OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.03.2008 - 18 A 783/07 - asyl.net: M12915
https://www.asyl.net/rsdb/M12915
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Türken, Familienangehörige, Aufenthaltsdauer, Unterbrechung, Unionsbürgerrichtlinie, Ausweisung, Verfahrensmangel, Vorabentscheidung, Europäischer Gerichtshof, Vorlagepflicht
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; ARB Nr. 1/80 Art. 7; RL 2004/38/EG Art. 28 Abs. 3; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5; EG Art. 234
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die benannten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

Hinsichtlich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts.

Daran fehlt es hier. Entgegen seiner Ansicht ist die Ausweisungsverfügung nicht an gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen zu messen. Der Kläger ist nicht – wie er meint – nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 assoziationsberechtigt. Er hatte nicht, der Norm entsprechend, als Familienangehöriger mindestens drei Jahre ununterbrochen seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden Arbeitnehmer. Das Verwaltungsgericht hat hierzu zutreffend festgestellt, dass die vom Kläger nach seiner Einreise ins Bundesgebiet bei seiner Mutter vor dem 1. Dezember 1982 verbrachte Zeit nicht berücksichtigungsfähig ist, weil er sich zu diesem Zeitpunkt zur Gründung eines eigenen Hausstandes dauerhaft von ihr getrennt hatte und deshalb die bis dahin erworbene Anwartschaft auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erloschen war (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 14. August 1997 - 18 B 1670/97 -).

Daran vermag entgegen der Ansicht des Klägers nichts zu ändern, dass er seinen Entschluss schon nach kurzer Zeit änderte und dem entsprechend die Trennung nur bis zum 12. Januar 1983 dauerte. Hierzu beruft sich der Kläger vergeblich auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Kadiman" (– EuGH, Urteil vom 17. April 1997 Rs. C-351/95 -, InfAuslR 1997, 281 –). Dort sowie in der Entscheidung "Eyüp" – EuGH, Urteil vom 22. Juni 2000 Rs. C-65/98 -, InfAuslR 2000, 329 – hat zwar der EuGH klargestellt, dass für den Zweck der Berechnung des dreijährigen ordnungsgemäßen Wohnsitzes kurzfristige Unterbrechungen der tatsächlichen Lebensgemeinschaft ohne die Absicht, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat aufzugeben, wie eine Abwesenheit aus berechtigten Gründen vom gemeinsamen Wohnsitz für einen angemessenen Zeitraum, zu berücksichtigen sind. So verhält es sich hier jedoch nicht. Wenn auch die vorliegend gegebene Unterbrechung als kurzfristig zu bezeichnen ist, so steht doch die uneingeschränkt am 1. Dezember 1982 vorhanden gewesene Trennungsabsicht des Klägers einem ununterbrochen fortbestehenden Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zwingend entgegen.

Ohne dass es noch entscheidungserheblich ist, sei zu der weiteren Ansicht des Klägers, im Falle seiner Assoziationsberechtigung stünde Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG (umgesetzt in § 6 Abs. 5 FreizügG/EU) seiner Ausweisung entgegen, klarstellend angemerkt, dass nach der Senatsrechtsprechung diese Norm auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht anwendbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Mai 2007 - 18 B 2389/06 -, NVwZ 2007, 1445 = EZAR NF 19 Nr. 20) und dass davon ausgehend selbst bei einer zugunsten des Klägers unterstellten Assoziationsberechtigung hinsichtlich der dann auf seine Ausweisung anzuwendenden allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts unter den nur in Betracht kommenden spezialpräventiven Aspekten die Ausweisungsverfügung keinen Bedenken unterliegen würde, nachdem der Kläger in der Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist und damit gezeigt hat, dass die Erwartung eines zukünftig straffreien Verhaltens, die der vorangegangenen Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

Soweit der Kläger letztlich einen Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO mit der Begründung geltend macht, das Verwaltungsgericht habe seinen Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH unbeschieden gelassen, greift diese Rüge ebenfalls nicht durch. Eine derartige Vorlagepflicht bestand für das Verwaltungsgericht schon aus formellen Gründen nicht. Sie ist vielmehr nach Art. 234 Satz 3 EG nur gegeben, wenn die Entscheidung des einzelstaatlichen Gerichts selbst nicht mehr mit einem Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. So ist es hier nicht. Dem Kläger stand als Rechtsmittel der Antrag auf Zulassung der Berufung zur Verfügung. Das ist ausreichend, weil damit der Zugang zur nächsten Instanz ermöglicht wird. Dem entsprechend hat das Bundesverwaltungsgerichts als Rechtsmittel im Sinne des Art. 234 Satz 3 EG auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bewertet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 10 B 21.04 -, HGZ 2005, 136).

Es ist nichts dafür erkennbar, warum für das Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung etwas anderes gelten soll (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2003 - 18 A 3673/01 -, NVwZ-RR 2003, 616 = AuAS 2003, 123).

Wenn somit das Verwaltungsgericht nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet war, so stand es nach Art. 234 Satz 2 EG in seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es eine Vorlage an den EuGH beschließen wollte. Unter welchen Voraussetzungen ein Absehen davon ermessensfehlerhaft ist und einen Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO darstellt, kann dahin stehen. Das Verhalten des Verwaltungsgerichts, den Antrag unbeschieden zu lassen, ist schon deshalb vorliegend unerheblich, weil es von seinem Standpunkt aus mangels eines Aufenthaltsrechts nach dem ARB 1/80 keinen Klärungsbedarf für eine gemeinschaftsrechtliche Frage gab.