VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 24.01.2008 - 10 A 649/06 - asyl.net: M12902
https://www.asyl.net/rsdb/M12902
Leitsatz:

Im Iran besteht die Möglichkeit zur Substitutionstherapie für Suchtkranke; ob sie in jeder Hinsicht kostenfrei zur Verfügung steht, bleibt offen - im Einzelfall können Angehörige finanzielle Hilfe leisten.

 

Schlagwörter: Iran, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, medizinische Versorgung, Suchterkrankung, Drogenabhängigkeit, Methadon, Asthma bronchiale, Hepatitis C, Finanzierbarkeit, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Im Iran besteht die Möglichkeit zur Substitutionstherapie für Suchtkranke; ob sie in jeder Hinsicht kostenfrei zur Verfügung steht, bleibt offen - im Einzelfall können Angehörige finanzielle Hilfe leisten.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

a) Nach den über den Kläger vorliegenden fachärztlichen Erkenntnissen, die sich aus den Akten ergeben, leidet der Kläger vornehmlich an einer Suchterkrankung nach langjähriger Opiatabhängigkeit bei derzeitiger Methadon-Substitution.

Daneben leidet der Kläger an einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (Lungenemphysem) COPD GOLD III (Attest Dr. ... vom 04.09.2006), die einer medikamentösen Dauertherapie mit vierteljährlichen Kontrollen bedarf, sowie einem Asthma bronchiale (vgl. auch Attest Dr. ... vom 18.01.2008). Ferner leidet der Kläger an einer chronischen – derzeit allerdings nicht behandlungsbedürftigen (vgl. Schriftsatz vom 22.01.2008) – Virushepatitis C und einer depressiven Verstimmung (Dr. ... vom 17.11.2006, Dr. C. vom 11.05.2006).

Das Gericht ist davon überzeugt, dass ein sogar nur kurzfristiges, vorübergehendes Ausbleiben der Behandlung insbesondere hinsichtlich der Suchterkrankung und der Lungenerkrankung zu einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers führen würde.

b) Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist das Gericht davon überzeugt, dass allerdings alle Erkrankungen des Klägers grundsätzlich auch im Iran adäquat behandelt werden können. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die gesetzlich vorgesehenen Abschiebungsverbote nicht dazu dienen, dem ausreisepflichtigen Ausländer die bestmögliche medizinische Versorgung (in Deutschland) zu ermöglichen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 11.01.1996, 18 B 44/96; Beschl. v. 20.09.2006, 13 A 1740/05.A – in juris).

Angesichts des Umstandes, dass in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vgl. zuletzt vom 04.07.2007) seit langem übereinstimmend mitgeteilt wird, dass die medizinische Versorgung im Iran ausreichend bis – vor allem in Teheran – befriedigend, die Versorgung mit Medikamente weitestgehend gewährleistet ist und in speziellen Apotheken Medikamente auch aus dem Ausland bestellt werden können, besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die vom Kläger benötigte Behandlung und Versorgung insbesondere im Hinblick auf seine Lungenerkrankung im Iran möglich ist.

c) Das Gericht hat sich auch nicht etwa die Überzeugung verschaffen können, dass der Kläger im Iran die erforderliche und an sich mögliche Behandlung/Medikation nicht wird erreichen können. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er insbesondere aus finanziellen Gründen, also in Ermangelung zur Verfügung stehender Geldmittel, an der Inanspruchnahme einer hinreichenden Behandlung/Medikation gehindert wäre.

Richtig ist allerdings, dass der Kläger offenbar aktuell über keine eigenen Mittel verfügt, mit denen er seine Weiterbehandlung im Iran bezahlen könnte.

Letztlich wird nämlich davon auszugehen sein, dass vornehmlich die in Deutschland, aber auch die im Ausland lebenden Angehörigen/Verwandten des Klägers etwaige für seine Behandlung im Iran anfallenden Kosten übernehmen können und werden.

