VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.02.2008 - 11 S 2694/07 - asyl.net: M12853
https://www.asyl.net/rsdb/M12853
Leitsatz:

Bei einer Widerrufsentscheidung nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG steht die Bindungswirkung einer Feststellung des Bundesamts zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG 1990 (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) der Berücksichtigung von Reintegrationsschwierigkeiten eines Ausländers in seinem Heimatland nur insoweit entgegen, als daraus kein Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 AufenthG abgeleitet werden darf. Allerdings haben solche unterhalb der Erheblichkeitsschwelle eines Abschiebungsverbots oder Abschiebungshindernisses liegenden Schwierigkeiten gegenüber dem öffentlichen Interesse am Widerruf des Aufenthaltstitels regelmäßig kein überwiegendes Gewicht.

 

Schlagwörter: D (A), Widerruf, Niederlassungserlaubnis, besonderer Ausweisungsschutz, Ermessen, Ablehnungsbescheid, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Bundesamt, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Prüfungskompetenz, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 52 Abs. 1 Nr. 4; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 56 Abs. 1
Auszüge:

Bei einer Widerrufsentscheidung nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG steht die Bindungswirkung einer Feststellung des Bundesamts zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG 1990 (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) der Berücksichtigung von Reintegrationsschwierigkeiten eines Ausländers in seinem Heimatland nur insoweit entgegen, als daraus kein Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 AufenthG abgeleitet werden darf. Allerdings haben solche unterhalb der Erheblichkeitsschwelle eines Abschiebungsverbots oder Abschiebungshindernisses liegenden Schwierigkeiten gegenüber dem öffentlichen Interesse am Widerruf des Aufenthaltstitels regelmäßig kein überwiegendes Gewicht.

(Amtliche Leitsätze)

 

Der rechtzeitig gestellte und begründete, auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Aus den vom Kläger dargelegten Gründen bestehen - auch bei Beachtung verfassungsrechtlicher Anforderungen (BVerfG, Beschlüsse vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392 und vom 08.03.2001 - 1 BvR 1653/99 -, DVBl. 2001, 894) - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

a) Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers als rechtliche Grenze der Ausübung des Widerrufsermessens des Beklagten anzusehen. Das der Ausländerbehörde nach § 52 Abs. 1 AufenthG eröffnete Ermessen ist weder in direkter noch in analoger Anwendung noch bei einer "wertenden Betrachtung" des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG darauf beschränkt, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widerrufen werden könnte (vgl. hierzu ausführlich Senatsbeschluss vom 10.11.2005 - 11 S 650/05 -, VBlBW 2006, 282 und Urteil vom 26.07.2006 - 11 S 951/06 -, VBlBW 2006, 442). Denn der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 AufenthG schützt die von dieser Vorschrift erfassten Ausländer vor unverhältnismäßigen Eingriffen in eine besonders schutzwürdige Aufenthaltsposition. Demgegenüber knüpft der Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG daran an, dass ein von Anbeginn an auf den Zufluchtgedanken gegründetes Aufenthaltsrecht mit dem Wegfall der Asylanerkennung oder der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des betroffenen Ausländers seine ursprüngliche Rechtfertigung verliert (zur grundsätzlichen Unzulässigkeit der Übertragung von spezifischen aufenthaltsrechtlichen Regelungen auf andere Problemlagen nach dem Aufenthaltsgesetz vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 - 1 C 13/02 -, BVerwGE 117, 380 ff.). Die Regelung über das Widerrufsermessen in § 52 Abs. 1 AufenthG ist daher als eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung zur Berücksichtigung der jeweiligen Interessen anzusehen. Dabei darf die Ausländerbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass nach dem Wegfall der Asylberechtigung oder der Flüchtlingseigenschaft regelmäßig ein gewichtiges öffentliches Interesse an dem Widerruf des hierauf gegründeten Aufenthaltsrechts besteht. Sie muss diesem Interesse jedoch im Einzelfall die insbesondere durch die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen geprägten schutzwürdigen Belange des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegenüber stellen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2003, a.a.O.).

b) Entgegen der Auffassung des Klägers stellt sich die Widerrufsentscheidung des Beklagten auch nicht deshalb als ermessensfehlerhaft dar, weil der Beklagte seine Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Angola nicht im Einzelnen berücksichtigt, sondern insoweit auf die Bindungswirkung der Feststellung zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG 1990 in dem Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) verwiesen hätte. Zwar ist der Beklagte ebenso wie das Verwaltungsgericht - zu Recht (vgl. etwa Urteil des Senats vom 22.02.2006 - 11 S 1066/05 -, juris) - davon ausgegangen, dass die Ausländerbehörde auch beim Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis nach § 42 Satz 1 AsylVfG an die Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.12.2004 über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG gebunden ist. Hieraus hat er aber nur abgeleitet, dass die vom Kläger dargelegten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei einer Rückkehr nach Angola keine konkrete Gefahr für dessen Leib, Leben oder Freiheit und damit keinen Duldungsgrund im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG begründen können, sondern im Rahmen der Widerrufsentscheidung als Schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, die unterhalb dieser Schwelle liegen.

Entgegen der Auffassung des Klägers haben seine Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die Lebensverhältnisse in Angola kein gegenüber dem Interesse an dem Widerruf seiner Aufenthaltserlaubnis überwiegendes Gewicht. Zwar sind Schwierigkeiten eines Ausländers in seinem Heimatland bei der Ausübung des Widerrufsermessens insoweit ohne Verstoß gegen die Bindungswirkung eines entsprechenden negativen Bundesamtsbescheids als schutzwürdiger persönlicher Belang an einem weiteren Verbleib in den Blick zu nehmen, als diesen ein Gewicht unterhalb der Schwelle eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zukommt (vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom 05.03.2007 - 10 ME 64/07 -, juris sowie allgemein zur Berücksichtigung von Schwierigkeiten im Heimatland Hess. VGH, Beschluss vom 28.03.2003 - 12 ZU 2805/02.A -, InfAuslR 2003, 400; Hailbronner, AuslR, A 1, § 52 AufenthG Rn. 32; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 52 AufenthG Rn. 10). Allerdings kommt diesen Schwierigkeiten für sich genommen gegenüber dem öffentlichen Interesse am Widerruf einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Wegfall der Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen regelmäßig kein überwiegendes Gewicht zu. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass Schwierigkeiten eines Ausländers in seinem Heimatland grundsätzlich nur dann als Grund für einen Verbleib im Bundesgebiet angesehen werden, wenn diese aufgrund ihres Charakters und ihrer Intensität entweder zu einer - hier gerade widerrufenen - Anerkennung als Asylberechtigter oder als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention führen oder aber den Tatbestand eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG erfüllen. Zum anderen ist maßgeblich, dass bei der Ausübung des Widerrufsermessens nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vor allem den schutzwürdigen Belangen des Ausländers Rechnung getragen werden soll, die aufgrund der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und der während dieses Aufenthalts geschaffenen schutzwürdigen Bindungen im Bundesgebiet entstanden sind (vgl. hierzu grundsätzlich zu § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG 1990 BVerwG, Urteil vom 20.02.2003, a.a.O. sowie das Urteil des Senats vom 26.07.2006 - 11 S 951/06 -, VBlBW 2006, 442). Gerade solche schutzwürdigen Bindungen sind aber im Fall des Klägers nicht ersichtlich.