VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 26.02.2008 - Au 1 K 07.621 - asyl.net: M13066
https://www.asyl.net/rsdb/M13066
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Juden, Kontingentflüchtlinge, Konventionsflüchtlinge, Verhältnismäßigkeit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Usbeken, Usbekistan, Privatleben, EMRK
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die Klage ist nicht begründet.

a) Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

(1) Die Ausweisung des Klägers wurde zutreffend auf § 53 Nr. 1 Alt. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gestützt.

(2) Der Kläger kann sich vorliegend auch nicht auf besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG berufen.

Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG liegen nicht vor, da der Kläger noch nicht seit fünf Jahren im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Kläger weder als Asylberechtigter anerkannt ist noch im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt.

Der Kläger ist jüdischer Emigrant und fand auf der Grundlage eines Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 in Deutschland Aufnahme. Auf Initiative des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland hin haben in Absprache mit dem Bundeskanzler die Ministerpräsidenten der Länder am 9. Januar 1991 beschlossen, zur Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden, zur Familienzusammenführung und in sonstigen Härtefällen jüdische Zuwanderer aus den Staaten der früheren Sowjetunion aufzunehmen. Im Ergebnisprotokoll ist hierzu ausgeführt: "Nach kurzer Debatte [...] wird zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern Einvernehmen hergestellt, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion – ohne zahlenmäßige Begrenzung – auch in Zukunft auf Grund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge ermöglicht wird." Daraus folgt, dass das Kontingentflüchtlingsgesetz für diese Emigranten nicht gilt. Denn ihre Aufnahme setzt keine Flüchtlingseigenschaft voraus, die es erlaubt, diesen Personenkreis ohne Asylverfahren wie Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention zu behandeln. Eine Flüchtlingseigenschaft wird nicht geprüft, sondern es kommt nach der Vereinbarung der Ministerpräsidenten der Länder nur auf die Herkunft aus einem der Länder der ehemaligen Sowjetunion und auf die jüdische Abstammung an (OVG Berlin vom 05.02.2001 DVBl 2001, 574). Aus der Aufnahme als jüdischer Kontingentflüchtling folgt somit keine Rechtsstellung als ausländischer Flüchtling (ebenso VG Berlin vom 15.07.2004 Az. 11 A 584.04; VG Augsburg vom 27.03.2007 Az. Au 1 K 06.1358). Die dem Kläger am 22. April 2003 erteilte "Statusbescheinigung" hat lediglich deklaratorische Wirkung und kann die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen (VG Osnabrück vom 10.07.2006 Az. 5 A 53/06).

(3) Damit verbleibt es bei der zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG. Ein Ermessensspielraum ist der Ausländerbehörde in diesem Zusammenhang nicht eröffnet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dem im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abgestuften System der §§ 53, 54 und 55 AufenthG im Rahmen einzelner Tatbestände eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfinden kann; jedenfalls ist hier nach Art und Weise der jeweiligen Tatbegehung die zwingende Ausweisung nicht unverhältnismäßig.

Soweit der Kläger sinngemäß geltend macht, bei einer Rückkehr nach Usbekistan wegen seines Glaubens Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt zu sein, handelt es sich hierbei um zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die gegebenenfalls in einem Asylverfahren geprüft werden müssten.

Gleiches gilt für das erstmalige Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, HIV-positiv getestet zu sein.

Auch substantiiert vorgetragene Anhaltspunkte für eine sonstige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bei einer Rückkehr nach Usbekistan oder für eine staatliche Verfolgung sind nicht ersichtlich.

(4) Die Ausweisung des Klägers begegnet auch im Hinblick auf Art. 6 Grundgesetz (GG) sowie auf Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) keinen Bedenken.

Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder im Bundesgebiet. Zwar lebt die Familie des Klägers in Deutschland. Der Kläger ist jedoch volljährig, es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass andere Familienangehörige seiner Hilfe oder Unterstützung bedürften.

Auch Art. 8 EMRK steht der Ausweisung nicht entgegen. Art. 8 EMRK beinhaltet zwar keinen absoluten Ausweisungsschutz, gleichwohl werden aber besondere Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisungsverfügung gestellt. Dabei sind insbesondere die familiäre Situation des Ausländers und die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland zu berücksichtigen. Wie oben ausgeführt, hat der Kläger keine schützenswerten familiären Bindungen im Bundesgebiet. Einer Erwerbstätigkeit ging er im Wesentlichen nicht nach, vielmehr trat er bis zu seiner Inhaftierung mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Angesichts der erheblichen Straftaten des Klägers und der von ihm ausgehenden besonderen Gefährlichkeit erweist sich deshalb die Ausweisung auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtmäßig.

In Usbekistan leben noch entfernte Verwandte des Klägers, er hat dort einen Großteil seines Lebens verbracht.