Das Bundesamt ist nicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz verpflichtet, die als "VS – Nur für den Dienstgebrauch" eingestuften Herkunftsländerleitsätze herauszugeben.
Das Bundesamt ist nicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz verpflichtet, die als "VS – Nur für den Dienstgebrauch" eingestuften Herkunftsländerleitsätze herauszugeben.
(Leitsatz der Redaktion)
Die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF, im Folgenden: Bundesamt) vom 13. Dezember 2006 (Klägerin zu 1)) bzw. vom 2. März 2007 (Klägerin zu 2)) sowie die jeweiligen zugehörige Widerspruchsbescheide des Bundesamtes vom 6. März 2007 (Klägerin zu 1)) bzw. vom 19. April 2007 (Klägerin zu 2)), soweit sie Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind (das Verfahren betreffend die Dienstanweisung Asyl wurde in der mündlichen Verhandlung vom 22.1.2008 mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Verfahren der Klägerin zu 2) abgetrennt), sind unbegründet.
Der unter Bezugnahme auf § 1 Satz 1 IFG geltende gemachte allgemeine Informationszugangsanspruch bezüglich der beim Bundesamt - unstrittig - geführten Herkunftsländer-Leitsätze besteht nicht, weil der Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 - 2. Alternative - IFG eingreift. Ob auch noch andere im IFG geregelten Ausschlussgründe eingreifen, kann dahinstehen.
§ 3 Nr. 4 - 2. Alternative - IFG besagt sinngemäß, dass der in § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG grundsätzlich gewährte allgemeine Informationszugangsanspruch dann nicht besteht, wenn die Information, zu der Zugang begehrt wird, auf Grund der VSA einer besonderen Geheimhaltungs- bzw. Vertraulichkeitspflicht unterliegt. So liegt der Fall hier:
In der amtlichen Begründung zu § 3 Nr. 4 IFG (BT-Drs. 15/4493, Seite 11, linke Spalte) ist ausdrücklich ausgeführt, die auf Grund von § 35 Abs. 1 Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes (im Folgenden: SÜG) nach der VSA erfolgte Einstufung schließe einen Anspruch auf allgemeinen Informationszugang aus. Die amtliche Begründung fährt wortwörtlich fort: "... dies gilt auch für "VS - Nur für den Dienstgebrauch" eingestufte Information." Somit erscheint der Wille des Gesetzgebers, sowohl auf der Grundlage des Gesetzestextes als auch, unabhängig hiervon, auf der Grundlage der amtlichen Begründung, eindeutig.
Das Bundesamt hat zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung bezüglich der Herkunftsländer-Leitsätze, zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 22. Januar 2008, in erster Linie geltend gemacht, diese seien als VS-NfD eingestuft. Von weiteren Voraussetzungen als von der Einstufung als VS-NfD hängt der entsprechende Ausschluss des allgemeinen Informationszugangsanspruchs nicht ab; insbesondere hängt er auch nicht davon ab, ob die Einstufung als VS-NfD formell und materiell zu Recht erfolgt ist (so auch Rossi, IFG, § 3, RdNr. 50; Jastrow/Schlatmann, IFG, § 3, RdNr. 79 ff; anderer Auffassung wohl Roth in Berger/Roth/Scheel, IFG, § 3, insbes. RdNr. 124; ausdrücklich offen gelassen von VG Berlin, Urteil vom 31.5.2007, Az. 2 A 93.06, Juris, RdNr. 29).
Selbst wenn jedoch - entgegen der vorstehend vom erkennenden Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung - davon ausgegangen würde, die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Einstufung der betreffenden Dokumente als Verschlusssachen, hier: mit dem Geheimhaltungsgrad VS-NfD, müssten erfüllt sein, was demgemäß vom Verwaltungsgericht zu überprüfen wäre, würde dies hier zu keinem anders lautenden Ergebnis führen:
Grundlage für die Einstufung eines Dokuments als Verschlusssache durch eine Bundesbehörde, wie hier das Bundesamt, ist die auf Grund von § 35 Abs. 1 SÜG vom Bundesministerium des Innern als Allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassene VSA, hier in der aktuellen Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 2006 (GMBl 2006, 803).
