VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 18.12.2007 - 3 E 3824/06.A - asyl.net: M12698
https://www.asyl.net/rsdb/M12698
Leitsatz:

§ 60 Abs. 1 AufenthG schützt über das "religiöse Existenzminimum" hinaus auch vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wegen öffentlicher Religionsausübung; eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung durch eine Verletzung der Religionsfreiheit setzt eine Verletzung des "religiösen Existenzminimus" voraus; für Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirchen gehört die Mission in der Regel nicht zum integralen Bestandteil ihrer religiösen Existenz; keine hinreichende Verfolgungsgefahr im Iran für einfache Mitglieder von christlichen Kirchen nach Konversion.

 

Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, neue Beweismittel, Änderung der Rechtslage, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungsbegriff, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Religionsfreiheit, religiöses Existenzminimum, Verfolgungshandlung, Missionierung, Christen (evangelische), Konversion, Apostasie, exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Genfer Flüchtlingskonvention, Freikirchen, Assembly of God, Deutsches Orientinstitut, GIGA-Institut, Glaubwürdigkeit, Zumutbarkeit
Normen: VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; EMRK Art. 9; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5; AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

§ 60 Abs. 1 AufenthG schützt über das "religiöse Existenzminimum" hinaus auch vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wegen öffentlicher Religionsausübung; eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung durch eine Verletzung der Religionsfreiheit setzt eine Verletzung des "religiösen Existenzminimus" voraus; für Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirchen gehört die Mission in der Regel nicht zum integralen Bestandteil ihrer religiösen Existenz; keine hinreichende Verfolgungsgefahr im Iran für einfache Mitglieder von christlichen Kirchen nach Konversion.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage der Kläger zu 1) und 2) ist nicht begründet.

II. Die Kläger können sich auch nicht gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. VwVfG allein auf eine relevante Änderung der Rechtslage nach Abschluss des Erstverfahrens berufen. Die Anwendung der RL 2004/83/EG hätte für die Kläger auch dann nicht zu einem günstigeren Ergebnis geführt, wenn sie bereits der Entscheidung im Erstverfahren zugrunde gelegt worden wäre.

1. Unter Zugrundelegung der o.g. (unter I.) vom Gericht im Erstverfahren festgestellten Sachlage hätte auch die Anwendung der aufgrund § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. RL 2004/83/EG eingetretene Rechtslage nicht zu einer für die Kläger günstigeren Beurteilung geführt.

a. Die Rechtsänderung im Bereich der Religionsausübungsfreiheit, die von den Klägern im vorliegenden Verfahren geltend gemacht wird, besteht im wesentlichen darin, dass zu den nach Art. 10 Abs. 1 Lit. b RL 2004/83/EG geschützten Handlungen jetzt auch die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit gehört.

(1) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts kann sich eine die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung rechtfertigende Verfolgung allein aus einem Eingriff in die Religionsfreiheit nur ergeben, wenn diese nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzt. Dies ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn die Religionsfreiheit, gemessen an der umfassenden Gewährleistung, wie sie Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthält, Eingriffen und Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Diese müssen vielmehr ein solches Gewicht erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so genanntes religiöses Existenzminimum benötigt. Nur dann befindet sich der in seinem Heimatland Verfolgte in einer ausweglosen Lage, um derentwillen ihm das Flüchtlingsrecht Schutz im Ausland verheißt. Dieser auch als "forum internum" bezeichnete unverzichtbare und unentziehbare Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen umfasst die religiöse Überzeugung als solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf. Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit gehören nicht zum religiösen Existenzminimum (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, 2 BvR 478/89 u. a., BVerfGE 76, 143 158 f.; BVerwG, Urt. v. 20.1.2004, 1 C 9.03, InfAuslR 2004, 319, 320 ff.).

