OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.01.2008 - 18 E 1284/07 - asyl.net: M12651
https://www.asyl.net/rsdb/M12651
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Todesstrafe, Tunesien, Ausweisung, Sperrwirkung, Wirkungen der Ausweisung, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Verschulden, Zumutbarkeit, Straftat, Anerkennungsrichtlinie
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 11 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. a; RL 2004/83/EG Art. 24 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 17 Bst. b
Auszüge:

Dem Kläger ist für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil er nach seinen persönlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).

Allerdings beruft sich der Kläger, bei dem wegen einer ihm in seinem Heimatstaat Tunesien drohenden Todesstrafe ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 2 AuslG 1990 (jetzt § 60 Abs. 3 AufenthG) festgestellt worden ist (vgl. Urteil des VG Düsseldorf vom 25. März 1998 - 16 K 6921/97.A - und Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Mai 1998) hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vergeblich auf § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Die Regelung ist auf ihn nicht anwendbar, weil er ausgewiesen worden ist und damit die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG eingreift, von der nur § 25 Abs. 5 AufenthG ausdrücklich dispensiert (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, InfAuslR 2006, 1418).

Damit ist es unerheblich, ob der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b) AufenthG vorliegt, so dass die diesbezüglichen Einwendungen des Klägers ins Leere gehen.

Ob nach § 25 Abs. 5 AufenthG, dessen in Satz 1 aufgeführten tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Kläger wegen des bei ihm festgestellten Abschiebungsverbotes erfüllt, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf, hängt maßgeblich von Folgendem ab: Zum Einen fragt sich – was das Verwaltungsgericht verneint hat –, ob der Kläger unverschuldet an seiner freiwilligen Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Zum Anderen ist zu klären, ob dem Kläger – wie geschehen – bei der im Rahmen der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Beklagten zu treffenden Ermessensentscheidung entgegen gehalten werden darf, über keinen gültigen Pass zu verfügen und zumutbare Anstrengungen zur Erlangung eines Passes unterlassen zu haben. Die Klärung beider Fragen übersteigt den Prüfungsrahmen des vorliegenden Verfahrens.

Hinsichtlich des Verschuldensvorwurfs im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG ist zwar das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers für die fehlende Möglichkeit der Ausreise kausal gewesen sein muss und es dies – allerdings nur im weiteren Sinne – auch war. Indessen ergibt sich die für § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu fordernde Unzumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, a.a.O.) unmittelbar aus einer ihm vom tunesischen Staat drohenden Gefahr, auf die der Kläger gegenwärtig keinen Einfluss hat. Insofern ist es fraglich und in der Senatsrechtsprechung ungeklärt, ob einem Ausländer – was dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegt – ein anspruchsausschließendes Verschulden im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG trifft, wenn er – wie der Kläger – durch seine Straftaten selbst eine Ursache für die ihm drohende Gefahr und damit letztlich auch für das nun bestehende Abschiebungsverbot gesetzt hat. Es liegt durchaus nahe, dass § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG nur Ausreisehindernisse erfasst, die der Ausländer beseitigen kann (vgl. hierzu Storr in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, ZuwG, § 25 Rn. 27; Zeitler, HTK-AuslR /§ 25 AufenthG /zu Abs. 5 11/2007 Nr. 4.2; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275, 279; BT-Drucks. 15/420, S. 80) was bei einer ihm im Heimatland wegen eines bestimmten Verhaltens drohenden unmenschlichen Behandlung nicht der Fall ist. Unmittelbare Ursache des Ausreisehindernisses ist dann die vom Zielstaat hervorgerufene Bedrohung. Dass der Ausländer mit seiner Straftat gleichfalls eine Ursache für das Ausreisehindernis gesetzt hat, dürfte insofern unerheblich sein. Für eine solche Sichtweise spricht, dass § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG auf die Ausreisemöglichkeit abstellt. Er erlaubt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Ausreise aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Zudem zeigt die durch § 25 Abs. 5 AufenthG uneingeschränkt geschaffene Möglichkeit, selbst im Falle eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als Folge einer Ausweisung bzw. Abschiebung (§ 11 Abs. 1 AufenthG) eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, dass in den vom Ausländer regelmäßig schuldhaft herbeigeführten Fallkonstellationen das Verhalten des Ausländers nicht generell als anspruchsausschließend bewertet wird.

Schließlich ist noch anzumerken, dass die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung auch zu einem Widerspruch zu dem gesetzgeberischen Ziel des Aufenthaltsgesetzes führte, die Praxis der Kettenduldungen weitgehend abzuschaffen, was gerade durch den hier in Rede stehenden § 25 Abs. 5 AufenthG bewirkt werden soll (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 80).

Die sich weiter stellende Frage nach der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) ist bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht geklärt.

Schließlich wird bei der Auslegung und Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG noch in den Blick zu nehmen sein, dass der Kläger – wegen der ihm drohenden Todesstrafe – dem Grunde nach zu den Personen gehört, die in den Schutzbereich des Art. 15 Buchst. a) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sogenannte Qualifikationsrichtlinie – QRL –) fallen und denen nach Art. 24 Abs. 2 QRL ein mindestens ein Jahr gültiger Aufenthaltstitel auszustellen ist, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dem entgegenstehen. Dabei bedarf es gegebenenfalls der Prüfung, ob ein derartiger Rechtsstatus durch Art. 17 Buchst. b) QRL zeitlich unbeschränkbar ausgeschlossen wird oder ob es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, nach angemessener Zeit die Sperrwirkung des Vorbehalts entfallen zu lassen (vgl. hierzu Marx, ZAR 2004, 275, 280; Duchrow, ZAR 2004, 339, 345; Hailbronner, Ausländerrecht, Februar 2006, § 25 AufenthG, Rn. 55).