SG Osnabrück

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Zitieren als:
SG Osnabrück, Beschluss vom 18.01.2008 - S 16 AY 30/03 ER - asyl.net: M12659
https://www.asyl.net/rsdb/M12659
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 48-Monats-Frist, Altfälle, Übergangsregelung, Analogie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Verwaltungsakt, Dauerwirkung
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, da die Bescheide vom 05.09.2003, 15.01.2004, 30.12.2004 und 08.12.2005 keine Dauerverwaltungsakte darstellen und damit eine Anordnung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs 17.12.2007 gegen die Bescheide vom 11.12.2007 das Antragsziel der Antragsteller nicht erreichen würde. Der Antrag der Antragsteller zu 1), zu 3) und zu 4) war dahingehend auszulegen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vorliegt, der konkrete Inhalt des Bescheides aus Sicht des Adressaten entscheidend (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b 1/06 R).

Diese Auslegung führt hier zu keinem eindeutigen Ergebnis: Zwar ist in dem Bescheid vom 05.09.2003 geregelt, dass die Leistungsgewährung "ab Datum ab" neu geregelt werde, was grundsätzlich für einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sprechen kann (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b 1/06 R, im Ergebnis aber offen gelassen). Auf der anderen Seite heißt es in den folgenden Bescheiden jeweils "mit Wirkung zum" was zumindest nicht derart in die Zukunft weist, wie es bei dem Wort "ab" der Fall ist.

Zum anderen befinden sich gerade in dem letzten Bescheid (vom 08.12.2005) lediglich einzelnen Berechnungsbögen, die im Gegensatz zu den Berechnungen in den anderen Bescheiden nicht "ab" einem gewissen Zeitpunkt gelten sollen. Diese Berechnungsbögen gehören zwar nicht direkt zur Regelung im Sinne des § 31 SGB X, können zur Auslegung aber herangezogen werden (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.12.2006, Az.: L 8 B 24/06 AY ER, das in dem zitierten Urteil aber davon ausgeht, dass die Berechnungsbögen im konkreten Fall nicht gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sprechen).

b) In einem solchen (nach der Auslegung offenen) Fall kann nicht von einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ausgegangen werden: Da das BSG an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 19.01.1972, Az.: V C 10/71) angeknüpft hat, ist davon auszugehen, dass im Zweifelsfall nicht von einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung auszugehen ist. Die Leistungen nach dem AsylbLG sind Sozialhilfeleistungen und damit Leistungen in einer besonderen Notsituation. Sie werden deshalb grundsätzlich nicht über längere, sondern nur für den nächstliegenden Zeitraum gewährt (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.10.2007, Az.: L 11 AY 64/05; zum Ausnahmecharakter einer Vorabentscheidung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.06.2007, Az.: L 11 AY 59/06 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG, Urteil vom 14.07.1998, Az.: 5 C 2/97). Die Gestaltung als Dauerverwaltungsakt muss sich demnach zweifelsfrei – beispielsweise durch Nennung eines konkreten Zeitraums – ergeben.

2. Die Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 S. 2 SGG sind vorliegend gegeben.

a) Die Antragsteller zu 1), 3) und 4) haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da für den vorliegenden Fall § 2 AsylbLG analog anzuwenden ist.

Dabei findet § 2 AsylbLG n. F. auf Fälle wie den vorliegenden, in dem über den Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG weitere zwölf Monate des Bezuges von Leistungen nach § 2 AsylbLG vorliegen, analog Anwendung (vgl. dazu bereits: SG Osnabrück, Beschluss vom 27.12.2007, Az.: 16 AY 28/07 ER). Diesbezüglich liegt im Gesetz eine planwidrige Regelungslücke vor (dazu unter aa); die Interessenlage ist vergleichbar (dazu unter bb; vgl. zu diesen Voraussetzungen der Analogie statt vieler: BSG, Urteil vom 27.06.2007, Az.: B 6 KA 24/06 R).

Der Gesetzgeber hat mit Einführung des § 2 Abs. 1 AsylbLG n. F. mit Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 28. August 2007 (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2, BGBl I 1970 (2007)) keine Übergangsregelung für die Behandlung derjenigen Ausländer vorgesehen, die bereits zuvor im jahrelangen Bezug von privilegierten Leistungen nach § 2 AsylbLG standen. Dies stellt eine Regelungslücke dar. Diese Regelungslücke ist zudem als unbewusst, also planwidrig, anzusehen, da sich weder aus dem Gesetz selbst, noch aus den Materialien ergibt, dass dieser Fall seitens des Gesetzgebers gesehen wurde.

Zwar wird teilweise darauf abgestellt, dass aus der fehlenden Regelung gerade zu folgen sei, dass "Altfälle" – wie der vorliegende – unter § 2 AsylbLG n.F. fallen und eine Regelungslücke nicht erkennbar sei. Dieser Ansicht folgt die Kammer indes nicht, da die fehlende Regelung von Altfällen nicht dazu führt, dass der Gesetzgeber diesen Fall auch wirklich regeln wollte. Dieser Wille ist nämlich – gerade mangels einer Übergangsvorschrift – nicht klar und deutlich aus dem Gesetz ersichtlich.

bb) Zudem liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. Im konkreten Einzelfall (der bereits vorliegenden Gewährung von Leistungen nach dem AsyblG über 48 Monate) tritt die Zeitkomponente und nicht die Gewährung der Leistungen nach § 3 AsylbLG in den Vordergrund.

Grund für die leistungsrechtliche Privilegierung nach einer Zeit von 48 Monaten ist in erster Linie, dass es sich bei einem Aufenthalt von über vier Jahren nicht mehr um einen rein vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland handelt, der jedoch Standardfall des Asylbewerberleistungsrechts sein soll (vgl. hierzu GK AsylbLG, § 2, Rdnr. 33 in Bezug auf die Bundestagsdrucksache 13/5008, S. 15, so auch die BT-Drucksache 16/5065, S. 232 zur vorliegenden Änderung, siehe oben).

Entscheidender Anknüpfungspunkt ist nach Ansicht der Kammer danach nicht ein abstraktes Tatbestandsmerkmal "Eintritt der Integration", sondern eine "zeitliche Verfestigung des Aufenthalts" wie es in der Bundestagsdrucksache heißt (BT-Drucks. 16/5065). Zwar ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass ein Integrationsbedarf für Hilfsempfänger nach dem AsylbLG grundsätzlich nicht gesehen wird, jedoch macht der Gesetzgeber gerade eine Ausnahme für den Fall der zeitlichen Verfestigung, die nach der Neufassung nun nach vier Jahren gesehen wird.

Damit liegt in der analogen Anwendung auch kein Widerspruch zu der AsylbLG Novelle 1997, bei der bereits integrierte Personen zurückgestuft wurden, da sich an der oben genannten Bundestagsdrucksache gerade zeigt, dass der Gesetzgeber nunmehr entscheidend an die zeitliche Verfestigung des Aufenthalts für die Privilegierung anknüpft. Dies zeigt auch deutlich die Anknüpfung des Gesetzgebers dieses Integrationsbedürfnis an den Ablauf der Frist des § 10 S. 3 BeschVerfV, da hierfür nicht der Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG entscheidend ist.

b) Die Antragsteller zu 1), 3) und 4) haben zudem einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.