VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 29.01.2008 - 19 ZB 07.2125 - asyl.net: M12646
https://www.asyl.net/rsdb/M12646
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Überwachung eines ausgewiesenen Ausländers, räumliche Beschränkung, vorübergehendes Verlassen, Prozessbevollmächtigte, Besprechung, Untertauchen
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; AufenthG § 54a
Auszüge:

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. Juni 2007 bestehen – jedenfalls im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO analog) – keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Mit Recht ist das Verwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 15.6.2005, 24 CE 05.1528) davon ausgegangen, dass dem Kläger, abgeleitet aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem darin wurzelnden Anspruch auf ein faires Verfahren, das von Verfassungs wegen geschützte Recht zukommt, sich von einer zur Prozessvertretung geeigneten Person vertreten zu lassen (vgl. BVerfGE 66, 313 318>; siehe hierzu auch Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, RdNr. 243 zu Art. 19 Abs. 4 und RdNr. 103 zu Art. 103; ferner auch Art. 47 Abs. 2 Satz 2 Europäische Grundrechtscharta). Zutreffend und in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juni 2005 (Az. 24 CE 05.1528) hat das Verwaltungsgericht Ansbach aus dieser verfassungsrechtlich geschützten Position des Klägers weiter abgeleitet, dass im Grundsatz ein ungehinderter Verkehr zwischen dem Vertretenen und seinem Anwalt gewährleistet sein muss, weil erst die Praxis des Informationsaustausches eine effektive Rechtsverfolgung gewährleistet (vgl. auch Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, a.a.O., RdNr. 111 zu Art. 103). Mit dieser Feststellung hat das Verwaltungsgericht zugleich auch den im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juni 2005 (Az. 24 CE 05.1528) aufgestellten Rechtssatz, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung des ungehinderten Verkehrs zwischen dem Vertretenen und seinem Anwalt zugleich auch das Recht einschließt, den Bevollmächtigten in dessen Kanzlei aufzusuchen – jedenfalls im Grundsatz – anerkannt und seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht Ansbach weiter darauf hingewiesen, dass sich Einschränkungen dieses Grundsatzes aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung rechtfertigen lassen, jedoch die Ausnahme bleiben müssen (so auch Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, a.a.O., RdNr. 111 zu Art. 103).

Das Grundgesetz verwehrt dem Staat nicht schlechthin, verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter auf Kosten anderer Güter, deren Bestand ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgt ist, zu bewahren, mag es sich bei solchen Rechtsgütern auch um Grundrechte oder andere, verfassungsrechtlichen Schutz genießende Belange handeln. Diese Abwägung ist verfassungsrechtlich unausweichlich, wenn sonst die staatlichen Organe, die ihnen nach dem Grundgesetz und der verfassungsmäßigen Ordnung obliegenden Aufgaben nicht mehr sachgerecht wahrnehmen können (so ausdrückl. BVerfGE 49, 24 [55 f.]).

Die in § 54 a AufenthG getroffene Regelung, nach der der Aufenthalt gefährlicher, vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer überwacht und im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit Beschränkungen versehen werden kann, ist das Ergebnis einer solchen Abwägung. Sie beruht erkennbar auf der gesetzgeberischen Vorstellung, der Staat dürfe unter bestimmten Voraussetzungen dem Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit einer Person den Vorrang gegenüber der Wahrung der Grundrechte gefährlicher, vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer einräumen. Es wäre in der Tat eine Sinnverkennung des Grundgesetzes, wollte man dem Staat verbieten, terroristische Bestrebungen, die erklärtermaßen die Zerstörung der freiheitlich demokratischen Grundordnung zum Ziel haben und die planmäßige Vernichtung von Menschenleben als Mittel zur Verwirklichung dieses Vorhabens einsetzen, mit den erforderlichen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten (vgl. bereits BVerfGE 49, 24 [56]). Hiervon ist in seinem Beschluss vom 15. Juni 2005 (Az. 24 CE 05.1528) auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgegangen, indem er ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass dem Recht des Antragstellers aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG das öffentliche Interesse gegenübersteht, die mit der Anordnung nach § 54 a AufenthG verbundene Zielsetzung nicht zu unterlaufen.

Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. Juni 2007 – im Ergebnis – keinen ernstlichen Zweifeln. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Versagung der Ausnahmegenehmigung zum Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsorts in ... zum Zwecke der Wahrnehmung eines Besprechungstermins mit dem Bevollmächtigten des Klägers in München nicht rechtswidrig ist, weil dieser durch sein Verhalten im Rahmen des Rechtsanwaltsbesuchs in Regensburg im Mai 2005, vor allem aber auch durch sein Untertauchen während des Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus ... deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht gewillt ist, sich an die Verpflichtung im Bescheid vom 9. Mai 2005 und die insoweit ergangenen Ausnahmegenehmigungen zu halten.

Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht die notwendige Vertrauensgrundlage für die begehrte Ausnahmegenehmigung nicht hat erkennen können und deshalb den öffentlichen Interessen an der Verwirklichung der mit der Anordnung nach § 54 a AufenthG verbundenen Zielsetzungen den Vorrang vor dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Belangen des Klägers eingeräumt hat. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass für den Kläger im Ausländerzentralregister mit Stand September 2006 allein 14 Alias-Personensätze gespeichert waren und eine vollständige und lückenlose Überwachung des Klägers auf der Fahrt nach München, vor allem aber während des Aufenthalts in München selbst, nicht zu gewährleisten ist.

Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die nur dann zurücktreten können, wenn der Kläger ein Mindestmaß an Bereitschaft erkennen ließe, sich an die mit der Ausnahmegenehmigung zwingend zu verbindenden Auflagen zu halten. Gerade diese Gewähr ist beim Kläger aufgrund seines Vorverhaltens jedoch nicht mehr gegeben. Angesichts dessen unterliegt die Versagung der Ausnahmegenehmigung auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs der auf Klägerseite betroffenen Verfassungswerte und weiteren Gewährleistungen aus der EMRK keinen Bedenken. Bietet der Kläger – wie hier – nicht mehr die hinreichende Gewähr, nach Beendigung des Besuches in München an den ihm zugewiesenen Aufenthaltsort zurückzukehren, so muss er es – in Ausnahme zu den in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juni 2005 (Az. 24 CE 05.1528) aufgestellten Grundsätzen – hinnehmen, mit seinem Bevollmächtigten nur in der Gemeinschaftsunterkunft verkehren zu können.

Soweit das Verwaltungsgericht Ansbach zusätzlich tragend darauf abstellt, dem Beklagten sei es wegen der dadurch für die Allgemeinheit verursachten Kosten unzumutbar, den Kläger auf seiner Fahrt nach München und zurück durch Begleitung eines Polizeibeamten zu überwachen, kann ihm hingegen nicht gefolgt werden. Der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch, sich von einer zur Prozessvertretung geeigneten Person vertreten zu lassen und diese Person in ihrer Kanzlei aufzusuchen, würde in den Fällen der Überwachungsbedürftigkeit des Aufenthalts nach § 54 a AufenthG weithin leer laufen, wenn ihm – wie das Verwaltungsgericht offenbar meint – fiskalische Überlegungen entgegengehalten werden dürften. Eine sachgerechte, sinnvolle und zumutbare Beratung eines Rechtssuchenden kann grundsätzlich nur in den Räumen der Kanzlei des Bevollmächtigten stattfinden. Nur dort hat der Bevollmächtigte Zugriff auf Rechtsprechung, Literatur und Kanzleiausstattung, um seine Beratungsleistung sach- und interessengerecht zu erbringen. Zwar wird einem niedergelassenen Rechtsanwalt von der Rechtsordnung zugemutet, seinen Mandanten gegebenenfalls auch in einer Haftanstalt oder – wie hier – in einer Gemeinschaftsunterkunft aufzusuchen, um seinen Mandanten zu beraten. Doch handelt es sich insoweit um absolute Ausnahmefälle, in denen ein Besuch des Mandanten in der Kanzlei des Bevollmächtigten aus übergeordneten Erwägungen nicht in Betracht kommt.

Es geht nicht an, derartige Ausnahmesituationen – wie in der Entscheidung des das Verwaltungsgerichts geschehen – zur Norm zu erheben und einen Bevollmächtigten eines mit Maßnahmen nach § 54 a AufenthG überzogenen Ausländers aus fiskalischen Gründen für verpflichtet zu halten, seine Beratungsleistung generell und nicht nur in absoluten Ausnahmefällen in einer Gemeinschaftsunterkunft zu erbringen oder den Ausländer statt dessen auf einen ortsansässigen Rechtsanwalt zu verweisen.