Die Kosten für die Substitutionsbehandlung dürften – so sie nicht ohnehin kostenlos erfolgt – gering ausfallen; Dr. ... (24.04.2007) hat diese auf monatlich EUR 8,- beziffert. Die Präparate für die Lungenerkrankung sollen nach seinen Angaben monatlich etwa EUR 75,-- kosten (jeweils in Deutschland). Im Iran soll die Substitutionsbehandlung – soweit sie einschließlich der Behandlung von Begleiterkrankungen nicht kostenlos erfolgt – laut Auskunft des Deutschen Orient-Institutes/GIGA (vom 04.04.2007) etwa EUR 20,- bis EUR 25,- kosten. Laut Auskunft der Botschaft Teheran vom 12.02.2007/20.12.2006 soll die ambulante Methadonbehandlung 500.000 bis 750.000 Rial (entsprechend EUR 40,- bis EUR 60,-) kosten. Ansonsten sind die Kosten im Iran für Behandlung, Medikation, Labor etwa 70 % niedriger als in Deutschland (Auskunft Botschaft Teheran vom 26.04.2007). Nimmt man an, dass diese Kosten vollen Umfanges vom Kläger selbst aufzubringen wären, dürften demnach die monatlichen Gesamtkosten, selbst wenn die Lungenpräparate über eine der im Iran ansässigen Importapotheken bezogen werden müssten, schwerlich EUR 150,- übersteigen können.

Diesen Betrag aufzubringen, würde vornehmlich für die in Deutschland lebenden Angehörigen/Verwandten des Klägers keine untragbare Belastung bedeuten.

Seine geschiedene Ehefrau hat zwar erklärt, nur über eine kleine Rente zu verfügen und nicht in der Lage zu sein, zu den Kosten für eine Behandlung des Klägers im Iran Beiträge zu leisten (Schreiben vom 28.02.2007). An anderer Stelle (Eidesstattliche Versicherung vom 01.03.2006) hat sie aber auch erklärt, den Kläger finanziell zu unterstützen und dass sie Kosten für ihn übernehme. Der Sohn des Klägers, der sich in einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg derzeit im sechsten Semester befindet, mag zwar derzeit über keine nennenswerten Einkünfte verfügen, es besteht aber gute Aussicht, dass er in absehbarer Zeit – nämlich nach dem Abschluss seines Studiums – über Einkünfte verfügen wird, aus denen er seinen Vater unterstützen kann.

Von den übrigen Verwandten des Klägers außerhalb des Iran verfügt jedenfalls die Nichte Dr. ... über eigene Einkünfte.

Es steht auch zu erwarten, dass zumindest die benannten Angehörigen des Klägers ihn tatsächlich finanziell unterstützen würden, auch wenn sie ihm gegenüber nicht im Rechtssinne unterhaltspflichtig sein mögen. Sie haben in schriftlichen Erklärungen, die der Kläger im anhängigen ausländerrechtlichen Klageverfahren 10 K 2768/06 vorgelegt hat, durchweg betont, dass die gesamte Familie sehr eng zusammenhalte, sich dem Kläger sehr verbunden fühle – er soll die Rolle eines Vaterersatzes haben – und ihn unterstütze. Es spricht nichts dafür, dass eben diese Angehörigen bei Bestehen einer derartigen Verbindung den Kläger ohne (finanzielle) Unterstützung ließen, wenn er in den Iran zurückkehrt und ihre Hilfe bräuchte. Insoweit erweisen sich die Beweisanträge, die die Kostenlosigkeit einer Substitutionstherapie im Iran in Zweifel ziehen sollen, letztlich auch als unerheblich.

Der Kläger wäre im Iran auch nicht völlig auf sich allein gestellt. Dort leben noch mehrere Verwandte von ihm.

d) Dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung oder Rückführung unverzüglich, d.h. ohne seinen Gesundheitszustand verschlechternde Wartezeiten die erforderliche Behandlung im Iran erhalten kann, wofür bei entsprechenden vorbereitenden Maßnahmen allerdings die bereits zitierten Auskünfte der Botschaft Teheran und des Deutschen Orient-Institutes/GIGA sprechen, bedarf hier keiner weiteren Erörterung, da dies die Ausgestaltung seiner Abschiebung oder Rückführung betrifft und von der Ausländerbehörde sicherzustellen ist (vgl. oben 1.).