1. Gemessen an dem sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist einem ursprünglich als gruppenverfolgt anerkannten Yeziden eine Rückkehr in die Türkei nicht zumutbar, weil ihm damit das mit der humanitären Intention des Asylrechts unvereinbare Risiko aufgebürdet würde, einen Rückkehrversuch zu starten, obgleich Übergriffe von der moslemischen Mehrheitsbevölkerung angehörenden Personen wegen der fortbestehenden Rahmenbedingungen der früheren Gruppenverfolgung nicht hinreichend sicher auszuschließen sind, ohne dass hiergegen hinreichender staatlicher Schutz sichergestellt ist. Ob für die in der Türkei verbliebenen Yeziden eine Gruppenverfolgung noch feststellbar ist, kann offen bleiben.
2. Da sich der türkische Staat in der Vergangenheit als asylrechtlich verantwortlicher Verfolgerstaat erwiesen hat, beurteilt sich die Frage nach der Zumutbarkeit einer Rückkehr eines ursprünglich als gruppenverfolgt anerkannten Yeziden danach, ob aktive staatliche Maßnahmen feststellbar sind, die belegen, dass es zu einer Abkehr von der früheren Haltung des Staates gegenüber den Yeziden tatsächlich gekommen ist. Dies ist derzeit zu verneinen.
1. Gemessen an dem sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist einem ursprünglich als gruppenverfolgt anerkannten Yeziden eine Rückkehr in die Türkei nicht zumutbar, weil ihm damit das mit der humanitären Intention des Asylrechts unvereinbare Risiko aufgebürdet würde, einen Rückkehrversuch zu starten, obgleich Übergriffe von der moslemischen Mehrheitsbevölkerung angehörenden Personen wegen der fortbestehenden Rahmenbedingungen der früheren Gruppenverfolgung nicht hinreichend sicher auszuschließen sind, ohne dass hiergegen hinreichender staatlicher Schutz sichergestellt ist. Ob für die in der Türkei verbliebenen Yeziden eine Gruppenverfolgung noch feststellbar ist, kann offen bleiben.
2. Da sich der türkische Staat in der Vergangenheit als asylrechtlich verantwortlicher Verfolgerstaat erwiesen hat, beurteilt sich die Frage nach der Zumutbarkeit einer Rückkehr eines ursprünglich als gruppenverfolgt anerkannten Yeziden danach, ob aktive staatliche Maßnahmen feststellbar sind, die belegen, dass es zu einer Abkehr von der früheren Haltung des Staates gegenüber den Yeziden tatsächlich gekommen ist. Dies ist derzeit zu verneinen.
(Amtliche Leitsätze)
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG 1990) vorliegen, zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.
Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann der Klägerin eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden. Nach der Auskunftslage geriete sie in eine Lage, in der zum einen vom Fortbestand der die Gruppenverfolgung in der Vergangenheit bedingenden Rahmenbedingungen ausgegangen werden muss und Beispiele für eine geglückte Rückkehr weitgehend fehlen und zum anderen echter Schutz durch staatliche Stellen nicht feststellbar ist. In dieser Situation würde ihr das mit der humanitären Intention des Asylrechts unvereinbare Risiko aufgebürdet, einen Rückkehrversuch zu starten, obgleich Übergriffe von Personen, die der moslemischen Mehrheitsbevölkerung angehören, gerade wegen der fortbestehenden Rahmenbedingungen nicht hinreichend sicher auszuschließen sind, ohne dass hinreichender staatlicher Schutz hiergegen sichergestellt ist.
Vorstehende Einschätzung wird maßgeblich von dem historischen Kontext der Yezidenverfolgung in der Türkei und der Auswertung der neueren Erkenntnisse getragen (vgl. namentlich: Deutsche Botschaft Türkei an BAFl. vom 05.01.2004; dies. an BAMF vom 26.10.2005; Auswärtiges Amt an VG Braunschweig 508-516.89/41362 vom 03.02.2004; dass. an OVG Magdeburg 508-516.80/44366 vom 20.01.2006; dass. an OVG Niedersachsen 508-516.80/44779 vom 26.01.2007; Azad Baris, Stellungnahme an VG Greifswald vom 24.04.2002; ders. an VG Kassel vom 21.08.2003; ders. an OVG Sachsen-Anhalt vom 17.04.2006; Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme vom 05.02.2006; dass. vom 04.07.2006; dass. vom 20.03.2007), wobei letztere aus Sicht der Kammer nicht unabhängig und losgelöst von der historischen Entwicklung bewertet werden können.
Die neueren Erkenntnisse beinhalten keine Fakten, die eine nachhaltige, im Hinblick auf den vorbezeichneten reduzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausreichende Änderung dieser bis vor wenigen Jahren von der Rechtsprechung und der Beklagten in Asylverfahren von Yeziden aus der Türkei einhellig zu Grunde gelegten Tatsachenlage belegen könnten.