Die Verschlusssacheneinstufung erfolgt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VSA von der eine Verschlusssache herausgebenden Stelle selbst, nicht etwa von einer vorgesetzten Stelle bzw. von einer obersten Aufsichtsbehörde, wie hier dem Bundesministerium des Innern. Besondere Förmlichkeiten im Zusammenhang mit der Einstufung eines Dokuments als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad VS-NfD, etwa der Erlass einer gesonderten, getrennt von dem als VS-NfD eingestuften Dokument existierenden Verfügung, die ihrerseits gegebenenfalls in einem gerichtlichen Verfahren vorgelegt werden könnte, sofern sie keine Rückschlüsse über den konkreten Inhalt des als Verschlusssache eingestuften Dokuments zuließe, sind nach der VSA nicht zu beachten, es genügt die Kennzeichnung als Verschlusssache mit dem betreffenden Geheimhaltungsgrad in Großbuchstaben und in gut sichtbarer Weise (vgl. § 8 Abs. 1 VSA i. V. m. Anlage 2 zur VSA).
In materieller Hinsicht sind die Einstufungskriterien gemäß § 3 VSA zu beachten, die inhaltlich § 4 Abs. 2 SÜG entsprechen, im vorliegenden Fall somit konkret § 3 Nr. 4 VSA bzw. § 4 Abs. 2 Nr. 4 SÜG. Nach diesen Bestimmungen sind Verschlusssachen in den Geheimhaltungsgrad VS-NfD einzustufen, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder "nachteilig sein kann". Von einer Einstufungsmöglichkeit ist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 VSA nur Gebrauch zu machen, soweit dies notwendig ist, wobei insoweit die entsprechenden Hinweise in Anlage 1 zur VSA zu beachten sind. Nach Nr. 1 der Anlage 1 zur VSA muss im Falle einer Verschlusssacheneinstufung schlüssig darzulegen sein, welche Gefährdungen, Schäden oder Nachteile für die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder konkret entstehen können, wenn Unbefugten von den Informationen Kenntnis erhalten. Weiter ist in Anlage 1 zur VSA beispielhaft ausgeführt, eine Verschlusssacheneinstufung komme unter anderem bei Informationen in Betracht, die die auswärtigen Beziehungen oder die innere Sicherheit betreffen. Unter Nr. 2.4 der Anlage 1 zur VSA ist zur weiteren Konkretisierung ausgeführt, eine Einstufung in den Geheimhaltungsgrad VS-NfD komme zum Beispiel in Betracht für "Zusammenstellungen polizeilicher Ermittlungen, die einzeln nicht eingestuft sind, in ihrer Gesamtheit aber polizeiliche Arbeitsweisen offen legen".
Unter Zugrundelegung dieser geltenden formellen und materiellen Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der hierzu vom Bundesamt im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens abgegebenen Erklärungen ist die Einstufung der Herkunftsländer-Leitsätze (insgesamt für alle erfassten Länder, nicht nur für einzelne Länder, etwa die im Klageantrag der Klägerin zu 1) genannten Länder) rechtlich nicht zu beanstanden.
So macht das Bundesamt unter anderem geltend, die generelle Möglichkeit der Kenntnisnahme von den konkreten Entscheidungsmaßstäben des Bundesamtes auch durch Asylbewerber könne einer an objektiven Kriterien orientierten sachgerechten Entscheidungspraxis, wie sie von Art. 16 a GG, vom AsylVfG und vom AufenthG vorausgesetzt wird, entgegenstehen, weil es dann den Asylbewerbern zum Beispiel ermöglicht würde, ihr Aussageverhalten entsprechend anzupassen und sich Legenden zurecht zu legen, um einen für sie günstigeren Verfahrensausgang wahrscheinlicher zu machen.
