KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 22.01.2008 - 1 W 371/07 - asyl.net: M12537
https://www.asyl.net/rsdb/M12537
Leitsatz:

Verzichtet das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 11 FEVG zunächst auf die Anhörung, weil kein Dolmetscher zur Verfügung steht, ist die Anhörung so bald wie möglich nachzuholen.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Verfahrensrecht, Verfahrensmangel, Anhörung, Dolmetscher, einstweilige Anordnung, Nachholung, Heilung, Feststellungsantrag
Normen: FEVG § 11 Abs. 1; FEVG § 3 ; FGG § 27 Abs. 1; ZPO § 546; FGG § 8; GVG § 185 Abs. 1; FGG § 9; FEVG § 11 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Verzichtet das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 11 FEVG zunächst auf die Anhörung, weil kein Dolmetscher zur Verfügung steht, ist die Anhörung so bald wie möglich nachzuholen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgerichts hat die Anordnung der Freiheitsentziehung vom 13, Oktober 2004 auf § 11 FEVG gestützt. Ist Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, so kann das Gericht danach eine einstweilige Freiheitsentziehung für die Dauer von höchstens sechs Wochen anordnen, sofern dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen, und über die endgültige Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann, § 11 Abs. 1 FEVG. Dabei hat das Gericht die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich anzuhören, §§ 11 Abs. 2 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 FEVG. Die Anhörung kann bei Gefahr im Verzug unterbleiben; sie muss dann jedoch unverzüglich nachgeholt werden, § 11 Abs. 2 5. 2 FEVG.

Die Anhörung hat den Zweck, dem zur Entscheidung berufenen Richter einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen; zugleich dient sie der Sachaufklärung, weil sich der Richter bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde vorgetragenen Gründe beschränken darf, sondern eigenverantwortlich die Tatsachen festzustellen hat, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (BVerfG, InfAuslR 1996, 198). Deshalb hat das Gericht einen Dolmetscher zuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, §§ 8 FGG, 185 Abs. 1 S. 1 GVG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 129/04 -, FGPrax 2007, 39). Diese Regelungen dienen der Gewährleistung des Rechts eines Betroffenen auf ein faires Verfahren, indem vermieden wird, dass ein Betroffener, der der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist, zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt wird; ein Betroffener muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (BVerfG, NJW 2004, 50). Deshalb ist die Zuziehung eines Dolmetschers nur dann nicht erforderlich, wenn der Richter die Sprache, in der sich die beteiligten Personen erklären, spricht, § 9 S. 1 FGG. Hier wäre die Hinzuziehung eines Dolmetschers offenbar erforderlich gewesen, denn wie sich dem Protokoll vom 13. Oktober 2004 entnehmen lässt, sprach der Betroffene kein Deutsch und die Richterin nicht dessen Sprache.

Ob das Amtsgericht vor diesem Hintergrund die Freiheitsentziehung gemäß § 11 FEVG hätte anordnen dürfen - wofür es erforderlich gewesen wäre, Feststellungen dazu zu treffen, ob im Zeitpunkt der Anordnung Gefahr im Verzug vorlag, vgl. § 11 Abs. 2 5. 2 HS 1 FEVG -, kann dahinstehen. Jedenfalls hätte die mündliche Anhörung des Betroffenen unter Zuziehung eines Dolmetschers unverzüglich nachgeholt werden müssen, § 11 Abs. 2 S. 2 HS 2 FEVG. Das ist vorliegend nicht geschehen. Zu den insoweit vergleichbaren Regelungen in §§ 70h Abs. 1 5. 2, 69f Abs. 1 S. 4 FGG ist es umstritten, ob die Nachholung der Anhörung nur am auf den Erlass der einstweiligen Anordnung folgenden Tag (Marschner, in: Jürgens, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 9; Dodegge, in: Dodegge/Roth, Betreuungsrecht, 2. Aufl., Teil G, Rdn. 187; Rink, in: HK-BUR, § 69f FGG, Loseblatt Stand Oktober 2006, Rdn. 39; Kayser, in: Keidel/KuntzelWinkler, FGG, 15. Aufl„ § 70h, Rdn.8) erfolgen kann, oder ob es auch ausreichend sein kann, bis zum nächsten Werktag (BayObLG, FamRZ 2001, 578, 579; Knittel, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 12; Sonnenfeld, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 23) und ggf. noch darüber hinaus damit zu warten. Jedenfalls ist die Anhörung so bald als möglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 66, 191, 197; Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 1 W 179 und 180/07). Dem ist das Amtsgericht hier nicht nachgekommen, indem es einen weiteren Termin zur Anhörung erst sechs Tage später auf den 19. Oktober 2004 anberaumte. Es ist nicht erkennbar, warum die Anhörung nicht in den unmittelbar auf den Termin vom 13. Oktober 2004 - einem Mittwoch - folgenden Tagen hätte nachgeholt werden können. An einer fehlenden Verfügbarkeit eines hierzu erforderlichen Dolmetschers für die arabische Sprache hat dies nicht gelegen, jedenfalls haben weder das Amts- noch das Landgericht entsprechende Feststellungen getroffen und auch der Akte lässt sich hierzu nichts entnehmen. Der Termin vom 19. Oktober 2004 diente ausweislich des Protokolls vom 13. Oktober 2004 auch nicht der Nachholung der Anhörung gemäß § 11 Abs. 2 FEVG, sondern bereits der nach § 5 FEVG erforderlichen - erneuten - Anhörung zur Entscheidung über die Hauptsache, nämlich über den Antrag der Ausländerbehörde auf Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen gemäß dem damals maßgeblichen § 57 Abs. 2 AuslG.

Durch die Anhörung vom 19. Oktober 2004 konnte der Verfahrensmangel der fehlerhaften und nicht rechtzeitig nachgeholten Anhörung vom 13. Oktober 2004 nicht geheilt werden. Gemäß Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG darf in die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden. Dadurch wird die Pflicht, diese Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhoben (BVerfG, NJW 1982, 691, 692, InfAuslR 1996, 198; NJW 1990, 2309, 2310; Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 129/04 - a.a.O.; Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06, bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Die persönliche Anhörung des Betroffenen gehört zu den wesentlichen Verfahrensgarantien des Freiheitsentziehungsverfahrens. Wird gegen das Gebot vorhergehender oder unverzüglich nachzuholender Anhörung verstoßen, so drückt dieses Unterlassen auch der nach § 11 FEVG angeordneten einstweiligen Unterbringung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist (vgl. BVerfG, a.a.O., ebenso KG, 25. ZS, Beschl. v. 27. August 2004 - 25 W 50/03 -).