VG Dresden

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VG Dresden, Beschluss vom 28.03.2008 - 3 L 93/08 - asyl.net: M13025
https://www.asyl.net/rsdb/M13025
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Fortgeltungsfiktion, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, verspätete Antragstellung, Haft, Deutschverheiratung, Ehegattennachzug, Regelausweisung, Drogendelikte, Generalprävention, Spezialprävention, besonderer Ausweisungsschutz, Drogentherapie, Verhältnismäßigkeit, Schutz von Ehe und Familie, Zumutbarkeit
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 84 Abs. 2; AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 5; VwGO § 123; AufenthG § 27; AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 11 Abs. 1; AufenthG § 53; AufenthG § 25
Auszüge:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

Die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung entfällt bereits kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Vorläufiger Rechtsschutz könnte insoweit durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel erlangt werden, den Vollzug der Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 2 AufenthG vorläufig auszusetzen (§ 50 Abs. 3 AufenthG – vgl. zur früheren Rechtslage nach dem bis zum 20. Dezember 2004 geltenden Ausländergesetz: SächsOVG, Beschluss vom 7. März 2001, Az. 3 BS 232/00). Dies setzt jedoch voraus, dass durch die Antragstellung eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG vermittelt wurde. Nach dieser Vorschrift gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies war hier indes nicht der Fall. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 15, 420, 96, abgedruckt in: GK-AufenthG, Band II – Materialien zu § 81) soll die Fortgeltungsfiktion des bisherigen Aufenthaltstitels nur dann eintreten, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt wird. Nach wohl überwiegender Auffassung kann ein verspäteter Antrag die Fortgeltungsfiktion nicht auslösen (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 81, Rdnr. 43 mit zahlreichen Nachweisen zum Sach- und Streitstand).

Ausweislich der vorliegenden Verwaltungsakte war die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltserlaubnis bis zum 8. Juli 2006 befristet. Der von der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnte Verlängerungsantrag wurde erst am 7. September 2006, damit nahezu zwei Monate nach Ablauf des ursprünglichen Titels und somit verspätetet gestellt. Zwar geht etwa das Sächsische Oberverwaltungsgericht davon aus, dass auch ein Antrag, der verspätet – jedoch im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ablauf des Aufenthaltstitels – gestellt wurde unter die Norm des § 81 Abs. 4 AufenthG fällt und damit die Fortgeltungsfiktion vom Zeitpunkt des Ablaufs des bisherigen Aufenthaltstitels auslöst (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 22. Februar 2007, Az.: 3 BS 276/05; so auch OVG NW, Beschluss vom 23. März 2006, Az.: 18 B 120/06, InfAuslR 2006, 448). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, da bei einem nahezu zwei Monate verspätetet gestellten Antrag zumindest nicht mehr von einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf des bisherigen Aufenthaltstitels gesprochen werden kann. Dabei spielt nach Auffassung der Kammer auch keine Rolle, dass sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt in Haft befand. Es ergibt sich kein Anhaltspunkt, dass ihn dies an einer rechtzeitigen Antragstellung hätte hindern können.

Da es dem Antragsteller somit an einem fiktiven Bleiberecht fehlt, könnte er in sachdienlicher Auslegung seines Antrags (§ 88 VwGO) vorläufigen Rechtsschutz nur durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Inhalt erlangen, dass der Antragsgegnerin aufzugeben ist, ihm bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. § 4 AufenthG) den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 24. März 1997, Az. 3 S 513/96), ihm also bis zu diesem Zeitpunkt Duldungen zu erteilen. Der Antragsteller hat allerdings nicht – wie § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO es verlangt – glaubhaft gemacht, dass ihm gegenüber der Antragsgegnerin ein solcher Anspruch zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund).

Jedenfalls hat der Antragsteller kein verfahrensbezogenes Aufenthaltsrecht und damit keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Dem Antragsteller kann zunächst derzeit keine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau erteilt werden. Dem steht bereits die ebenfalls mit dem angefochtenen Bescheid gegen den Antragsteller ergangene Ausweisungsverfügung entgegen – § 11 Abs. 1 AufenthG.

Der Umstand, dass aufgrund der eingelegten Klage zum Aktenzeichen 3 K 252/08 auch die verfügte Ausweisung bisher nicht bestandskräftig geworden ist, ist insoweit unerheblich, da sie aufgrund der Regelung des § 84 Abs. 2 AufenthG jedenfalls wirksam ist (vgl. oben).

Die verfassungsrechtlich in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Garantie eines wirkungsvollen, effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sowie das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG gebieten allerdings, im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens auch zu prüfen, ob die Ausweisung zu Recht erfolgt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Februar 1997, Az.: 11 S 3271/96; Beschluss der erkennenden Kammer vom 7. Juli 2003, Az.: 3 K 2600/03), da dem Antragsteller möglicherweise einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren wäre, wenn er im übrigen die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels erfüllt (vgl. §§ 5 und 16 AufenthG).

