VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 06.02.2008 - 19 C 07.3399 - asyl.net: M12945
https://www.asyl.net/rsdb/M12945
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Wirkungen der Ausweisung, Befristung, Sperrwirkung, atypischer Ausnahmefall, Fristdauer, Ermessen, Sachaufklärungspflicht, Wiederholungsgefahr, Beweislast
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3; VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klage hat in dem für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG werden die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf Antrag in der Regel befristet. Mit dieser Befristungsmöglichkeit trägt der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung (vgl. BVerfGE 51, 386 [399]). Dementsprechend entfaltet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine unmittelbar drittschützende Wirkung dergestalt, dass der Betroffene bei Vorliegen eines Regelfalls einen Anspruch auf Befristung überhaupt sowie einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des der Ausländerbehörde hinsichtlich der Fristdauer eingeräumten Ermessens hat, der sich im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null auf eine bestimmte Fristdauer/-modalität verengen kann (vgl. VGH Mannheim, U. v. 26.3.2003 - 11 S 59/03 -, InfAuslR 2003, 333 [335]). Zweck der Befristungsregelung ist es, dem Ausländer einen neuen Aufenthalt zu ermöglichen, wenn sich der Sachverhalt verändert hat, insbesondere die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke erreicht sind. Namentlich in Fällen der Ausweisung aus Anlass von Straftaten - aber nicht nur dann - besteht regelmäßig nach einer angemessenen Zeit ordnungsgemäßer Führung kein Anlass mehr, dem Ausländer allein wegen der Ausweisung den Aufenthalt zu verwehren. Ist beispielsweise die (Wiederholungs-) Gefahr entfallen, derentwegen der Ausländer ausgewiesen wurde, so sind grundsätzlich auch die Ausweisungswirkungen zu befristen (so BVerwG, U. v. 7.12.1999 - 1 C 13/99 -, NVwZ 2000, 688 [690]; U. v. 11.8.2000 - 1 C 5.00 -, InfAuslR 2000, 483 [484]).

Liegt andererseits eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel vor - d.h. ein Fall, der durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet ist, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt -, so scheidet eine Befristung aus Rechtsgründen aus (vgl. VGH Mannheim, U. v. 26.3.2003 - 11 S 59/03 -, InfAuslR 2003, 333 [335]). Das Tatbestandsmerkmal der Regelbefristung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 11.8.2000 - 1 C 5.00 -, InfAuslR 2000, 483).

Dem Regel-Ausnahmeverhältnis entsprechend, sind an das Vorliegen eines Ausnahmefalls strenge Anforderungen zu stellen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung oder Abschiebung darf nur in atypischen Fällen versagt werden (vgl. BVerwG, U. v. 11.8.2000 - 1 C 5.00 -, InfAuslR 2000, 483 [484]). Die gesetzgeberische Absicht der Regelbefristung würde unterlaufen, wenn die Ausländerbehörde im Ermessenswege bestimmten dürfte, ob ein Regel- oder ein Ausnahmefall vorliegt und hieran die Versagung der Befristung geknüpft werden könnte (vgl. OVG Hamburg, U. v. 26.3.1992 - OVG Bf VII 71/91 -, InfAuslR 1992, 359 [361]). Für die rechtshindernde Tatsache des Vorliegens eines Ausnahmefalls als Abweichung von der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG angeordneten gesetzlichen Regel trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und (Beweis-) bzw. Feststellungslast (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2005, § 108 RdNr. 13a; Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 108 RdNr. 132). Einen Ausnahmetatbestand hat entsprechend allgemeinen Grundsätzen stets derjenige zu beweisen, der sich auf ihn beruft (vgl. BGHZ 87, 393 399 f.>; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, Anh. § 286 RdNr. 12).

Gemessen an diesen Maßstäben vermögen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Ansbach eine Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags für das Klageverfahren nicht zu rechtfertigen.

Sowohl die Ausländerbehörde als auch das Verwaltungsgericht haben entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass beim Kläger ein Ausnahmefall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorliege, weil nicht dargetan oder sonst ersichtlich sei, dass von ihm künftig keine Gefahr mehr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Das Verhältnis des Klägers zu seinen früheren Aktivitäten für die HuT, so das Verwaltungsgericht, sei unklar.

Eben diese Unklarheiten aufzuklären und zu beseitigen ist jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Nur wenn das Gericht in Ausübung seiner Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) zu dem Ergebnis kommt, dass die von der Beklagten vorgetragenen Gründe die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen, wird die gesetzliche Regel des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchbrochen und ein Anspruch des Klägers auf Befristung an der Entstehung gehindert. Nicht der Kläger, sondern die Beklagte trägt die Feststellungslast für das Vorliegen eines solchen atypischen Geschehensablaufs.

Dieser Nachweis kann entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon dadurch als geführt gelten, dass der Kläger im Jahre 2004 aus der Bundesrepublik ausgewiesen wurde und diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Entscheidungserheblich ist allein, ob der Sachverhalt sich nachträglich verändert hat, insbesondere ob die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke inzwischen erreicht sind (vgl. BVerwG, U. v. 7.12.1999 - 1 C 13/99 -, NVwZ 2000, 688 [690]).

Hiervon ausgehend obliegt es der Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls mit der Folge der Übernahme der Feststellungslast für das Vorliegen eines Ausnahmefalls nachzuweisen, dass der Kläger nach wie vor Kontakte zu der in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen HuT unterhält und deren Ziele unterstützt, so dass die in der Ausweisungsverfügung vom 5. April 2004 festgestellten Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor fortbestehen oder sich im Falle einer Rückkehr des Klägers erneut aktualisieren. Erst im Anschluss daran kann beurteilt werden, ob eine unbefristete Ausweisung gerechtfertigt ist oder die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 11.8.2000 - 1 C 5.00 -, InfAuslR 2000, 483 [484]). Ein Beurteilungsermessen kommt der Ausländerbehörde nur im Hinblick auf die Frage zu, ab welchem Zeitpunkt darauf geschlossen werden kann, dass keine Wiederholungsgefahr mehr droht. Das Fortbestehen der Gefahr selbst unterliegt hingegen voller gerichtlicher Nachprüfung.