VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11.02.2008 - 11 L 63/08 - asyl.net: M12878
https://www.asyl.net/rsdb/M12878
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, persönliches Erscheinen, Auslandsvertretung, Folgeantrag, Asylantrag, Mitteilung, Bundesamt, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Passpflicht, Rechtsgrundlage, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Rechtsschutzbedürfnis, Erledigung, Vollstreckung, unmittelbarer Zwang, Androhung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; AG VwGO § 8; AufenthG § 82 Abs. 4; AsylVfG § 71 Abs. 5 S. 2; AsylVfG § 42; OBG NRW § 14; AufenthG § 3
Auszüge:

Der dem Beschlussausspruch entsprechende Antrag der Antragsteller hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen die Anordnung des persönlichen Erscheinens im Generalkonsulat der türkischen Republik in F. (Ziffer 1) sowie die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs für den Fall der Nichtbefolgung (Ziffer 2) in den jeweiligen Bescheiden des Antragsgegners vom 9. Januar 2008 ist statthaft. Es handelt sich um die Antragsteller belastende Verwaltungsakte, die dem Regelungsbereich des § 80 VwGO zuzuordnen sind. Der Klage kommt gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bzw. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 8 AG VwGO NRW keine aufschiebende Wirkung zu.

Dem Rechtsschutzinteresse der Antragsteller an einer Entscheidung steht nicht entgegen, dass der in der Ordnungsverfügung des Beklagten vorgegebene Termin für einen begleiteten Besuch der Antragsteller im Generalkonsulat am 22. Januar 2008 (bzw. laut ergänzender Ordnungsverfügung vom 17. Januar 2008 am 21. Januar 2008) inzwischen verstrichen ist. Die Verpflichtung der Antragsteller zum persönlichen Erscheinen hat sich hierdurch nicht erledigt. Nach der Begründung des Antragsgegners zu Ziffer 1 der jeweiligen Ordnungsverfügung dient diese der Beschaffung von (Heim-) Reisepapieren der Antragsteller. Diese haben sich um Erhalt solcher Papiere nicht freiwillig bemüht. Die Ausstellung von Passersatzpapieren durch das türkische Generalkonsulat in F. setzt nach einer Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund vom 9. Januar 2008 die persönliche Vorsprache der Antragsteller dort voraus. Diese Zielsetzung des Antragsgegners hat sich nach dem 21. Januar 2008 nicht erledigt, wie sich aus dem Regelungszusammenhang mit Ziffer 2 der Ordnungsverfügung ergibt. Die dort ausgebrachte Zwangsmittelandrohung zeigt, dass der Antragsgegner die vollziehbare Verpflichtung nach Ziffer 1 der Ordnungsverfügung durchzusetzen beabsichtigt. Dies setzt aber notwendig das Fortwirken der Verpflichtung über den bestimmten Termin hinaus voraus.

Der Antrag ist auch begründet.

Die angefochtenen Regelungen werden voraussichtlich keinen Bestand haben, weil die Antragsteller derzeit nicht verpflichtet sind, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.

1. Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des persönlichen Erscheinens jeweils in Ziffer 1 der Ordnungsverfügungen vom 9. Januar 2008 ist § 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

Die persönliche Vorsprache im türkischen Generalkonsulat dient der Beschaffung von Passersatzpapieren für eine notfalls erforderlich werdende Abschiebung der Antragsteller in die Türkei, mithin der Vorbreitung und Durchführung einer Maßnahme nach dem AufenthG. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Abschiebung der Antragsteller sind derzeit aber nicht gegeben.

Aufgrund des mit Schriftsatz vom 13. September 2005 gestellten - zweiten - Asylfolgeantrags finden die Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) Anwendung. Danach sind die Antragsteller zwar bereits seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Gem. § 71 Abs. 5 Satz 2 1. Halbsatz AsylVfG darf im Falle eines Folgeantrags, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, die Abschiebung erst vollzogen werden, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) der Ausländerbehörde mitteilt, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen. Die vorgenannte Mitteilung knüpft an die bereits früher vollziehbar gewordene Ausreisepflicht an, die von dem Folgeantrag unberührt bleibt. Bis zur Mitteilung untersagt das Gesetz jedoch den zwangsweisen Vollzug der Ausreiseverpflichtung (vgl. Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Auflage, München 2005, § 71 Rn. 398) und schafft damit im Asylverfahrensrecht einen Abschiebungsschutz eigener Art. Dieser greift auch dann ein, wenn erst das Gericht im Wege einer einstweiligen Anordnung das Bundesamt zu einer dem Folgeantragsteller günstigen Mitteilung verpflichtet.