(2) Über dieses Verständnis der religiösen Verfolgung geht die Definition des Verfolgungsgrundes "Religion" in Art. 10 Abs. 1 Lit. b RL 2004/83/EG nach verbreiteter Ansicht – zumindest in Teilbereichen – hinaus. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Da die Religionsfreiheit hiernach die Teilnahme an religiösen Riten nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich erfasst, stimmt dieser Religionsbegriff jedenfalls nicht überein mit dem so genannten religiösen Existenzminimum (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 16.10.2006, 5 K 4336/06.A; Urt. v. 29.8.2006, 2 K 3001/06.A, juris; Urt. v. 15.8.2006, 22 K 350/05.A, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 19.10.2006, A 6 K 10335/04, juris; Hinweise des Bundesinnenministeriums vom 13.10.2006 zur Qualifikationsrichtlinie, S. 9.). Religiöse Riten sind die in einer Religionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale, die der religiösen Lebensführung dienen, insbesondere Gottesdienste, kultische Handlungen und religiöse Feste. Nach seinem ausdrücklichen Wortlaut schützt Art. 10 Abs. 1 lit. b RL 2004/83/EG nicht nur vor Verfolgung bei Teilnahme an privaten (Haus-)Gottesdiensten, sondern auch bei Teilnahme an Gottesdiensten, die in öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten (Kirchen) abgehalten werden. Für sonstige religiöse Betätigungen oder Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder die nach dieser vorgeschrieben sind, wird in Art. 10 Abs. 1 b RL 2004/83/EG die Einbeziehung des öffentlichen Bereiches nicht aufgegriffen. Als derartige religiöse Betätigung kann insbesondere die zielgerichtete Missionierung von Andersgläubigen anzusehen sein.

(3) Andererseits ist jedoch nach Art. 9 Abs. 1 Lit. a u. b RL 2004/83/EG nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch schon Verfolgung wegen der Religion, sondern sie muss sich als ernsthafter und intensiver Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen.

(a) Gemäß Art. 9 Abs. 1 a RL gelten als Verfolgung Handlungen, die so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs.2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (Art. 2, 3, 4 Abs.1 und 7 EMRK). Kein Zweifel besteht daran, dass dies der Fall ist, wenn die auf eine häuslich-private oder öffentliche Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich auch mit einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Betroffenen verbunden ist.

(b) Unklar ist in der Rechtsprechung jedoch, inwiefern in Fällen, in denen es an einer solchen Gefahr fehlt, als schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts auch eine Verletzung der Religionsausübungsfreiheit als solcher (Art. 9 EMRK) – etwa durch völliges Verbot bestimmter Aktivitäten – in Betracht kommt. Einige Gerichte verwenden in diesem Zusammenhang die Formulierung "wenn dies zu einer entsprechenden Ausgrenzung führt" (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 21.6.2006, A 2 S 571/05, AuAS 2006, 175; VG Hamburg, Urt. v. 17.7.2007, 10 A 918/05, juris, Rn. 26; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.3.2007, 5 K 2699/06.A, juris, Rn. 36; VG Meiningen, Urt. v. 10.1.2007, 5 K 20256/03.Me, juris, Rn. 33) oder wenn "unabdingbare Elemente des religiösen Selbstverständnisses des Betroffenen in Rede stehen" (OVG Bautzen, Urt. v. 28.3.2007, A 2 B 38/06). Andere Gerichte stellen darauf ab, dass eine solch intensive Verletzung der Religionsfreiheit, die einem Eingriff in Leben, Leib oder Freiheit gleich gesetzt wird, nur erreicht sein kann, wenn durch den Eingriff das religiöse Existenzminimum nicht mehr gewährleistet wird (VG München, Urt. v. 22.1.2007, M 9 K 06.51034, juris, Rn. 33; VG Arnsberg, Urt. v. 26.1.2007, 12 K 1938/06.A, juris, Rn. 42–44).

(c) Die letztere Auffassung erscheint überzeugend. Wenn die Religionsfreiheit im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als "grundlegendes Menschenrecht" neben Leben, Leib und Freiheit angesehen wird, dann kann nicht außer Betracht bleiben, dass nicht jeder Eingriff in den Schutzbereich nach Art. 10 Abs. 1 Lit. b RL 2004/83/EG auch als "schwerwiegender Eingriff" i. S. d. Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG angesehen werden kann. Dies läuft auf das von BVerfG und BVerwG herausgearbeitete religiöse Existenzminimum hinaus, bei dessen Verletzung zugleich die Menschenwürde betroffen ist. Eine Flüchtlingsanerkennung aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung kommt danach dann in Betracht, wenn diese zu einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit oder für den Kernbereich der Religionsausübung selbst führt, also Sanktion für die öffentliche Betätigung der Verzicht auf das religiöse Bekenntnis solches oder auf den Austausch mit Gleichgesinnten außerhalb der Öffentlichkeit drohen würde. Diese Sichtweise führt weder zu einer Vermischung von geschützter Aktivität nach Art. 10 RL 2004/83/EG und Art der Eingriffsmaßnahme nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG (so aber VG Hamburg, Urt. v. 17.7.2007, 10 A 918/05, juris, Rn. 25) noch belässt sie die Rechtslage trotz Inkrafttretens der RL 2004/83/EG unverändert (so wohl OVG Saarland, Urt. v. 26.6.2007, 1 A 222/07, juris, Rn. 54), denn dem religiösen Existenzminimum kommt nach diesem Verständnis eine andere Funktion als bisher zu. Während nunmehr eine religiöse Betätigung in der deutschen Öffentlichkeit, die nach der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder das religiöse Existenzminimum führt, nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützt ist, wäre sie früher nur von § 60 Abs. 2–7 AufenthG und im Falle der Bedrohung nur des Existenzminimums überhaupt nicht erfasst worden, mit entsprechenden weiteren Folgen etwa für den Schutz Familienangehöriger gem. § 26 Abs. 4 AsylVfG. Während jetzt eine religiöse Betätigung in der iranischen Öffentlichkeit bei entsprechender Gefahrenlage nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützt ist, wäre früher ein Verzicht auf diese Betätigung im Iran als zumutbar angesehen worden.

b. Das ablehnende Ergebnis im Erstverfahren beruht indessen nicht darauf, dass bereits damals geltend gemachte Aktivitäten der Kläger in der Öffentlichkeit, die nunmehr von Art. 10 Abs. 1 Lit. b RL 2004/83/EG erfasst werden, vom Bundesamt oder vom Verwaltungsgericht damals nicht dem Schutz des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) unterstellt worden wären.

(a) Sowohl das Bundesamt als auch das Verwaltungsgericht stützen ihre Entscheidung im Ergebnis ausdrücklich darauf, dass eine dem Forum Externum unterfallende Missionstätigkeit in der Öffentlichkeit von den Klägern nicht vorgetragen sei bzw. nicht vorliege. Daher kam es für die jeweilige Entscheidung auf die Frage gar nicht mehr an, ob solche Missionstätigkeiten, wenn sie vorgelegen hätten, aufgrund der damaligen Rechtslage nicht zum Forum Internum gehört und damit nicht dem Schutz des Art. 16a Abs. 1 GG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG unterlegen hätten.

III. Auch soweit sich die Kläger aufgrund erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 7.12.2007 vorgetragener Umstände gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. VwVfG nunmehr zusätzlich auf eine Änderung der Sachlage berufen, d.h. auf Umstände, die erst nach unanfechtbarem Abschluss des Erstverfahrens am 25.8.2004 eingetreten sind, ergibt sich keine für sie günstigere Entscheidung.

1. Die Kläger können sich weder auf Art. 16a GG noch auf § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. Art. 4 Abs. 4, Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG berufen.

a. Diese Ansprüche scheiden im vorliegenden Fall bereits deshalb aus, weil der neue Vortrag der Kläger zur Missionierungsarbeit gem. § 51 Abs. 3 VwVfG verfristet ist.

c. Die Berufung auf § 60 Abs. 1 AufenthG ist zudem gem. § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen.

(2) An der Anwendbarkeit von § 28 Abs. 2 AsylVfG hat sich durch die RL 2004/83/EG nichts geändert, denn diese erlaubt gem. Art. 5 Abs. 3 ausdrücklich eine solche Regelung durch die Mitgliedstaaten (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 16.6.2006, 9 LB 104/06). Auch aus Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention ergibt sich nicht, dass der bei Ausschluss des § 60 Abs. 1 AufenthG durch § 60 Abs. 2–7 AufenthG weiterhin gewährleistete Abschiebeschutz nicht ausreichend wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986, 2 BvR 1058/85, juris). Auch aus § 60 Abs. 1a AsylVfG ergibt sich nichts anderes, da dies nur klarstellt, dass subjektive Nachfluchtgründe im Erstverfahren nach wie vor relevant sind.

