VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 21.12.2007 - M 12 K 06.50711 - asyl.net: M12688
https://www.asyl.net/rsdb/M12688
Leitsatz:
Schlagwörter: Äthiopien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Diabetes mellitus, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, mittellose Kranke, Ausländerbehörde, Mitgabe von Medikamenten
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.

Die etwaigen Gefahren, in die der Kläger infolge seiner Diabetes-Erkrankung geraten könnte, sind als allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG anzusehen. Wie man dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 7. August 2006 – dort S. 23 – entnehmen kann, ist zumindest in Addis Abeba die medizinische Versorgung zufriedenstellend. Der Kläger wird deshalb dort einen hinreichend fachkundigen Arzt finden und dort auch die erforderlichen Medikamente zur Behandlung seiner Erkrankung grundsätzlich erhalten können. Eine adäquate Behandlung kann allenfalls daran scheitern, dass dem Kläger hierfür die erforderlichen finanziellen Mittel fehlen. Insoweit befindet er sich aber in einer Situation, die er mit vielen seiner Landleute teilt. Äthiopien ist ein sehr armes Land. Es existiert kein soziales Sicherungssystem und die Kosten für eine medizinische Behandlung werden nur eingeschränkt von Krankenversicherungen übernommen (Lagebericht, S. 23). Es ist deshalb anzunehmen, dass es in Äthiopien sehr viele kranke Menschen gibt, die eine ausreichende Behandlung nur deshalb nicht erhalten, weil sie nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, um ihre Erkrankung behandeln zu lassen. Diese Kranken, die ohne hinreichendes Einkommen und finanzielle Unterstützung – etwa durch Familienangehörige – keine hinreichende medizinische Versorgung erlangen können, bilden eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Denn Ursache dieser schwierigen Lebensbedingungen ist die wirtschaftliche und soziale Situation für die Bevölkerung insgesamt, die sich typischerweise in einem unterentwickelten medizinischen Versorgungssystem auswirkt (BayVGH v. 10.10.2000 - 25 B 99.32077; vgl. auch BVerwG v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 Buchholz - 402.240 § 53 AuslG Nr. 60).

Es liegt somit eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG vor, mit der Folge, dass Ansprüche nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich ausscheiden. Die Voraussetzungen, unter denen die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise zulässig ist, liegen nicht vor. Es kann nicht angenommen werden, dass der Kläger in Äthiopien in eine "extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde" (vgl. BVerwGE 99, 324 ff.), gerät.

Wie sich aus der Mitteilung des Landratsamts ... vom 27. November 2006 ergibt, ist die Ausländerbehörde bereit, die Kosten der vom Kläger benötigten Medikamente Avandamet und Simvastatin für ein Jahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Äthiopien zu übernehmen.

Dem Lagebericht zufolge (S. 23) bietet sich zumindest für diejenigen Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Zu dieser Gruppe gehört der Kläger. Er besitzt nach seinen eigenen Angaben im Asylerstverfahren eine zwölfjährige Schulbildung und hat schon allein aufgrund dieser für äthiopische Verhältnisse deutlich überdurchschnittlichen Schulbildung wesentlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als viele seiner Landsleute. Auch wenn er nicht aus Addis Abeba stammt, hat er hinreichende Möglichkeiten, in Addis Abeba Arbeit zu finden, sich also dort eine Existenz aufzubauen, wo er Zugang zu den erforderlichen Medikamenten hat.

Insgesamt kann man hier deshalb eine extreme Gefahrenlage im oben genannten Sinne nicht annehmen, weil dem Kläger nach Rückkehr zumindest für geraume Zeit die zur Behandlung der Diabetes-Erkrankung erforderlichen Medikamente zur Verfügung stehen und der Kläger hinreichende Möglichkeiten hat, sich für die Zeit danach den Zugang zu einer ausreichenden medizinischen Behandlung durch Arbeit zu finanzieren.