VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 03.03.2008 - 12 K 2363/07 - asyl.net: M13056
https://www.asyl.net/rsdb/M13056
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Widerruf, Aufenthaltserlaubnis, Konventionsflüchtlinge, Ermessen, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, abgelehnte Asylbewerber, Ablehnungsbescheid, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Prüfungskompetenz, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG für den Widerruf der genannten Aufenthaltserlaubnis lagen vor. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte mit Bescheid vom 23.11.2004 die in seinem Bescheid vom 18.09.2001 getroffene Feststellung widerrufen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Die Beklagte hat auch das ihr nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen rechtmäßig ausgeübt. Insbesondere ist sie den Anforderungen nachgekommen, wie sie im Urteil des VGH Bad.-Württ. v. 22.02.2006 (11 S 1066/05) aufgestellt wurden.

Die Ausübung des Ermessens war im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass die Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel, den sie dem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilen müsste, nicht widerrufen darf (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2007, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 20.02.2003, InfAuslR 2003, 324), nicht rechtswidrig.

Für den Zeitpunkt des Widerrufs der Aufenthaltserlaubnis vom 23.05.2006 kommt ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nur nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in entsprechender Anwendung bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Insoweit wird auf den Beschluss des VGH Bad.-Württ. vom 09.08.2007 (a.a.O.) und den Beschluss des erkennenden Gerichts vom 13.04.2007 (17 K 2363/07) verwiesen. Ob ein solcher Anspruch bestand, war aber zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2007 offen, wie sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2006 (InfAuslR 2007, 4) ergibt. Diese Rechtsfrage wurde vielmehr von der Rechtsprechung kontrovers entschieden (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2007, a.a.O., unter Verweis auf die entsprechenden Entscheidungen). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtslage nach wie vor streitig ist (vgl. z. B. Urt. des erkennenden Gerichts vom 12.02.2008 - 6 K 618/07 -). Unter diesen Umständen kann es keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellen, wenn sich die Beklagte einer der vorhandenen Rechtsauffassungen anschloss. Denn es kommt auf den Zeitpunkt der Ermessensentscheidung an. Deren Rechtmäßigkeit kann nicht davon abhängen, wie die Rechtsfrage irgendwann in nicht absehbarer Zukunft von den Obergerichten entschieden wird.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, und zwar weder zum 23.05.2007 noch zu einem späteren Zeitpunkt einschließlich des Zeitpunkts der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2008.

Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG in entsprechender Anwendung bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Der Kläger hat sich insoweit nicht auf individuelle Gründe, sondern nur auf die allgemeine Lage im Irak berufen.

Der VGH Bad.-Württ. hat im Urteil vom 22.02.2006 (a.a.O.) hierzu ausgeführt: "... das Bundesamt (ist) berechtigt ..., Statusentscheidungen über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) erstmals zusammen mit dem Widerruf einer Asylanerkennung oder der Flüchtlingseigenschaft ... zu treffen; denn es soll nicht offen bleiben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz gewährt wird ... An die hierbei getroffene – positive wie negative – Statusfeststellung des Bundesamts ist die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylVfG strikt gebunden. Hat das Bundesamt die Statusfeststellung unterlassen, so ergibt sich aus § 42 Satz 1 AsylVfG anstelle der Bindungswirkung eine Sperrwirkung; die Ausländerbehörden dürfen in diesem Unterlassensfall nicht in das beim Bundesamt entstehende Entscheidungsvakuum eindringen; sie haben zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse daher aus ihrem Prüfprogramm auszuklammern ... Die aus § 42 Satz 1 AsylVfG folgende Bindungs- bzw. Sperrwirkung gilt für alle denkbaren Entscheidungen der Ausländerbehörden, in denen es rechtlich unmittelbar oder auch nur mittelbar auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG/§ 60 a Abs. 2 bis 7 AufenthG ankommt ...". Dieser Entscheidung folgt das Gericht, denn sie entspricht der – vom Gesetzgeber gewollten – Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Ausländerbehörden. Diese Aufteilung hat im Übrigen – bisher – auch das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I 2007, 1970) ist ohnehin nur noch das Bundesamt für Entscheidungen nach § 60 AufenthG zuständig (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 -). Danach ist unverständlich, logisch und dogmatisch nicht nachvollziehbar und auch im Ergebnis nicht überzeugend, wenn das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 27.06.2006 (BVerwG 1 C 14.05) diese Aufgabenverteilung für bestimmte Konstellationen in Frage stellt (so im Ergebnis auch BayVGH, Beschl. vom 09.10.2006 - 24 ZB 06.1895 -, und Urt. des erkennenden Gerichts vom 12.02.2008 - 6 K 6018/07 -). Die entgegengesetzte Rechtsauffassung (vgl. die Nachweise im Beschluss des VGH Bad.-Württ. vom 09.08.2007, a.a.O.), der nach den Formulierungen in den Gründen dieses Beschlusses wohl der 13. Senat zuneigt, überzeugt demgegenüber nicht. Im Übrigen erscheint es widersinnig, wenn die Rechtsprechung für die vorliegende Konstellation einerseits eine Entscheidung zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG im Asylverfahren trotz § 24 Abs. 2 AsylVfG verhindert, andererseits der Ausländerbehörde dann aber gerade diese Entscheidung aufbürdet.

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Richtlinie 2004/83/EG (so aber Urteil des erkennenden Gerichts vom 21.05.2007 - 4 K 2563/07 -). Denn ein nach dieser Richtlinie begehrter Schutz ist ebenfalls im Asylverfahren zu prüfen (vgl. nur VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.08.2007 - A 2 S 229/07 -). Sofern dies noch nicht geschehen ist, ist dieser Schutz gegebenenfalls in einem Folgeverfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geltend zu machen.