Dass sich die Jahrhunderte alte allgemeine Missachtung der Yeziden durch die moslemische Mehrheitsbevölkerung in den ehemals von Yeziden bewohnten Regionen innerhalb nur weniger Jahre grundlegend geändert hätte, ist nicht anzunehmen. Ebenso besteht das die Verfolgungshandlungen früher begünstigende Aga-System im Südosten der Türkei fort.
Tatsachen, die dafür sprächen, dass es künftig trotz des Fortbestands dieser beiden Vorbedingungen der früheren Gruppenverfolgung zu keinen Verfolgungshandlungen gegenüber zurückkehrenden Yeziden mehr kommen wird, sind nicht feststellbar. So wird etwa von politischen Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der Stellung der Yeziden gegenüber der moslemischen Mehrheitsbevölkerung gerichtet wären, nicht berichtet.
Soweit von einer gewissen Beruhigung der Situation für die im Land verbliebenen Yeziden berichtet wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 25.10.2007; Auskunft an VG Braunschweig vom 03.02.2004; s. auch: Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme vom 05.02.2006, in der von einer "im Vergleich zu den Jahren zwischen 1980 und 2000 beruhigten Situation" die Rede ist), kommt dem aus Sicht der Kammer in vorliegendem Zusammenhang keine maßgebliche Bedeutung zu. Denn die Situation der Yeziden, die zu der verschwindend kleinen Anzahl der im Heimatland verbliebenen "Restgruppe" zählen, unterscheidet sich maßgeblich von der in gegebenem Zusammenhang allein interessierenden Situation der Yeziden, die im Heimatland wieder ansässig werden wollen. Unabhängig davon, wie tragfähig und nachhaltig die berichtete Beruhigung ist, lässt sie doch primär nur die Schlussfolgerung einer relativen Sicherheit der im Heimatland Verbliebenen zu, sei es, weil Verfolgungsmaßnahmen angesichts der sehr kleinen Anzahl der verbliebenen, nach den Auskünften überwiegend älteren Personen nicht mehr in gleichem Maße wie zuvor vorkommen, weil diese Menschen, die zudem in verschiedenen Orten wohnen, nicht mehr als Gruppe, die es zu verfolgen und verdrängen gilt, wahrgenommen werden (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.06.2007, - 10 A 11576/06.OVG -, zit. nach juris), sei es, weil es sich bei den Verbliebenen um Personen handelt, denen es gelungen ist, sich auf irgendeine Weise mit ihrer moslemischen Umwelt zu arrangieren.
Von daher ist aus Sicht der Kammer auch rechtlich ohne Bedeutung, ob für die in der Türkei verbliebenen, wenigen Yeziden derzeit eine Gruppenverfolgung noch anzunehmen ist (vgl. verneinend OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.10.2007 - 3 L 303/04 -; OVG Niedersachsen, Urteil vom 17.07.2007 – 11 LB 332/03 -; OVG NRW vom 14.02.2006 - 15 A 2119/02.A -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2005 - 1 LB 38/04 - zit. nach juris), oder ob eine Gruppe im Sinne der Gruppenverfolgungsrechtsprechung in der Türkei überhaupt noch feststellbar ist (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.06.2007 - 10 A 1176/06.OVG).
Schlussfolgerungen auf eine gleichermaßen bestehende relative Sicherheit für Heimkehrer lassen sich aus der Situation der verbliebenen Yeziden jedenfalls nicht ohne weiteres ziehen. Im Gegenteil sprechen die für Rückkehrer berichteten Fakten gegen eine solche Sicherheit.
Zum einen ist festzustellen, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch das Yezidische Forum und der Gutachter Baris von missglückten Rückkehrversuchen berichten, ohne dass in weiten Teilen Streit darüber besteht, dass es zu den fraglichen Vorfällen tatsächlich gekommen (vgl. Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme vom 04.07.2006, die Fälle 2, 3, 6, 9, und 10, die den vom Auswärtigen Amt, Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26.01.2007 erwähnten Fällen unter b), c), a), h) entsprechen; vgl. auch Baris, Stellungnahme an OVG Sachsen-Anhalt vom 17.04.2006).
Daneben befinden sich in allen Berichten Beispiele für Übergriffe auf besuchsweise in der Heimat befindlichen Yeziden (vgl. Yezidisches Forum e.V., Stellungnahmen vom 04.07.2006, die Fälle 7, 8 und 11, die den vom Auswärtigen Amt, Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26.01.2007 erwähnten Fällen unter f), g) und i) entsprechen).
Zum anderen ist festzustellen, dass eine Rückkehr in großem Umfang bislang nicht stattgefunden hat.
