VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 05.12.2007 - 1 K 1851/06 - asyl.net: M12445
https://www.asyl.net/rsdb/M12445
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Rücknahme, Ermittlungsverfahren, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Kalifatsstaat, Unterstützung, Terrorismus, Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Arglist, Unterlassen, Offenbarungspflicht, Entziehung, Verfassungsmäßigkeit
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; StAG § 12a Abs. 3 a.F.; StAG § 11 S. 1 Nr. 2 a.F.; GG Art. 16 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die mit dem angefochtenen Bescheid des Landratsamts verfügte Rücknahme der Einbürgerung ist in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid des RP Freiburg erhalten hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Rücknahme ist § 48 Abs. 1 LVwVfG.

Dass die erst mit der Aushändigung der Urkunde am 9.2.2005 wirksame Einbürgerung des Klägers (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 StAG) rechtswidrig war, ergibt sich zunächst bereits aus § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG (früher: § 88 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Danach ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auszusetzen. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine bloße Verfahrensvorschrift, wird vielmehr gegen das Gebot der Aussetzung verstoßen, so ist eine gleichwohl erfolgte Einbürgerung i. S. v. § 48 Abs. 1 LVwVfG rechtsfehlerhaft (BVerwG, Urt. v. 3.6.2003 - 1 C 19.02- NVwZ 2004, 489; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.10.2007 - 13 S 2215/07 - VENSA und Juris). Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aber war im Fall des Klägers am Tag der Einbürgerung bereits seit über einem Jahr anhängig. Es wurde auch erst nach der Einbürgerung, nämlich in der zweiten Märzhälfte 2005, eingestellt.

Ferner lag beim Kläger aber auch ein Anspruchsausschlussgrund vor. Hierzu bestimmt § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a. F., dass ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG nicht besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt und unterstützt hat, die (u. a.) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.

Es liegen genügende tatsächliche Anhaltspunkte in Bezug auf die Person des Klägers vor, dass er verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen unterstützt hatte. Die meisten der im Dezember 2003 in seiner Wohnung beschlagnahmten Publikationen und Symbole sind solche des "Kalifatsstaat" gewesen, einer gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Vereinigung.

Sowohl die bei ihm aufgefundenen Publikationen und Symbole dieser inkriminierten Organisation – bei letzteren insbesondere der im PKW des Klägers sichergestellte Wimpel mit der türkischen Aufschrift "Hilafet Devleti" (= "Kalifatsstaat") – als auch das sonstige (Aussage-)Verhalten des Klägers machten ihn im Zeitpunkt der Einbürgerung konkret einer Unterstützung des "Kalifatsstaat" verdächtig. Die Existenz zahlreicher Unterlagen lässt den Schluss zu, dass diese mit der Absicht aufbewahrt wurden, hierauf immer wieder – und sei es nur nichtöffentlich – zurückgreifen zu können. Der Besitz des Wimpels, eines Symbols, indiziert ferner einen gewissen Identifikationswunsch.

Bei Aushändigung der Einbürgerungsurkunde bestanden folglich ganz erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Bestrebungen unterstützte bzw. unterstützt hatte, die in Gestalt von Betätigungen des "Kalifatsstaat" bzw. seiner B. Teilorganisation gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet waren. Der Kläger konnte weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft machen, sich von einer früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen jedenfalls abgewandt zu haben. Das folgt bereits aus seiner wie dargelegt unglaubhaften Verneinung bzw. Leugnung von Kenntnissen über bzw. Kontakten zu diesen verbotenen Vereinigungen.

Die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers scheitert ferner nicht an einer besonderen Schutzwürdigkeit seiner Person. Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist, wenn sie verfassungskonform auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG Rücksicht nimmt, auch auf die Rücknahme von Einbürgerungen anwendbar. Hieraus folgt insbesondere, dass die Rücknahme einer Einbürgerung (nur) zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise, etwa durch Bestechung oder Bedrohung, erwirkt worden ist (grundlegend: BVerfG, Beschl. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 - InfAuslR 2006, 335; BVerwG, Beschl. v. 13.6.2007 - 5 B 132/07 Juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.9.2007 - 13 S 2794/06 - VENSA und Juris).

An einer zeitnahen Rücknahme bestehen hier keine Zweifel. Der Begriff "zeitnah" bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum, nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände (vgl. ohnehin zur Nichtgeltung der Jahresfrist in Fällen der Arglist § 48 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG). Für die Bestimmung ist maßgeblich auf die Bedeutung der Staatsangehörigkeit sowohl für den Einzelnen als auch für die staatliche Gemeinschaft abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass mit zunehmendem Zeitablauf zahlreiche an die Staatsangehörigkeit geknüpfte Rechte und Pflichten verwirklicht sein werden, die durch eine Rücknahme nicht mehr folgenlos beseitigt werden können. Die Staatsangehörigkeit des Einzelnen begründet regelmäßig nicht nur für diesen selbst Rechtsstellungen und Pflichten, sondern hat regelmäßig auch Wirkungen auf den Status sonstiger Personen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - VENSA und Juris). Angesichts des hier zwischen Einbürgerung (am 9.2.2005) und ihrer Rücknahme (am 26.1.2006 = Wirksamwerden der angefochtenen Entscheidung) verstrichenen Zeitraums von wenig mehr als einem Jahr kann von einer zeitnahen Reaktion der Behörde ausgegangen werden (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.9.2007, a.a.O., wonach selbst 2 Jahre noch zeitnah sein dürften).

Der Kläger hat seine Einbürgerung zur Überzeugung der Kammer schließlich auch durch Arglist im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt.

Ein Erschleichen der Einbürgerung durch Täuschung liegt jedoch darin, dass der Kläger es zur Überzeugung der Kammer vorsätzlich unterlassen hat, dem Landratsamt vor Aushändigung der Einbürgerungsurkunde mitzuteilen, dass ein einbürgerungsrechtlich relevantes strafrechtliches Ermittlungsverfahren seit Ende des Jahres 2003 gegen ihn anhängig war. Eine Offenbarungspflicht während des gesamten Verfahrens ergab sich direkt aus § 12 a Abs. 3 StAG. Schon im September 2002, im Zusammenhang mit den erforderlichen Angaben im Formularantrag, war dem Kläger bekannt, dass es auf begangene Straftaten aber auch anhängige strafrechtliche Ermittlungen für eine Entscheidung ankam. Die Rubrik "Straftaten und Ordnungswidrigkeiten des Einbürgerungsbewerbers" mit den dort gestellten Fragen nach nicht getilgten Vorstrafen, Ordnungswidrigkeiten sowie anhängigen Ermittlungsverfahren, die auch vom Kläger ausgefüllt wurde, ließ hieran keine Zweifel. Ferner war ihm auch aus der formularmäßigen Abschlusserklärung (Versicherung, dass alle Angaben vollständig und wahrheitsgemäß seien sowie dass falsche oder unvollständige Angaben zur Ablehnung der Rücknahme der Einbürgerung führen können; schließlich Verpflichtung, Änderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bis zur endgültigen Entscheidung des Antrags unverzüglich mitzuteilen – vgl. die letzte Seite des Antragsvordrucks, VAS. 4) die offensichtliche Relevanz eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bekannt.