass der Führer der MQM-A wegen Mordvorwürfen, für deren Beweis der Kläger als wichtiger Zeuge dienen könnte, derzeit seinen Aufenthalt im Exil beibehält und nicht nach Pakistan zurückkehrt. Darüber hinaus besteht wohl auch die Gefahr für MQM-H-Mitglieder, von Mitgliedern der MQM-A angegriffen, verletzt und getötet zu werden, nach wie vor auch im Jahr 2007 in gewissem Umfang fort. Dies belegen die sowohl aus der Datensammlung des Bundesamtes als auch aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ersichtlichen Vorfälle im Mai 2007, bei dem es zu dutzenden Toten bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der MQM-A und der MQM-H gekommen ist. Auch insofern lässt sich eine auf seiner Parteimitgliedschaft und seiner Funktionärstätigkeit, insbesondere aber Zeugeneigenschaft in einem Verfahren gegen den Führer der MQM-A beruhende Verfolgungsgefahr für den Kläger durch Dritte, nämlich militante Mitglieder der MQM-A, ebenfalls nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit im Fall der Rückkehr des Klägers nach Pakistan ausschließen.