Allerdings hat das Gericht hier keinen Zweifel daran, dass die Ausweisung des Antragstellers auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007, Az.: 1 C 45/06, Juris) rechtmäßig ist. Die Antragsgegnerin kann sich insoweit beanstandungsfrei auf general-, wie auch spezialpräventive Gründe stützen. Die Beteiligten gehen dabei zu Recht davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner Verurteilung aufgrund eines Betäubungsmitteldelikts zu drei Jahren Haft die an sich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat. Aufgrund der Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau, die auch nach deren Bekunden nach dem Haftende fortgesetzt werden soll, greift zu seinen Gunsten der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 AufenthG. Eine Ausweisung kann nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgesprochen werden (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), wobei dies in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel der Fall ist. § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG bestimmt, dass der Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 in der Regel ausgewiesen wird.

Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers geht die Kammer hier nicht davon aus, dass ein Ausnahmefall zur Regelausweisung vorliegt.

Der von ihm begangene und mit drei Jahren Haft geahndete Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz stellt einen typischen und vom Gesetzgeber erfassten Anlass für eine Ausweisung dar.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst nicht zu beanstanden, dass sich die Behörden auf generalpräventive Gründe für die ausgesprochene Abschiebung stützen. Gerade bei Delikten im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes ist es zum Schutz der Öffentlichkeit dringend erforderlich, generalpräventive Überlegungen anzustellen. Denn es darf bei Ausländern nicht der Eindruck entstehen, dass solche schwerwiegenden Delikte keine ausländerrechtlichen Folgen haben. Ist die Vollziehung der Ausweisung generalpräventiv gerechtfertigt, so kommt es auf die Gefahr erneuter Straffälligkeit nicht an, so dass selbst eine günstige Sozialprognose nicht zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. August 1995, InfAuslR 1995, 404 m.w. N.; SächsOVG, Urteil vom 31. August 2006, Az.: 3 B 512/05, Juris; SächsOVG, Beschluss vom 2. Mai 2007, Az.: 3 BS 123/07). Insoweit kann dahinstehen, ob die vom Antragsteller im Maßregelvollzug begonnene Therapie voraussichtlich Erfolg haben wird oder nicht.

Darüber hinaus sind allerdings die Erwägungen der Ausgangs- und der Widerspruchsbehörde zur Frage einer Ausweisung auch aus spezialpräventiven Gründen nicht zu beanstanden. Dabei konnte sie die vor der letztlich zur Ausweisung führenden Verurteilung liegenden Straftaten für ihre Prognoseentscheidung verwenden, ob von dem Antragsteller voraussichtlich auch zukünftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen wird. Insoweit wurde zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller schon unabhängig von seiner eigenen Drogenabhängigkeit während seiner ersten Anwesenheit im Bundesgebiet in relativ kurzer Zeit eine beachtliche kriminelle Karriere durchlaufen hat. Es hat sich dabei mehrfach gezeigt, dass ihn weder Verurteilungen noch sein persönliches familiäres Umfeld von weiteren – zunehmend erheblicheren – Straftaten abgehalten haben. Auch den vorgelegten Gutachten der Fachklinik des Maßregelvollzugs, in der sich der Antragsteller derzeit befindet, ist nicht zu entnehmen, dass er sich zukünftig zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit straffrei verhalten wird. Bei Abhängigkeit von harten Drogen ist generell von einer hohen Rückfallquote auszugehen. Die bloße Bereitschaft, sich einer Therapie zu unterziehen oder diese auch tatsächlich begonnen zu haben, ermöglicht keine abschließend positive Prognose, solange die Therapie noch nicht erfolgreich absolviert wurde (vgl. BayVGH, Beschluss vom 21. August 2007, Az.: 24 ZB 07.1233, Juris).

Ein Ausnahmefall oder eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist schließlich auch nicht aufgrund höherrangigen Rechts anzunehmen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Ausweisung des Antragstellers gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK verstößt.

Sie ist zum einen durch die dargestellten general- und spezialpräventiven Erwägungen gedeckt. Darüber hinaus hat sich besonders die Widerspruchsbehörde ausführlich mit den familiären Umständen des Antragstellers auseinander gesetzt und zutreffend darauf hingewiesen, dass er durch seine Straftaten auch seine ausländerrechtliche Situation selbst verschuldet hat. Der Antragsteller und seine deutsche Ehefrau haben keine eigenen Kinder, deren Belange bei der Entscheidung über eine Ausweisung zu berücksichtigen gewesen wären.

Der Antragsteller hat bei dieser Sachlage auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bzw. auf eine entsprechende ermessensfehlerfreie Entscheidung nach Maßgabe des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

Vor diesem Hintergrund kann sowohl dem Antragsteller, als auch dessen Ehefrau eine vorübergehende Trennung zugemutet werden. Zwar besteht die Ehe inzwischen seit mehr als fünf Jahren. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass aus dieser bisher keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind und die Eheleute nach der Hochzeit lediglich etwas mehr als zwei Jahre gemeinsam in der Bundesrepublik gelebt haben. Seit nunmehr zweieinhalb Jahren ist der Antragsteller inhaftiert. Insoweit wird durch die Ausreisepflicht des Antragstellers nicht die (vorübergehende) Trennung einer "intakten" Familie bewirkt. Vielmehr müsste sich der Antragsteller ohnehin in das alltägliche Lebensumfeld seiner Familie neu integrieren. Dass die vorübergehende Ausreise des Antragstellers für die Eheleute eine besondere Härte darstellt und diese in nächster Zeit dringend auf eine gegenseitige Unterstützung angewiesen sind, ist nicht ersichtlich.