VG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 30.01.2008 - 8 K 3678/07 - asyl.net: M12905
https://www.asyl.net/rsdb/M12905
Leitsatz:

Der Ausschluss von der Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG durch Verzögerung oder Behinderung der Aufenthaltsbeendigung setzt Handlungen von einigem Gewicht voraus.

 

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Aufenthaltserlaubnis, Falschangaben, Behinderung der Aufenthaltsbeendigung, Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung, Mitwirkungspflichten, Pass
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

Der Ausschluss von der Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG durch Verzögerung oder Behinderung der Aufenthaltsbeendigung setzt Handlungen von einigem Gewicht voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG steht es der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift entgegen, wenn der Ausländer die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat. Ein solches Verhalten ist dem Kläger zur Last zu legen.

Nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht, wenn dem Antragsteller ein vorsätzliches Täuschen, Hinauszögern oder Behindern nachgewiesen werden kann, das allein ursächlich für die unterbliebene Beendigung ist. Dabei ist ­ wie es auch die Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 02.10.2007 (PGZU ­ 128 406/1) vorsehen ­ ein großzügiger Maßstab anzulegen, der ein enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale erfordert. Lediglich Handlungen von einigem Gewicht erfüllen den Tatbestand. Dies folgt bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der ­im Gegensatz zu § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG (vgl. dazu OVG Münster, Beschl. v. 18.09.2006 ­ 18 A 2388/06, juris) ­ nicht jedes Verschulden des Ausländers im Hinblick auf das Ausreisehindernis und nicht jedes Unterlassen einer zumutbaren Mitwirkungshandlung genügen lässt. Einem Anspruch aus § 104a Abs. 1 AufenthG stehen vielmehr nur bestimmte im Einzelnen bezeichnete Handlungen entgegen. Unter den Begriff des Täuschens fallen dabei vor allem Falschangaben über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände. Ein Hinauszögern oder Behindern liegt dann vor, wenn aktiv aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegengewirkt wird, indem nachweislich beispielsweise Dokumente vernichtet oder unterdrückt werden oder der Betreffende untertaucht. Erforderlich sind Handlungen von einigem Gewicht. Hingegen spricht bereits der Wortlaut dagegen, das Tatbestandsmerkmal bei bloßen Verstößen gegen allgemeine Mitwirkungspflichten etwa nach § 48 Abs. 3 AufenthG als erfüllt anzusehen. Es deshalb genügt nicht, wenn es ein Ausländer beispielsweise an hinreichenden Bemühungen um einen Pass fehlen lässt. Die Begriffswahl, die an bestimmte Handlungen anknüpft und die fehlende Mitwirkung bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gerade nicht aufführt, weist vielmehr darauf hin, dass eine unterlassene Mitwirkung nur dann den Tatbestand erfüllt, wenn dem eine konkrete Aufforderung der Ausländerbehörde zu einer ganz bestimmten Mitwirkungshandlung vorangegangen ist.

Eine solche enge Auslegung des Ausschlussgrundes des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Ziel des Gesetzgebers war es ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065, S. 201), den im Bundesgebiet seit Jahren geduldeten und hier integrierten Ausländern eine dauerhafte Perspektive zu geben. Dabei hatte der Gesetzgeber diejenigen geduldeten ausreisepflichtigen Ausländer im Blick, deren Abschiebung nach aller Voraussicht auch in nächster Zeit nicht möglich sein wird. Mit § 104a AufenthG sollte ­ insofern anknüpfend an den Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 ­ ein Schlussstrich gezogen werden. Langjährig hier lebende, rechtstreue und integrierte Ausländer sollten den allgemein als unbefriedigend erachteten Status fortlaufender Duldungen verlassen und in einen gesicherten Status wechseln können.

Im einem gewissen Spannungsverhältnis zu dieser Zielsetzung steht die Vorschrift des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, die von der Absicht getragen sein dürfte, ein Fehlverhalten des Ausländers in der Vergangenheit nicht durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nachträglich zu begünstigen. Ein Ausländer, der seinen fortwährenden Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich dem eigenen gesetzeswidrigen Verhalten zu verdanken hat, soll von der Altfallregelung ausgeschlossen bleiben. Allerdings dürfte die Gruppe der geduldeten Ausländer, die der Gesetzgeber im Blick hat, zu einem erheblichen Teil aus Personen bestehen, die die Ausreisehindernisse zu vertreten haben. Ansonsten dürfte vielfach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG möglich sein.

Dem übergeordneten Ziel des Gesetzgebers, die Problematik der langjährig geduldeten Ausländer möglichst umfassend zu lösen und dem öffentlichen Interesse, die Sozialkassen durch die mit § 104a AufenthG verbundene Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme zu entlasten (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 202 f.), entspricht deshalb eine enge Auslegung des Ausschlussgrunds. Ein Täuschen, Hinauszögern oder Behindern im Sinne von § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG muss von einigem Gewicht sein und darf sich nicht in der Verletzung von Mitwirkungspflichten erschöpfen. Erforderlich ist ein gezieltes und nachhaltiges Unterlaufen der Aufenthaltsbeendigung (vgl. die Anwendungshinweise des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16.10.2007 ­ 15-39.08.01-1-Gesetzl.BleibeR). Ob im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung ein zeitlich weiter zurückliegendes Verhalten durch nachhaltige Bemühungen in jüngerer Zeit aufgewogen werden kann (vgl. Marx, ZAR 2007, 43 <51>), bedarf hier keiner Entscheidung.

Auch unter Zugrundelegung eines solchen großzügigen Maßstabs ist dem Kläger zur Last zu legen, dass er vorsätzlich aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinausgezögert und behindert hat und allein deshalb nicht in den Libanon abgeschoben werden konnte. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er von 1997 bis 2002 über einen gültigen Pass verfügt, der eine Abschiebung oder eine freiwillige Ausreise in den Libanon ermöglicht hätte. Einen Abschiebestopp gab es in der Zeit nicht. Wie der Kläger weiter erklärt hat, hat er diesen Pass der Beklagten trotz vielfacher Aufforderung in den Jahren 1998 und 1999 nicht vorgelegt, und zwar in der Absicht, seine Abschiebung zu verhindern. Dieses Verhalten stellt sich als gezieltes

und nachhaltiges Unterlaufen der Aufenthaltsbeendigung dar, indem der Kläger seinen Pass unterdrückt und falsche Angaben über seinen Verbleib gemacht hat.