Auch wenn den Berichten unterschiedliche Bewertungen darüber zu entnehmen sind, aus welchen Gründen die Rückkehr gescheitert ist bzw. ob die Vorfälle, die zur Wiederausreise der Betroffenen geführt hatten, tatsächlich an die yezidische Religionszugehörigkeit der Betroffenen anknüpften (so Yezidisches Forum e.V., Stellungnahmen vom 04.07.2006 und vom 20.03.2007; Baris, Stellungnahme an OVG Sachsen-Anhalt vom 17.04.2006), oder ob insoweit andere Motive maßgeblich waren (so Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26.01.2007, das die Sorge um ein Wiederaufleben des Konflikts mit der PKK, allgemeine Blutfehdestreitigkeiten oder – häufig - besitzrechtliche Streitigkeiten als Motiv annimmt), geht die Kammer davon aus, dass die geschilderten Schwierigkeiten ihre Ursache zumindest auch in der yezidischen Religion der Betroffenen ihre Ursache hatten.
Dies erscheint plausibel, geht es doch im Fall der Heimkehr von Yeziden für die moslemische Bevölkerungsmehrheit auch darum, die Früchte der erfolgreichen religiös motivierten Verfolgung zu verteidigen. Eine feinsinnige Abgrenzung des religiösen Motivs von eventuellen besitzrechtlichen Motiven verbietet sich auch deswegen, weil schon in Zeiten der angenommenen Gruppenverfolgung viele Übergriffe zumindest auch mit der Aussicht auf Landnahme bzw. der Akquirierung zusätzlicher Vermögenswerte motiviert waren. Im Übrigen zeigt auch der vom Auswärtigen Amt angeführte Fall c) exemplarisch die Untrennbarkeit beider Motive (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26.01.2006; siehe auch Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme vom 20.03.2007).
Zudem ist von einer Anknüpfung an das Yezidentum auch deswegen auszugehen, weil Yeziden aus den Erfahrungen in der Vergangenheit keinen staatlichen Schutz genossen und sie sich von daher von Seiten der Angehörigen der moslemischen Mehrheitsbevölkerung als "leichte Opfer" darstellen, gegen die auch heute noch gefahrlos vorgegangen werden kann.
Es ist den neueren Auskünften auch nicht hinreichend sicher zu entnehmen, dass der türkische Staat den Rückkehrern entsprechenden Schutz angedeihen lassen würde. Zwar hat es in einigen Fällen gerichtliche Entscheidungen zu Gunsten rückkehrbereiter Yeziden gegeben, die deren Besitzrechte bestätigten (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG Niedersachsen vom 26.01.2007; Yezidisches Forum e.V. Stellungnahme vom 04.07.2006).
Jedoch fehlen jegliche Berichte dazu, dass der türkische Staat über die Teilnahme an einigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen hinaus (vgl. Botschaftsbericht an BAMF vom 26.10.2005; Einzelentscheiderbrief 01.03.2005) aktiv Schutzmaßnahmen für Rückkehrer getroffen hätte. Auch wird von einer zumindest politisch-programmatischen Abkehr des türkischen Staates von seiner früheren Haltung zu den Yeziden nicht berichtet. Ein solches oder vergleichbares aktives Tun der türkischen Behörden und/oder der türkischen Politik wäre aber aus Sicht der Kammer erforderlich, um angesichts des vorbezeichneten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes von der Zumutbarkeit einer Rückkehr der ehemals von politischer Verfolgung Betroffenen ausgehen zu können (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 25.07.2006, - A 6 K 11023/05, zitiert nach juris).
Schließlich hat sich der türkische Staat in der Vergangenheit als asylrechtlich verantwortlicher Verfolgerstaat erwiesen, auf dessen Schutz – ähnlich wie bei dem sog. doppelgesichtigen (Verfolger-)Staat am Ort der inländischen Fluchtalternative - der ehemals politisch Verfolgte nur verwiesen werden darf, wenn eine hinreichende Schutzfähigkeit und -willigkeit tatsächlich feststeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/97 – E 80, 315).
Der Klägerin steht auch bei einer Rückkehr in ihr Heimatland kein anderes Gebiet offen, in das ihr eine Rückkehr zumutbar wäre. Insbesondere die Möglichkeit einer Wohnsitznahme in der Westtürkei, die schon die Beklagte nicht erwogen hat, verbietet sich deshalb, weil sich aus den diesbezüglichen Stellungnahmen überzeugend ergibt, dass Yeziden dort wegen ihrer Religion, Herkunft und Kultur nicht überleben können und sich dort weniger als ein dutzend Yeziden aufhalten (vgl. Azad Baris, Stellungnahme an das OVG Sachsen-Anhalt vom 17.04.2006; Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme an OVG Niedersachsen vom 04.07.2006).