OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2008 - 10 ME 274/07 - asyl.net: M12559
https://www.asyl.net/rsdb/M12559
Leitsatz:

Die Ausländerbehörde darf nicht gem. § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG (eigenständiges Aufenthaltsrecht) absehen.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, eigenständiges Aufenthaltsrecht, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgründe, atypischer Ausnahmefall, Privatleben, Integration, Verhältnismäßigkeit, Ermessen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; EMRK Art. 8; AufenthG § 27 Abs. 3 S. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die Ausländerbehörde darf nicht gem. § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG (eigenständiges Aufenthaltsrecht) absehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu Recht abgelehnt.

Dem Antragsteller steht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach §§ 28 Abs. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht zu.

Dem Antragsteller kann nach §§ 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die bisherige Aufenthaltserlaubnis nicht auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlängert werden, weil bezogen auf seine Person mehrere Ausweisungsgründe vorliegen.

Es sind auch keine besonderen Gründe zu erkennen, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, trotz Vorliegens mehrerer Ausweisungsgründe die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers zu verlängern. Ein vom Regelfall abweichender Ausnahmefall, der trotz Fehlens einer Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu rechtfertigen vermag, liegt nur dann vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleich gelagerter Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzung - hier das Fehlen eines Ausweisungsgrundes - zugrunde liegende öffentliche Interesse beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1996 - BVerwG 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12 [17]; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2007, a.a.O.; Bäuerle, a.a.O., § 5 Rdnr. 27 mit weiteren Nachweisen). Der Sachverhalt muss so atypisch gelagert sein, dass eine Versagung des Aufenthaltstitels mit dem gesetzgeberischen Anliegen nicht mehr zu vereinbaren und als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. Renner, a.a.O. § 5 AufenthG Rdnr. 36).

Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erweist sich auch mit Blick auf Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002, BGBl. II S. 1054 - EMRK -) nicht als unverhältnismäßig.

Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Mit zu berücksichtigen ist auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts.

Zusammenfassend erachtet der Senat die schutzwürdigen Belange des Antragstellers, insbesondere seine im Bundesgebiet bestehenden Bindungen, nicht für so bedeutend, dass sie das gesetzgeberischen Anliegen in § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beseitigen. Mithin kann sich der Antragsteller nicht auf einen Aufnahmefall berufen, der abweichend von §§ 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt.

Die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis liegt bezogen auf die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht im Ermessen der Antragsgegnerin. In Fällen der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG eröffnet § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Ausländerbehörde kein Ermessen. In § 27 AufenthG werden die Anforderungen an die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft und zum Zwecke des Familiennachzugs näher geregelt. Zwar ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG auch im Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes ("Aufenthalt aus familiären Gründen") geregelt, jedoch wird nach dieser Bestimmung die Aufenthaltserlaubnis gerade nicht zum Zwecke des Familiennachzugs oder zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft verlängert, sondern - wie § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hervorhebt - als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht. Für diese Auslegung spricht weiter, dass die bis 31. Dezember 2004 geltende Regelung in § 19 Abs. 3 AuslG noch vorsah, dass die Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrechts für den Ehegatten bei Vorliegen von Ausweisungsgründen versagen konnte. Eine entsprechende Bestimmung ist in § 31 AufenthG aber nicht übernommen worden. Die Bestimmung in § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG folgte auch nicht § 19 Abs. 3 AuslG, sondern § 17 Abs. 5 AuslG nach. Dass die mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK weniger strengen Anforderungen in § 27 AufenthG für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen zum Zwecke des Familiennachzugs auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG nicht übertragbar sind, lässt sich zudem den Gesetzesmaterialien entnehmen. Hiernach soll sich die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen richten (BT-Drs. 15/420, S. 83). Sachliche Gründe für eine hiervon abweichende Handhabung in den Fällen des § 31 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor. Vielmehr sind sowohl in den Fällen des Absatzes 1 als auch des Absatzes 4 Satz 2 des § 31 AufenthG die schutzwürdigen Bindungen zum Ehegatten nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK entfallen (für die Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen: Bay. VGH, Beschlüsse vom 15. November 2007 und 27. Juni 2007, a.a.O.; Hess. VGH, Beschluss vom 17. Januar 2007, a.a.O.; Hailbronner, a.a.O., § 31 Rdnr. 28; Renner, a.a.O., § 32 AufenthG Rdnr. 37; offengelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. September 2007 - 18 E 881/07-, juris).