So ist es hier.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 9. Dezember 2005 (AktZ 14a L 1701/05.A) wurde das Bundesamt verpflichtet, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde gem. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG mitzuteilen, dass vorläufig, bis zu einer förmlichen Entscheidung über den Folgeantrag und in einem ggf. nachfolgenden Klageverfahren die Abschiebung der Antragsteller nicht vollzogen werden darf.

Die Voraussetzungen für einen Wegfall des damit ausgebrachten Abschiebungsschutzes sind nicht gegeben. Zwar hat das Bundesamt mit Bescheiden vom jeweils 9. Januar 2006 über die Folgeanträge - ablehnend - entschieden. Diese sind den Antragstellern aber nicht zugegangen, wie sich aus den Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober 2007 - 20 K 3358/06.A - ergibt.

Bis zur Bestands- oder Rechtskraft der Bescheide des Bundesamtes vom 9. Januar 2006 bzw. bis zu einer Abänderung des für die Antragsteller günstigen Beschlusses vom 9. Dezember 2005 ist eine Abschiebung der Familie nicht zulässig.

Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesamt am 29. November 2007 und am 21. Dezember 2007 - unzutreffend - der Ausländerbehörde mitteilte, das Folgeverfahren sei unanfechtbar beendet und die Familie ausreisepflichtig. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners haben diese Mitteilungen für ihn - und auch für das Gericht - keine bindende Wirkung. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Rechtslage, die entscheidend geprägt wird durch den für die Antragsteller günstigen Beschluss vom 9. Dezember 2005 und den Umstand, dass das Bundesamt die Zustellung der ablehnenden Bescheide nicht weiterbetrieben hat, obwohl die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober 2007 dazu Anlass gaben.

Eine Tatbestandwirkung der Mitteilung des Bundesamtes für die Ausländerbehörde ergibt sich weder aus § 42 AsylVfG noch aus dem vom Antragsgegner zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1969 - 1 C 20.66 - , Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - Band 34, S. 90 f. § 42 AsylVfG erstreckt die Bindungswirkung nur auf Sachentscheidungen des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG. Das benannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befasst sich mit der Bindung der Einbürgerungsbehörde an die aus dem Vertriebenenausweis ersichtlichen Feststellungen zur deutschen Volkszugehörigkeit. Die dort bejahte Tatbestands- oder Feststellungswirkung beruht allerdings auf der gesetzlichen Anordnung in § 15 Abs. 5 des Bundesvertriebenengesetzes. Eine vergleichbare Regelung ist im AufenthG oder AsylVfG in Bezug auf die Mitteilung gem. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG nicht ersichtlich.

Die Anordnung kann auch nicht auf § 14 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (OBG NRW) gestützt werden.

Dient die Anordnung des persönlichen Erscheinens - wie hier - der Vorbereitung einer Abschiebung, ist § 82 Abs. 4 AufenthG als speziellere Regelung gegenüber § 14 OBG NRW anzusehen, denn ein Rückgriff auf die allgemeine ordnungsrechtliche Regelung würde die besonders geregelten Schutzvorschriften des § 82 Abs. 4 Satz 3 unterlaufen.

Auch soweit der Antragsgegner seine Maßnahme ausweislich der Antragserwiderung auf die Durchsetzung der allgemeinen Passpflicht gem. § 3 AufenthG stützen will, ergibt sich keine andere Bewertung. Zum einen geht es ihm ausweislich der Begründung der Ordnungsverfügung nicht nur darum, dass die Antragsteller grundsätzlich über einen Pass oder Passersatz verfügen. Sein Ziel ist die Passbeschaffung zwecks Abschiebung. Mit dieser Zwecksetzung bewegt er sich im Anwendungsbereich des § 82 Abs. 4 AufenthG.

Im Übrigen dürfte auch ein Rückgriff auf § 14 OBG NRW zur Durchsetzung der Verpflichtung gem. § 3 AufenthG unzulässig sein. Indem der Gesetzgeber die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abhängig gemacht hat, bedarf es keiner zusätzlichen Instrumentarien zur Durchsetzung dieser Verpflichtung. Vielmehr wird der um einen Aufenthaltstitel nachsuchende Antragsteller diese Obliegenheit aus eigenem Antrieb erfüllen (müssen). Einer Regelung bedarf es allerdings für den Personenkreis, dem es an einer entsprechenden Motivation fehlt, d.h. Personen, bei denen eine zwangsweise Rückführung in ihren Heimatstaat beabsichtigt ist. Dem hat der Gesetzgeber mit § 82 Abs. 4 AufenthG Rechnung getragen. Vor dem geschilderten Hintergrund spricht viel dafür, dass die Durchsetzbarkeit von Pflichten zur Pass- bzw. Passersatzbeschaffung im AufenthG abschließend geregelt ist.