VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 14.11.2007 - 7 K 1854/05 - asyl.net: M12507
https://www.asyl.net/rsdb/M12507
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Rücknahme, Entziehung, Staatsangehörigkeit, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, arglistige Täuschung, gewöhnlicher Aufenthalt, Ermessen, Sprachkenntnisse
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; VwVfG § 45 Abs. 5; GG Art. 16 Abs. 1; StAngRegG § 17 Abs. 1; StAngRegG § 27; StAG § 11 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung kann grundsätzlich § 48 Abs. 1 LVwVfG sein (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.05.2006, DVBl 2006, 910; BVerwG, Beschl. v. 13.06.2007 - 5 B 132/07 -, in juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.09.2007 - 13 S 2794/06 u. v. 09.08.2007 - 13 S 2885/06 -, in juris).

Der Beklagte ist für die Rücknahme der von der Freien und Hansestadt Hamburg vorgenommenen Einbürgerung zuständig. Gemäß § 45 Abs. 5 LVwVfG entscheidet über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist (BVerwG, Beschl. v. 25.08.1995, DÖV 1995, 1046). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 a LVwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Der Kläger hatte am 22.04.2005 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in W. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 04.05.2004 zog der Kläger am 23.10.2003 nach W. (alleiniger Wohnsitz). Der Kläger und seine Ehefrau erklärten am 23.10.2003, sie lebten seit 23.10.2003 nicht mehr dauernd getrennt, W. verfügte, der Kläger werde rückwirkend zum 23.10.2003 wieder in die Obdachlosenunterkunft in W. eingewiesen, er habe sich am 23.10.2003 wieder in W. mit alleinigem Wohnsitz angemeldet. Im Widerspruchsschreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 26.04.2005 ist die Anschrift des Klägers in W. angegeben.

Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben. Die Vorschrift bedarf verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungendes Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbare Weise erwirkt worden ist.

Die mit Bescheid vom 22.04.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung ist "zeitnah" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt. Der Begriff "zeitnah" bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum, nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.08.2007, a.a.O.). Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, ist offen. Im vorliegenden Fall beträgt der Zeitraum ebenfalls weniger als 25 Monate (25.03.2003 – 22.04.2005). Damit ist die gebotene Rechtssicherheit auch im vorliegenden Fall noch gewährleistet ist.

Die nach § 85 AuslG vorgenommene Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig. Denn sie ist von der örtlich unzuständigen Behörde vorgenommen worden (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 48 RdNr. 52). Gemäß § 91 Satz 2 AuslG in der ab 01.01.2000 gültigen Fassung gelten für das Verfahren bei der Einbürgerung einschließlich der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts. Nach §§ 17 Abs. 1, 27 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit – StAngRegG – in der ab 01.01.2000 gültigen Fassung ist zuständig zur Einbürgerung die Einbürgerungsbehörde, in deren Bereich der Erklärende oder der Antragsteller seinen dauernden Aufenthalt hat. Der Begriff des dauernden Aufenthalts stimmt mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts imWesentlichen überein (Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, § 91 RdNr. 4). Unter gewöhnlichem Aufenthalt ist das längere Verweilen mit der Absicht des Verbleibens zu verstehen. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich u.U. aufhält, die erkennen lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt. Der Lebensmittelpunkt muss auf absehbare Dauer an diesem Ort bestehen (vgl. Renner, a.a.O., § 85 RdNr. 11).

Die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger in der Zeit vom 05.09.2002 (Antragstellung) bis zur Einbürgerung (März 2003) seinen Lebensmittelpunkt nicht in Hamburg hatte.

Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger selbst durch bewusste Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat, dass es sich also um eine "erschlichene" Einbürgerung handelt.

Die Beklagte hat das ihm gemäß § 48 LVwVfG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Insbesondere ist die Ermessensentscheidung nicht deshalb fehlerhaft, weil im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung eine Einbürgerung rechtlich möglich gewesen wäre. Es kann offen bleiben, ob ein zu diesem Zeitpunkt bestehender Anspruch auf Einbürgerung der Rücknahme überhaupt entgegenstünde (vgl. Hamb.OVG, a.a.O.; Nieders.OVG, Urt. v. 22.10.1996, NdsRpfl. 1997, 85; Nieders. OVG, Urt. v. 13.07.2007, a a.O.). Jedenfalls hatte der Kläger im Zeitpunkt der Rücknahme wohl keinen Anspruch auf Einbürgerung, weil er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte.