VG Hannover

Merkliste
Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 07.01.2008 - 11 A 7850/06 - asyl.net: M12893
https://www.asyl.net/rsdb/M12893
Leitsatz:

§ 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. entspricht Art. 5 Abs. 3 RL 2004/83/EG und schließt die Berücksichtigung exilpolitischer Betätigung insbesondere dann aus, wenn der Ausländer unverfolgt ausgereist ist und sich auch im Erstverfahren nicht auf eine Fortsetzung seiner politischen Haltung berufen hat.

 

Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Rückwirkung, exilpolitische Betätigung, Anerkennungsrichtlinie
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1a; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 3
Auszüge:

§ 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. entspricht Art. 5 Abs. 3 RL 2004/83/EG und schließt die Berücksichtigung exilpolitischer Betätigung insbesondere dann aus, wenn der Ausländer unverfolgt ausgereist ist und sich auch im Erstverfahren nicht auf eine Fortsetzung seiner politischen Haltung berufen hat.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG, weil ihm gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG die Berufung auf die im Folgeverfahren geltend gemachten Nachfluchttatbestände verwehrt ist.

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG (i.d.F. von Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl I S. 1970) kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrags selbst geschaffen hat. Diese gemäß Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union am 20. August 2007 in Kraft getretene Regelung ist in dem vorliegenden vom Kläger im März 2006 eingeleiteten Folgeverfahren anwendbar. Darin ist keine echte Rückwirkung, sondern eine tatbestandliche Rückanknüpfung zu sehen (BayVGH, Beschl. v. 05.09.2007, 14 B 05.31261, juris, m.w.N. zur Vorgängerregelung).

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entgegen. Auch nach § 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. sollen selbst geschaffene Nachfluchtgründe im Regelfall nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 28 Abs. 1a AsylVfG, der durch das Umsetzungsgesetz vom 19.08.2007 in § 28 AsylVfG eingefügt wurde. Danach kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 umsetzen und klarstellen, dass die Verfolgungsgefahr auch auf Ereignissen und Aktivitäten beruhen kann, die nach Ausreise aus dem Herkunftsland entstanden sind bzw. durchgeführt wurden (Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065 S. 216 f.). Mit dem Zusatz "insbesondere" hat der Gesetzgeber erkennbar die zu § 28 Abs. 2 AsylVfG a.F. ergangene Rechtsprechung aufgegriffen, nach der eine Ausnahme vom Ausschlussgrund des § 28 Abs. 2 AsylVfG dann anerkannt wurde, wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland "erkennbar betätigten Überzeugung" entsprach (vgl. nur Nds. OVG, Beschl. v. 18.7.2006, 11 LB 75/06, juris, m.w.N.).

§ 28 Abs. 1a AsylVfG schließt vorliegend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht aus. Denn der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er mit Absatz 2 des § 28 AsylVfG von der Öffnungsklausel des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG (weiterhin) Gebrauch macht (BT-Drs. 16/5065, S. 217). Auch im Lichte des § 28 Abs. 1a AsylVfG hat die Vorschrift eine eigenständige Bedeutung für den Fall der selbst geschaffenen Nachfluchtgründe. Ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, der zur Unanwendbarkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG führte (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 23.04.2007, 1 B 11/07, AuAS 2007, 188, zu § 28 Abs. 2 AsylVfG a.F.: "weitestgehend unanwendbar"), ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts wegen der Regelung des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG nicht.