2. Die Kläger hätten im Übrigen auch dann, wenn die Vorschriften auf sie Anwendung fänden, keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft gem. § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art. 4 Abs. 4, Art. 7 bis 10 RL 2004/83/EG (oder die Anerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG, was im Folgenden nicht getrennt geprüft wird).

a. Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie im Fall ihrer Rückkehr in den Iran aufgrund von Umständen, die sie nach ihrer Ausreise durch eigenes Verhalten herbeigeführt haben (subjektive Nachfluchtgründe; vgl. Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG), insbesondere ihre behauptete Missionstätigkeit im Rahmen der dortigen Gemeinde mit der insofern zu fordernden überwiegenden Wahrscheinlichkeit von relevanten Verfolgungshandlungen gem. § 60 Abs. 1 S. 1 u. S. 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 RL 2004/83/EG aus relevanten Verfolgungsgründen gem. § 60 Abs. 1 S. 1 u. S. 5 AufenthG i. V. m. Art. 10 RL 2004/83/EG durch einen relevanten Verfolgungsakteur gem. Art. 6 RL 2004/83/EG betroffen sein werden.

c. Weder die von den Klägern behauptete Missionstätigkeit in Deutschland noch eine Fortführung dieser Tätigkeit nach einer Rückkehr in den Iran begründen nach der insoweit bestehenden Auskunftslage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung der Kläger in einer nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG relevanten Weise im Falle ihrer Rückkehr in den Iran. Es ist nicht ersichtlich, dass ihnen eine Verletzung von Leben, Leib oder Freiheit durch iranische Behörden oder durch Dritte droht.

(3) Zusammenfassend ergibt sich danach Folgendes:

(a) Das Gericht geht aufgrund der oben (unter (2)) dargestellten Auskünfte davon aus, dass im Iran ein Missionierungsverbot gilt, das von den traditionell dort ansässigen Kirchen eingehalten wird, da diese sich grundsätzlich nur an die Angehörigen ihrer eigenen ethnischen Minderheit wenden. Verstärkte Aufmerksamkeit iranischer Behörden gilt denjenigen Kirchen – meist protestantischer Ausrichtung – die auch Konvertiten aufnehmen. Dabei ist nochmals zwischen den iranischen Niederlassungen protestantischer Großkirchen (Presbyterianer, Anglikaner, Lutheraner) und den evangelikalen Freikirchen zu unterscheiden, wobei für letztere aggressive Missionsarbeit auch im Iran wesentliche Bedeutung hat. Die insoweit in den Auskünften berichteten staatlichen Maßnahmen richten sich im Wesentlichen gegen diese Freikirchen mit Ursprung in den USA, in der großen Mehrzahl speziell gegen die hieraus nochmals als besonders aktiv hervorzuhebende Assembly of God. Die in den Auskünften berichteten Maßnahmen bewegen sich indessen entweder unterhalb der Schwelle der Verletzung von Leben, Leib oder persönlicher Freiheit (Drangsalierung, Diskriminierung, Belästigung). Auskünfte zu konkreten Maßnahmen dazu (Ausweiskontrollen, Gottesdienstbeschränkungen auf Sonntage etc.) beziehen sich ihrerseits im wesentlichen mittelbar auf eine einzelne Quelle, nämlich einen Bericht des US-Außenministeriums, während das Auswärtige Amt – aufgrund von direkten Auskünften aus dem Iran und insofern zuverlässiger – davon ausgeht, dass solche Maßnahmen schon seit 10 Jahren überhaupt nicht mehr erfolgen. Soweit Maßnahmen die o.g. Schwelle überschreiten, richten sie sich – jedenfalls soweit konkrete Fälle benannt werden können – allein gegen Führungspersönlichkeiten und Priester evangelikaler Kirchen. Soweit in einzelnen Auskünften zumindest implizit behauptet wird, Missionierungsarbeit führe auch bei einfachen Gemeindemitgliedern und auch bei solchen nichtevangelikaler Kirchen zur Gefährdung oder sogar zu Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit, sind hierfür keine Referenzfälle berichtet. Selbst amnesty international räumt ein, dass nicht gesagt werden könne, durch welche Aktivitäten die Schwelle überschritten wird, jenseits derer der iranische Staat möglicherweise auch gegen einfache missionierende Gläubige einschreiten würde und in welcher Weise dies dann geschähe. Entsprechende Aussagen in einzelnen Auskünften sind daher jeweils spekulativ. Wollte man trotz des Fehlens von Referenzfällen auf ein Gefährdungspotential einfacher Gemeindemitglieder schließen, dann könnte dies nur angenommen werden bei Personen, die hervorgehoben und erkennbar in der iranischen Öffentlichkeit für den christlichen Glauben werben, insbesondere für Angehörige von Freikirchen. Besteht eine solche Gefährdung schon im Falle einer Missionierung im Iran selbst nur unter den genannten Voraussetzungen, so gilt dies um so mehr für eine Missionierungstätigkeit im Ausland.

