OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 15.01.2008 - A 4 B 460/07 - asyl.net: M12547
https://www.asyl.net/rsdb/M12547
Leitsatz:

Selbst wenn man eine fehlende medizinische Versorgung im Zielstaat der Abschiebung als "unmenschliche Behandlung" i.S.d. Art. 3 EMRK bewerten würde, liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Iraks im Allgemeinen nicht vor.

 

Schlagwörter: Irak, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, medizinische Versorgung, Krankheit, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Sicherheitslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; RL 2004/83/EG Art. 6
Auszüge:

Selbst wenn man eine fehlende medizinische Versorgung im Zielstaat der Abschiebung als "unmenschliche Behandlung" i.S.d. Art. 3 EMRK bewerten würde, liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Iraks im Allgemeinen nicht vor.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG zugunsten der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (Art. 77 AsylVfG) nicht vor (sh.1); soweit hier deshalb der Hilfsantrag der Klägerin in Bezug auf die Feststellung der Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG im Berufungsverfahren anfällt, hat die Klage keinen Erfolg, weil auch die Voraussetzungen hierfür zu dem maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorliegen (sh. 2.).

1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBL. 1952 II S. 685 - EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Bei Abschiebung der Klägerin in den Irak drohen ihr dort diese Gefahren weder im Hinblick auf die unzureichende medizinische Versorgungs- (sh. 1.1) noch im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage (1.2).

1.1 Art. 3 EMRK vermittelt der Klägerin wegen der medizinischen Versorgungslage im Irak keinen Abschiebungsschutz, weil ihr insoweit keine unmenschliche Behandlung, die von den in Art. 3 EMRK angesprochenen Alternativen allein in Betracht kommt, droht. Dies gilt unabhängig davon, ob insoweit auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder diejenige des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abgehoben wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann grundsätzlich nur eine im Zielstaat von einer staatlichen, ausnahmsweise auch von einer staatsähnlichen Herrschaftsmacht begangene oder von ihr zu verantwortende Misshandlung eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK sein (BVerwG, Urt. v. 17. 10. 1995 - 9 C 15.95 - a.a.O. zit. nach juris). Bei Gefahren für Rückkehrer aufgrund der allgemeinen medizinischen Versorgungslage droht eine solche vom Staat oder einer vergleichbaren Macht ausgehende oder zu verantwortende Behandlung nicht (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris).

Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Auffassung, wonach die Annahme einer unmenschlichen Behandlung nur bei einer Misshandlung im Zielstaat angenommen werden kann, die vom Staat oder einer vergleichbaren Macht ausgeht bzw. zu verantworten ist, trotz der entgegenstehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufrechterhalten und dabei darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer ausreichenden medizinischen Versorgung und Betreuung im Empfangsstaat nur ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG, dem heute § 60 Abs. 7 AufenthG entspricht, begründen könne (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris). Die Frage, ob dieser Auffassung noch im Hinblick auf Art. 6 QRL, wonach ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 QRL auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann (sh. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, 55. Aktualisierung, § 60 AufenthG, Rn. 111), gefolgt werden kann, kann der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit offen lassen. Denn auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des EGMR, wonach im Einzelfall selbst die bloße Verschlechterung der Lebenssituation eines Ausländers als Folge unzureichender medizinischer und sozialer Versorgung im Zielstaat Abschiebungsschutz nach Art. 3 EMRK begründen kann (EGMR, Urt. v. 2.5.1997, NVwZ 1998, 161; sh. hierzu auch Hailbronner, a.a.O., § 60 Rn. 107) würde Art. 3 EMRK der Klägerin keinen Abschiebungsschutz wegen der aktuellen medizinischen Versorgungslage im Irak vermitteln.

Nach Auffassung des EGMR begründet Art. 3 EMRK in Fällen, in denen - wie hier - nicht der Vertragsstaat für die Situation des Ausländers im Zielstaat verantwortlich ist, Abschiebungsschutz nur unter besonders außergewöhnlichen Umständen, bei denen eine hohe Schwelle überschritten ist (EGMR, Urt. v. 6.2.2001, NVwZ 2002, 453). Solche Umstände nimmt der EGMR nur an, wenn sie mit denen vergleichbar sind, die seiner Entscheidung im Verfahren D/Vereinigtes Königreich (NVwZ 1998, 161) zugrunde lagen, das einen an Aids im Endstadium erkrankten Ausländer betraf, dessen Abschiebung er als Verletzung des Art. 3 EMRK gnalifizierte. Er begründete dies damit, dass nach seinen Feststellungen der abrupte Entzug der im Vereinigten Königreich vom Antragsteller genossenen medizinischen und karitativen Betreuung höchst dramatische Folgen für ihn hätte. Die Abschiebung würde den Eintritt seines Todes beschleunigen und die reale Gefahr mit sich bringen, dass er im Empfangsstaat unter höchst qualvollen Umständen sterben müsste, da es für ihn dort keine angemessene medizinische Versorgung, keine Unterkunft und keinen Familienrückhalt gebe (sh. EGMR, Urt. v. 2.5.1997, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris).

Solche außergewöhnliche Umstände liegen hier nicht vor. Der Gesundheitszustand der Klägerin ist mit dem einer an Aids im Endstadium erkrankten Person ersichtlich nicht vergleichbar. Ausweislich der von der Klägerseite vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme einer Internistin vom 2.8.2007 befindet sich die Klägerin trotz ihrer Erkrankungen in einem guten Allgemeinzustand. Ein reales Risiko dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen, die - jedenfalls zum Teil - für Menschen ihres Alters typisch sind, alsbald nach Abschiebung in den Irak verschlechtern würde und sie in eine lebensbedrohliche Situation geriete, besteht auch im Hinblick auf die außerordentlich schwierige medizinische Versorgungslage im Irak (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. Oktober 2007) nicht. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Klägerin im Irak ohne verwandtschaftliche Hilfe im Wesentlichen auf sich gestellt wäre.

1.2 Nichts anderes gilt im Ergebnis im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris), der der Senat folgt, setzt der angesprochene Begriff der Behandlung ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln im Zielstaat der Abschiebung voraus. Bei Gefahren aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe im Zielstaat allgemein ausgesetzt ist, kann demnach nicht angenommen werden, dass sich das in Rede stehende Handeln auf eine bestimmte Person bezieht. Dass diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit wegen Regelungen in der QRL nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich hierfür nicht Art. 6 QRL fruchtbar machen.