VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 06.03.2008 - 11 K 2080/07 - asyl.net: M13048
https://www.asyl.net/rsdb/M13048
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, Türken, Assoziationsberechtigte, Erwerbstätigkeit, Ausbildung, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte
Normen: AFBG § 2 Abs. 1; AFGB § 8 Abs. 2; ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1; ARB Nr. 1/80 Art. 9
Auszüge:

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Aufstiegsfortbildungsförderung für den Meisterlehrgang im Friseurhandwerk zu gewähren.

Unstreitig ist, dass die Klägerin einen Abschluss nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AFBG (Fassung der Bekanntmachung vom 10.1.2002, BGBl. I S. 402, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.10.2006, BGBl I S. 2407) aufweist und ein Fortbildungsziel auf dem Niveau des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AFBG anstrebt sowie dass nach der Bescheinigung des Maßnahmeträgers vom 13.6.2006 die Anforderungen des 2 Abs. 3 AFBG an eine Maßnahme in Vollzeitform erfüllt werden. Für die Staatsangehörigkeit der Teilnehmer gilt nach § 8 AFGB: ...

Ein Fall des Abs. 1, insbes. Nr. 4 liegt nicht vor, auch wenn diese Änderung durch Art. 11 Nr. 11 des Zuwanderungsgesetzes (BGBl. I 2004 S. 1950) wie bei den anderen Nummern der Aufzählung auf Ausländerinnen zu erstrecken ist. Denn die unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Klägerin gilt nicht als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fort (vgl. § 101 Abs. 1 AufenthG).

Die Voraussetzungen des unverändert gebliebenen Abs. 2 sind jedoch erfüllt, weil Zeiten der Ausbildung als Friseurin einzurechnen sind. Insoweit wäre für Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2002 - C-188/00 - InfAuslR 2003, 41 = DVBl 2003, 451) und das deutsche Ausländerrecht (§ 2 Abs. 2 AufenthG, § 7 Abs. 2 SGB IV) von Arbeitnehmereigenschaft bzw. Erwerbstätigkeit der Klägerin auszugehen, nicht aber für elternunabhängige Ausbildungsförderung nach § 11 Abs. 3 BAföG (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.6.1980, BVerwGE 60, 231, bestätigt durch Urt. v. 16.3.1994, BVerwGE 95, 252). Der für elternunabhängige Ausbildungsförderung maßgebende Gesetzeszweck, der sich am Wegfall der elterlichen Pflicht zur Übernahme von Ausbildungskosten orientiert, gilt allerdings nicht für die in § 8 AFBG geregelte Einbeziehung von Ausländern in die Aufstiegsfortbildungsförderung, die sich ersichtlich am Grad der erwarteten (Abs. 1) oder erlangten (Abs. 2) Integration orientiert. Hier ist wiederum die aufenthaltsrechtliche Sicht maßgebend, und auch anderweitige Definitionen von Arbeitnehmern und Erwerbstätigen schließen die zur Berufsausbildung Beschäftigten nicht aus, sondern ein (vgl. außer § 7 Abs. 2 SGB IV für die Sozialversicherung etwa § 5 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz). Vor diesem Hintergrund ist die Erwägung im gerichtlichen Schreiben vom 29.11.2007 letztlich nicht durchschlagend, dass die einer Aufstiegsfortbildungsförderung typischerweise vorausgehende Ausbildungsvergütung nicht ausreichen dürfte, weil sonst das besondere Erfordernis der Erwerbstätigkeit ohnehin meist erfüllt wäre. Insbesondere hat dieses Erfordernis der dreijährigen rechtmäßigen Erwerbstätigkeit im Inland gerade für im Ausland erlangte Ausgangsqualifikationen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AFGB selbständige Bedeutung, und ein anderer Grund als die dadurch fortgeschrittene Integration ist nicht erkennbar. Überhaupt nicht begründet ist die gegenteilige Auffassung von Trebes/Reifers (AFBG, August 2006, Erl. 3.2 zu § 8), eine Berufsausbildung gelte auch im Falle einer Ausbildungsvergütung nicht als Erwerbstätigkeit.

Unabhängig von § 8 Abs. 2 AFBG folgt der Anspruch der Klägerin auch aus Art. 9 ARB 1/80, dessen deutsche Fassung lautet: ...

Das Gericht folgt der mit seinem Schreiben vom 29.11.2007 wiedergegebenen Auffassung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urt. v. 24.11.2005, InfAuslR 2006, 315, entsprechend EuGH, Urt. v. 7.7.2005 - C-374/03 - Gaye Gürol), dass es sich bei der beantragten Förderung um einen solchen Vorteil im Bereich der beruflichen Bildung handelt, woraus unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 9 ARB 1/80 der gleiche Anspruch folgt wie für Deutsche.

Dass die türkischen Kinder nach Art. 9 Satz 2 ARB 1/80 einen Anspruch haben können, lässt nicht auf behördliches, sondern allenfalls auf gesetzgeberisches Ermessen der Mitgliedstaaten schließen. Hierzu finden sich aber im genannten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (v. 7.7.2005 - C374/03 - Gaye Gürol) folgende – von der damaligen Auffassung des Generalanwalts (v. 2.12.2004 -C374/03 -) abweichende – Ausführungen: ... Hiernach gelten die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AFBG, der kein behördliches Ermessen einräumt, ohne weiteres auch für den Personenkreis nach Art. 9 ARB 1/80. Zu diesem gehört die Klägerin, die ihre Eigenschaft als Kind im Sinne des Art. 9 wie auch Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren hat (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 - Inan Cetinkaya, DVBl. 2005, 103) und unter der gleichen Adresse wohnt wie ihr ordnungsgemäß beschäftigter Vater (vgl. "Kurzauskunft" über die Familie vom 31.5.2000 in dessen Ausländerakte).