(b) Das gelegentlich gebrauchte Dunkelzifferargument, wonach es Verfolgung einfacher Gemeindemitglieder wegen Missionierung tatsächlich gebe, diese aber in der Öffentlichkeit nicht bekannt werde (vgl. z. B. VG Hamburg, Urt. v. 17.7.2007, 10 A 918/05, juris, Rn. 38) überzeugt nicht. Zum einen dienen die oben (III.2.c.(2d)) dargestellten Übergriffe auf Priester und Kirchenführer offenkundig der Abschreckung. Es ist insofern kein Grund ersichtlich, weshalb iranische Behörden eventuelle Übergriffe, wenn sie tatsächlich stattfänden, geheim halten sollten. Im Gegenteil läge eine möglichst weite Bekanntheit solcher Maßnahmen in deren Interesse. Im Übrigen ist der Iran im Medienzeitalter kein abgeschottetes Land. Insbesondere verfügen die im Iran ansässigen Kirchen durchweg selbst über Verbindungen ins Ausland. Auch ist nicht ersichtlich, dass es in ihrem Interesse läge, Übergriffe auf ihre Gläubigen geheim zu halten. Es ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, dass jedenfalls seit über 10 Jahren keine entsprechenden Referenzfälle berichtet werden, wenn es diese tatsächlich gäbe (vgl. z. B. OVG Bautzen, Urt. v. 10.12.2002, A 2 B 771/02, juris, Rn. 57). Dies gilt um so mehr, als – wie aus der Auskunftslage ersichtlich – Missionierung zumindest durch evangelikale Freikirchen in dieser Zeit tatsächlich stattgefunden hat.

(c) Soweit sich die Kläger gegen die Verwertung der in der Quellenliste enthaltenen Auskünfte des Gutachters S. für das ehemalige Deutsche Orient-Institut Hamburg (jetzt GIGA Institut für Nahost-Studien) verwahrt haben und der Auffassung sind, dieser sei für eine Gutachtertätigkeit zur Situation im Iran nicht kompetent, hierfür aber keine konkreten Nachweise vorlegen, geht das Gericht – angesichts der als allgemein bekannt vorauszusetzenden Trennung des GIGA-Instituts von diesem Gutachter und ihrer veröffentlichten Hintergründe – davon aus, dass die entsprechenden Auskünfte nicht generell als irrelevant zu betrachten, sondern ggf. im Einzelfall kritisch zu bewerten sind, insbesondere soweit sie sich nicht mit den ansonsten vorliegenden Auskünften decken.

d. Die Kläger zu 1) und 2) können sich auf eine mögliche Gefährdung durch Missionierungsaktivitäten im Iran schließlich auch deshalb nicht berufen, weil ihnen im vorliegenden Fall zugemutet werden kann, auf Aktivitäten dieser Art im Iran überhaupt zu verzichten.

(1) Der Schutz einer religiös motivierten Betätigung innerhalb oder außerhalb der Öffentlichkeit setzt voraus, dass die Kläger durch ein Unterlassen oder eine Beschränkung dieser Betätigungen im Iran in ihrer religiös-personalen Identität betroffen wären, d.h. diese Betätigungen für sie unverzichtbar sind. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 20.1.2004, 1 C 9 /03, juris, Rn. 22) ist stets die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des während eines Asylverfahrens im Ausland vollzogenen Glaubenswechsels vom Gericht zu prüfen. Danach ist auch im Rahmen eines Anspruchs nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu prüfen (vgl. VGH München, Beschl. v. 13.3.2007, 14 ZB 07.30140, juris, Rn. 1; OVG Saarland, Urt. v. 26.6.2007, 1 A 222/07, juris Rn. 55–80; OVG Hamburg, Urt. v. 24.3.2006, 1 Bf 15/98.A, juris; OVG Bautzen, Urt. v. 24.4.2007, A 2 B 832/05; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.4.2006, 5 LB 106/02, juris; VG Ansbach, Urt. v. 23.1.2007, AN 3 K 06.30870, juris, VG Augsburg, Urt. v. 18.6.2007; Au 7 K 06.30384, juris, Rn. 22 ff), ob der Konvertit seinen Glauben nicht nur – etwa aus auf ein Bleiberecht bezogenen taktischen Gründen – durch einen bloß formalen Akt, sondern aus religiöser Überzeugung gewechselt hat und durch den neuen Glauben in seiner religiösen Identität geprägt wird.

