OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.01.2008 - 18 B 1864/07 - asyl.net: M12658
https://www.asyl.net/rsdb/M12658
Leitsatz:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung ist gem. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Ausländer hinreichend konkreten Aufforderungen der Ausländerbehörde zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht nachgekommen ist.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Behinderung der Aufenthaltsbeendigung, Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; VwVfG § 38; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung ist gem. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Ausländer hinreichend konkreten Aufforderungen der Ausländerbehörde zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht nachgekommen ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde stellt letztlich nicht durchgreifend die Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts in Frage, der Abschiebung des Antragstellers stehe nicht entgegen, dass durch sie der irreversible Verlust schützenswerter Rechte drohe; denn ein – insoweit allein in Betracht kommender – Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 AufenthG stehe diesem nicht zu. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 AufenthG an den Antragsteller gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ausgeschlossen.

Gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist – unter anderem – Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG, dass der betreffende Ausländer nicht behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat. Hierfür reicht es jedenfalls aus, wenn der Betreffende hinreichend konkreten Aufforderungen der Ausländerbehörde nicht nachgekommen ist (a). Derartiges Verhalten ist dem Antragsteller anzulasten, so dass die negative Voraussetzung verwirklicht ist (b).

a) Es unterliegt Zweifeln, ob die Bestimmung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG so weit zu verstehen ist, wie ihr Wortlaut es zulässt. Diesem zufolge lassen sich unter § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auch schlicht mangelnde selbstinitiative Bemühungen um die Passbeschaffung fassen, zumindest wenn – was regelmäßig der Fall sein dürfte – angenommen werden könnte, dass dem Betreffenden klar war, dass dies Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung erschweren oder verzögern kann, ungeachtet des Umstands, ob die Behörde den Betreffenden auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen hatte.

Demgegenüber könnte Einiges für ein einschränkendes Verständnis dieser Bestimmung dahin sprechen, dass (mindestens) konkrete Aufforderungen der Behörde zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung vorausgegangen sein müssen, denen der Betreffende nicht nachgekommen ist.

Die Gesetzesmaterialien sind insoweit weitgehend unergiebig; der sich darin findende Hinweis, die Voraussetzungen und Ausschlussgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG seien "zum großen Teil eng an die des Bleiberechtsbeschlusses der IMK vom 17. November 2006 angelehnt" (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 202), hilft wenig weiter, weil sich die Materialien nicht dazu verhalten, in welchen Teilen das Gesetz sich an die Regelungen des IMK-Beschlusses anlehnt und in welchen nicht, und gerade die in Rede stehende Bestimmung nicht so formuliert ist wie der entsprechende Ausschlussgrund nach dem Bleiberechtsbeschluss der IMK. Allerdings wird von dem im Hinblick auf das Gesetz federführenden Bundesministerium des Inneren in seinen Anwendungshinweisen (Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz, Stand 2. Oktober 2007) ein deutlich einschränkendes Verständnis des § 104a AufenthG vorgegeben.Wenn auch diese Anwendungshinweise die Gerichte nicht binden, wenn es – wie hier – um die Auslegung von Rechtsbegriffen geht, ohne dass behördliches Ermessen eingeräumt ist, erscheint aber insoweit doch nicht unbeachtlich, dass den genannten Anwendungshinweisen zufolge der "Ausschlussgrund des vorsätzlichen Hinauszögern oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (...) ausschließlich dann vor[liegt], wenn ein Ausländer nachweislich Identitätsnachweise oder Personaldokumente vernichtet und unterdrückt hat, um seine Abschiebung zu verhindern, im Rahmen der Passbeschaffung zu einem konkreten Termin oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Vorsprache bei der Vertretung eines ausländischen Staates aufgefordert worden ist und dieser Aufforderung nicht gefolgt ist, sich durch Untertauchen behördlicher Maßnahmen entzogen hat, der bereits in Abschiebehaft saß, sich beharrlich geweigert hat, an der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht mitzuwirken oder sonst seine Abschiebung durch sein persönliches Verhalten verhindert hat."

Gleichermaßen lassen die Anwendungshinweise des Landes Nordrhein-Westfalen zu § 104a AufenthG vom 16. Oktober 2007, Ziffer 1.1.5.1, ein restriktives Verständnis erkennen. Ihnen zufolge bedarf es im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG einer wertenden Gesamtbetrachtung. Erforderlich ist danach ein gezieltes und nachhaltiges Unterlaufen der Aufenthaltsbeendigung, z. B. durch Untertauchen, Vernichten oder Unterdrücken von Urkunden, beharrliche Verweigerung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung oder widersetzliches Verhalten bei Vollstreckungsmaßnahmen (Ebenso Fehrenbacher, HTK-AuslR/§ 104a/zu Abs. 1 12/2007 Nr. 3.5.).

Die Formulierung "beharrliche Verweigerung der Mitwirkung" legt nicht nahe, dass bereits schlichte Untätigkeit – ohne vorausgegangene konkrete Aufforderungen – ausreicht.

b) Einer Entscheidung über die Reichweite der Bestimmung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bedarf es hier jedoch nicht. Selbst wenn man ausgehend von diesen Überlegungen ein einschränkendes Verständnis zugrunde legt, hätte der Antragsteller die negative Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG erfüllt. So hat der Antragsteller sich im Jahre 2001 geweigert, den Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren auszufüllen. Nachdem der Antragsteller dies Anfang 2002 nachgeholt hat, mag – auch angesichts des Zeitablaufs seither – fraglich sein, ob ein beharrliches Verweigern gegeben ist. Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, hat der Antragsgegner den Antragsteller jedoch neben den pauschalen Aufforderungen zur Vorlage von Identitätsnachweisen (die möglicherweise nicht ausreichen) etwa mit dem Bescheid vom 16. April 2005 recht ausführlich auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen, dabei namentlich auf die Möglichkeit, Bevollmächtigte im Heimatstaat einschalten.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die Vorlage des Passes im Zuge des vorliegenden Verfahrens in der Tat ein Indiz dafür, dass die Bemühungen des Antragstellers um einen Pass zuvor unzureichend waren. Dass der Antragsteller jetzt einen Pass über einen Dritten im Heimatstaat beschafft hat, zeigt, dass dies möglich ist, und spricht dafür, dass es zuvor ebenfalls möglich gewesen wäre. Zwar ist dieser Schluss nicht zwingend. Das Indiz hätte sich entwerten lassen, und zwar insbesondere durch einen substantiierten nachvollziehbaren Vortrag des Antragstellers dazu, inwiefern es zuvor nicht möglich war, an einen Pass zu kommen, und aufgrund welcher Zusammenhänge sich diese Gegebenheiten geändert haben. Der Antragsteller hat sich aber gerade hierzu jeder Darstellung enthalten, obgleich ihm diese leicht möglich sein müsste. Dass es hieran fehlt, drängt zu der Annahme, dass es derartige Änderungen der Umstände nicht gegeben hat.