VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 06.12.2007 - A 4 K 1510/06 - asyl.net: M12718
https://www.asyl.net/rsdb/M12718
Leitsatz:

Asyl- und Flüchtlingsanerkennung für unverfolgt ausgereistes, ehemaliges Mitglied der LTTE wegen Verfolgungsgefahr in Sri Lanka durch Regierung und LTTE.

 

Schlagwörter: Sri Lanka, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, politische Entwicklung, Bürgerkrieg, Anti-Terrorismus-Gesetz, Tamilen, Colombo, LTTE, Mitglieder, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Karuna-Gruppe, UTE, Buchhalter, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Situation bei Rückkehr
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Asyl- und Flüchtlingsanerkennung für unverfolgt ausgereistes, ehemaliges Mitglied der LTTE wegen Verfolgungsgefahr in Sri Lanka durch Regierung und LTTE.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Nachdem der Kläger nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) gestellt hat, ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 AsylVfG).

Diese Voraussetzungen sind gegeben, denn die tatsächliche Situation in Sri Lanka hat sich nachträglich in einer Weise verschlechtert hat, dass im nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr eine asylrelevante politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG und in gleicher Weise eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG droht, so dass er nicht nur als Asylberechtigter anzuerkennen ist, sondern ihm zugleich die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen ist.

Seit Ende des Jahres 2006 befindet sich das Land nach den Ausführungen des Auswärtigen Amtes im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka vom 26.06.2007 (künftig: Lagebericht) faktisch wieder im Bürgerkriegszustand mit andauernden Auseinandersetzungen zwischen der srilankischen Armee und der LTTE im Osten und Norden des Landes, wobei zunehmend auch der Süden Ziel von Anschlägen und Attentaten ist. Im Dezember 2006 wurde die Anti-Terror-Gesetze teilweise wiedereingeführt. Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen ist seitdem angestiegen. Nach dem erwähnten Lagebericht des Auswärtigen Amtes müssen Sri-lanker, die in der Vergangenheit seitens der Sicherheitskräfte oder der LTTE verfolgt wurden, seit Ende Dezember 2006 mit erneuter Verfolgung und Beeinträchtigung ihrer Sicherheit rechnen. Diese Gefahr besteht nicht nur im Norden und Osten der Insel, sondern auch in den vom Bürgerkriegskonflikt bislang weitgehend verschonten Gebieten des Landes, also vor allem auch in Colombo. Razzien und nächtliche Verhaftungsaktionen von Tamilen, die mittlerweile einem Generalverdacht der Zugehörigkeit zur LTTE unterliegen, nehmen zu. Von den Sicherheitskräften begangene Gewaltverbrechen werden nicht mehr untersucht und schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht verfolgt. Die LTTE ihrerseits verübt landesweit Mordanschläge auf alle, die sich ihrem absoluten Herrschafts- und Alleinvertretungsanspruch für alle Tamilen widersetzen, mit Drohungen und Gewalt werden Tamilen zum Beitritt oder zur Zahlung von Schutzgeldern erpresst. Diese Gefahr besteht landesweit. Die Karuna-Gruppe, die im Osten des Landes den Staat als Inhaber des Gewaltmonopols abgelöst hat, geht in ähnlich brutaler Weise wie die LTTE gegen Gegner oder Personen vor, die sich ihr in den Weg stellen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: Lagebericht vom 26.06.2007).

Auf der Grundlage der beschriebenen Lage in Sri Lanka hat der Kläger, obwohl er unverfolgt ausgereist war, nunmehr eine politische Verfolgung durch den srilankischen Staat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Denn das Gericht nimmt dem Kläger als glaubhaft ab, dass dieser von 1997 bis Anfang 2003 Mitglied der LTTE war und er seit 1999 als eine Art Buchhalter für die LTTE gearbeitet hat.

Daneben besteht für den Kläger auch die begründete Befürchtung, bei einer Rückkehr durch nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 c AufenthG verfolgt zu werden. Der Kläger hat die UTE ohne Erlaubnis Anfang 2003 verlassen. Bereits im Jahre 2004, nachdem Karuna sich abgespalten hat, hat die UTE nach ihm gesucht. An anderer Stelle wurde bereits dargestellt, dass der srilankische Staat nicht in der Lage bzw. willens ist, Übergriffen der LTTE wirksam zu begegnen bzw. Tamilen staatlichen Schutz zu gewährleisten. Diese Situation besteht nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.06.2007 nunmehr auch landesweit, so dass der Kläger nicht mehr, wie noch im ersten Asylverfahren, darauf verwiesen werden kann, etwa in Colombo hinreichenden Schutz vor Übergriffen durch die LTTE finden zu können. Unabhängig von dieser für den Kläger aufgrund des unerlaubten Verlassens der LTTE erhöhten Verfolgungsgefahr müssen nach dem zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes Rückkehrer aus dem westlichen Ausland landesweit - ohne Möglichkeit der Schutzgewährung durch den srilankischen Staat - damit rechnen, dass sie von der LTTE mit Drohungen oder Gewalt, die sich als Folter bzw. Mord darstellen kann, zu deren Unterstützung durch Beitritt oder Zahlung von Schutzgeldern erpresst werden.