(2) Das Gericht ist aufgrund des Vortrags der Kläger, insbesondere aufgrund ihrer Antworten in der Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht zu der Überzeugung gelangt, dass sie mit dem durch Taufe formal vollzogenen Beitritt zu einer evangelisch-lutherischen Gemeinde eine echte, sie in ihrer religiös-personalen Identität erfassende und auch nach einer Rückkehr nachhaltig wirkende Hinwendung zum christlichen Glauben vollzogen haben.

(3) Das Gericht ist aufgrund des Vortrags der Kläger und aufgrund ihrer Antworten in der Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung insbesondere auch nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Ausübung der von ihnen als Missionierung bezeichneten Aktivitäten Teil ihrer religiös-personalen Identität, d.h. dass diese Betätigungen für sie unverzichtbar ist.

(b) Die Kläger haben sich in Deutschland evangelisch-lutherisch taufen lassen und sind einer evangelisch-lutherischen Gemeinde beigetreten. Die lutherische Kirche, wie dem Gericht aus eigener Zugehörigkeit bekannt, schreibt der Mission nach den vier Eckpfeilern der lutherischen Theologie ("sola gratia", "sola fide", "sola scriptura" und "solus Christus") und auch im alltäglichen Gemeindeleben der einfachen Mitglieder jedenfalls keine hervorgehobene Bedeutung zu. Hätte die Missionierung für sie eine hervorgehobene oder gar unverzichtbare Bedeutung, so wäre es für die Kläger nahe liegend gewesen, sich stattdessen in Deutschland einer evangelikalen Freikirche anzuschließen, für die auch im Alltagsleben die Gewinnung neuer Gemeindemitglieder einen elementaren Auftrag darstellt. Das Gericht verweist zu den Einzelheiten auf die Auskunftslage zu den Unterschieden zwischen freikirchlichen und anderen protestantischen Gemeinden im Iran (vgl. oben III.2.c.(2b)). Da die Kläger sich keiner evangelikalen Kirche angeschlossen haben, erscheint ihr Vortrag, Mission sei für sie ein zentrales Anliegen, als nicht überzeugend.

3. Die Voraussetzungen der somit allein in Frage kommenden Abschiebungsverbote bzw. des subsidiären Schutzes gem. § 60 Abs. 2 u. 3, Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Art. 6–8 RL 2004/83/EG, § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK oder § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG liegen bei den Klägern nicht vor, so dass ein Wiederaufgreifen auch insoweit kein für die Kläger günstigeres Ergebnis zeitigen könnte.

(3) Der Schutz durch § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 EMRK geht zwar über den Schutz von Leib, Leben und Freiheit grundsätzlich hinaus, beschränkt sich aber auch unter der Geltung der RL 2004/83/EG wie bisher auf das "Forum Internum" (vgl. z.B. OVG Bautzen, Urt. v. 24.4.2007, A 2 B 832/05; VG Gießen, Urt. v. 1.11.2007, 5 E 1619/07.A, juris, Rn. 20–22). Demzufolge ist eine öffentliche religiöse Betätigung im Heimatland durch diese Vorschrift grundsätzlich nicht geschützt. Die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 25.5.2000, 9 C 34/99, juris) ging davon aus, dass der Verweis des § 60 Abs. 5 AufenthG auf Art. 9 EMRK (der selbst auch öffentliche Betätigungen umfasst) sich nur auf den Kernbereich der Religionsausübung bezieht. Daran hat sich durch das Inkrafttreten der RL 2004/83/EG nichts geändert. Denn § 60 Abs. 5 AufenthG ist als Abschiebeverbot ausgestaltet, was nach dem Sprachgebrauch der RL 2004/83/EG der Gewährung – gegenüber der Flüchtlingsanerkennung – subsidiären Schutzes entspricht. Der insoweit grundlegende Art 18 RL 2004/83/EG verweist aber selbst nicht auf Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG, aus dem sich nach allgemeiner Ansicht die Einbeziehung des Forum Externum in den Schutzbereich ergibt. Denn Art. 18 RL 2004/83/EG verweist nicht auf das 3. Kapitel der RL, in dem sich Art. 10 befindet. Man kann auch sagen, dass die RL selbst insoweit den Umfang des von ihr gewährten subsidiären Schutzes begrenzt. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 9 EMRK kann daher keinen weitergehenden Schutz gewähren, als sie ihn vor Inkrafttreten der Richtlinie gewährte und als die Richtlinie dies selbst tut.