Allein schon dieser Gesichtspunkt erscheint dem erkennenden Verwaltungsgericht, das selbst über langjährige Erfahrung im Umgang mit Verfahrensbeteiligten in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren verfügt, einleuchtend und nachvollziehbar. Auf diesen Maßstab ("einleuchtend und nachvollziehbar") beschränkt sich die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit hier, nachdem der Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 SÜG i. V. m. § 35 Abs. 1 SÜG und § 3 VSA insoweit der Exekutive aus Gründen des öffentlichen Wohls bzw. zum Schutz besonderer öffentlicher Belange einen naturgemäß letztlich nur von ihr selbst handhabbaren Einschätzungsspielraum eingeräumt hat.
Die damit einhergehende Einschränkung des in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechts auf effektiven Rechtsschutz (vgl. dazu, speziell im Fall eventueller Einschränkungen im Interesse von Geheimschutzbelangen, insbesondere BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999, Az. 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, Juris, insbesondere RdNr. 73) kann und muss auch unter gebotener Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Anwendungsbereich des IFG hingenommen werden. Die erforderliche Güterabwägung zwischen den Belangen des Geheimschutzes, eines legitimen Anliegens des Gemeinwesens (vgl. BVerfG a. a. O., RdNr. 87), und den Belangen des allgemeinen Informationszugangsrechts wurde hier vom Gesetzgeber selbst in nicht zu beanstandender Weise zu Gunsten des Geheimschutzes vorgenommen (vgl. auch die amtliche Begründung zu § 3 Nr. 4 IFG, BT-Drs. 15/4493, Seite 11, linke Spalte). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das allgemeine Informationszugangsrecht nach § 1 Abs. 1 IFG, das ohnehin schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nur "nach Maßgabe dieses Gesetzes" eingeräumt ist, d. h. insbesondere auch unter Berücksichtigung der sich aus §§ 3 bis 6 IFG ergebenden Beschränkungen (sog. negative Tatbestandsmerkmale), nicht davon abhängig ist, dass derjenige, der die Information begehrt, hierfür ein rechtliches oder berechtigtes Interesse geltend macht, beispielsweise eine persönliche Betroffenheit (vgl. amtliche Begründung zum IFG, BT-Drs. 15/4493, insbesondere Seite 6 und 7). Hierdurch unterscheidet sich der allgemeine Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 1 IFG wesentlich von besonderen Auskunftsansprüchen, wie etwa in § 15 BVerfSchG (und den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen) sowie in zahlreichen anderen Rechtsgebieten (vgl. z. B. §§ 4, 5 BArchG, § 12 GBO, §§ 61 ff PStG, § 19 Abs. 1 BDSG).
Allein schon der oben wiedergegebene, vom Bundesamt genannte Gesichtspunkt des Schutzes der Integrität der beim Bundesamt zu führenden Verwaltungsverfahren rechtfertigt somit die Einstufung der Herkunftsländer-Leitsätze als Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades VS-NfD. Denn Manipulationen des Asylvorbringens durch die Asylbewerber würden den Vollzug des Asyl- und Aufenthaltsrechts zumindest erschweren und damit den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder zuwiderlaufen.
Unabhängig hiervon macht das Bundesamt, und sei es auch schwerpunktmäßig eher im Zusammenhang mit dem von ihm erstmals im gerichtlichen Verfahren in Anspruch genommenen weiteren gesetzlichen Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 1a IFG, geltend, die Herkunftsländer-Leitsätze würden auf Einzelauskünften sachkundiger Stellen, wie Auswärtiges Amt, Menschenrechtsorganisationen, Hochschulinstitute usw. beruhen, in denen die Verhältnisse in den einzelnen Asylbewerber-Herkunftsländern geschildert und bewertet würden. Dabei komme es erfahrungsgemäß in bestimmten Fällen auch zu sehr kritischen Würdigungen der Verhältnisse in Asylbewerber-Herkunftsländern. Bei anderen Asylbewerber-Herkunftsländern ergebe die Auswertung der zugrunde liegenden Einzelerkenntnisquellen dagegen, dass Anhaltspunkte für Asylgründe bzw. für subsidiären Abschiebungsschutz nicht bzw. allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen seien.
Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt nach den vorstehend genannten Kriterien der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit aus der Sicht des erkennenden Verwaltungsgerichts die Einstufung der Herkunftsländer-Leitsätze als Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VS-NfD. Auch insoweit könnte die Kenntnis der Entscheidungsmaßstäbe des Bundesamtes, sowohl derjenigen, die sich zu Gunsten der Asylbewerber auswirken würden, als auch derjenigen, die sich eher zu deren Ungunsten auswirken würden, entsprechend dem oben bereits Ausgeführten den einzelnen Asylbewerbern Manipulationen aus eigennützigen Gründen ermöglichen und dadurch den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder zuwiderlaufen.
Darüber hinaus beruft sich das Bundesamt in diesem Zusammenhang auch in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise darauf, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland könnten durch das Bekanntwerden der Herkunftsländerleitsätze Nachteile erleiden. Das Bundesamt weist sinngemäß insbesondere darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ausländischen Staaten und Organisationen zahlreiche Kontakte, etwa diplomatischer Art oder Handelskontakte, pflegt bzw. aus unabweisbaren Sachzwängen heraus geradezu pflegen muss, die zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, aber auch zum Beispiel zum Nachteil einzelner Bürger oder Unternehmen, gestört werden könnten, wenn den betreffenden Staaten oder Organisationen bekannt würde, dass das Bundesamt - immerhin eine selbständige "Bundesoberbehörde" im Sinne von Art. 87 Abs. 3 GG - etwa die Menschenrechtslage in einem bestimmten Gebiet oder die dortige allgemeine Sicherheitslage dezidiert negativ einstuft. Welche hohes Gewicht der Gesetzgeber gerade diesem Gesichtspunkt im Anwendungsbereich des IFG allgemein zuweist, zeigt im Übrigen auch die Regelung in § 3 Nr. 1a IFG.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt nicht nur diejenigen Herkunftsländer-Leitsätze als Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad VS-NfD einstuft, die zum Beispiel Asylherkunftsländer mit prekärer Menschenrechtssituation bzw. dramatischer allgemeiner Sicherheitslage betreffen, sondern die Leitsätze über sämtliche dort erfassten Herkunftsländer, weil die Zuordnung von Asylherkunftsländern zu bestimmten, aus asyl- und aufenthaltsrechtlicher Sicht stark relevanten bzw. weniger relevanten Kriterien eine Anpassung des Aussageverhaltens der Asylbewerber ermöglicht, z. B. bei Angehörigen von Völkern und Volksgruppen, die in mehreren Staaten ansässig sind, wobei sich die inneren Verhältnisse dieser Staaten jedoch in asylrechtlich und aufenthaltsrechtlich relevanter Weise unterscheiden können. Aus diesem Grund kommt auch eine nur teilweise Zugänglichmachung der Herkunftsländer-Leitsätze nicht in Betracht.
Auch der Umstand, dass die den Herkunftsländer-Leitsätzen zugrunde liegenden einzelnen Erkenntnisquellen ihrerseits nur teilweise als Verschlusssachen eingestuft sind, häufig jedoch frei zugänglich sind, steht der Einstufung der Herkunftsländer-Leitsätze selbst als Verschlusssache nicht entgegen, weil die Gesamtauswertung sämtlicher der dem Bundesamt zur Verfügung stehenden Einzelerkenntnisquellen zu einem bestimmten Herkunftsland eine eigene, von den Einzelerkenntnisquellen getrennt zu sehende Qualität besitzt (vgl. insoweit auch etwa den Hinweis in Nr. 2.4 - letzter Spiegelstrich - der Anlage 1 zur VSA, betreffend Zusammenstellungen polizeilicher Ermittlungen, die einzeln nicht als Verschlusssachen eingestuft sind). Dies gilt umso mehr, als der zusammenfassenden Bewertung der Lage in einem Herkunftsland durch das Bundesamt auch solche Einzelerkenntnisquellen zugrunde liegen können, die sogar mit einem noch höheren Geheimhaltungsgrad eingestuft sind als VS-NfD.