VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 18.02.2008 - Au 1 K 07.30251 - asyl.net: M13083
https://www.asyl.net/rsdb/M13083
Leitsatz:
Schlagwörter: Äthiopien, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, exilpolitische Betätigung, EPRP, Mitglieder, Regimegegner, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 60 Abs. 2–7 AufenthG.

Das Gericht ist der Überzeugung, dass die vom Kläger zur Begründung seines Folgeantrags geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 VwVfG nicht erfüllen bzw. nicht dazu führen, dass eine politische Verfolgung des Klägers nach Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten wäre.

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 4. Januar 2007 an das Verwaltungsgericht Aachen hat die EPRP selbst zurzeit keine sichtbaren Strukturen in Äthiopien, sondern agiert lediglich aus dem Ausland. Sie ist als solche keine zugelassene Partei in Äthiopien. Von einzelnen Regierungsmitgliedern ist sie hin und wieder als terroristisch bezeichnet worden, eine diesbezügliche offizielle oder generelle Einstufung ist aber nicht bekannt (Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG Aachen vom 4.1.2007). Das Gefährdungspotential für Mitglieder und Anhänger der EPRP, die nicht dem prominenten Führungszirkel angehören und die sich nicht an Gewaltaktionen beteiligt oder dazu aufgerufen haben, ist nach wie vor gering (Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG Aachen vom 4.1.2007). So schreibt auch das GIGA (Institut für Afrikakunde) in seiner Stellungnahme vom 1. Oktober 2006 (für das VG Aachen), dass im Hinblick auf die Verfolgungswahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die TPLF/EPRDF-Regierung einmal zwischen UEDF-Mitgliedern in Äthiopien und im Ausland, und dort auch zwischen hochrangigen Funktionären der EPRP und von der Partei angeworbenen "Mitläufern" unterscheidet und dass daher auch gewisse Unterschiede bezüglich der Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr bestehen; diese ist für aktive und prominente Mitglieder der EPRP jedenfalls höher einzuschätzen als für Personen, die nicht öffentlich für die EPRP eingetreten sind. Nach dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien vom 6. November 2007 liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch eingestuft wird und welche Art von exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (führende Position; Organisation gewaltsamer Aktionen). Das Institut für Afrikakunde schreibt in seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2006 (für das VG Aachen), dass generell davon ausgegangen werden kann, dass Inhaber von Führungsfunktionen innerhalb der Oppositionsparteien potentiellen Repressalien wie Hausarrest, Verhaftungen zumindest vorübergehender Natur etc. unterworfen sein könnten, was wiederum davon abhängt, inwieweit sie sich verbal gegen das Vorgehen der EPRDF-Regierung ausgesprochen haben. Sollte ihnen ein Aufruf zu öffentlichen Protestaktionen und Gewalt unterstellt werden, läge eine Verhaftung durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen.

Nach Würdigung und Bewertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismaterialien ist das Gericht der Überzeugung, dass nur aktive Parteimitglieder der EPRP einer politischen Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sind, wenn die üblichen Aktivitäten, zu denen jedes Mitglied ohnehin verpflichtet ist, deutlich und nach außen sichtbar und erkennbar überschritten werden. Die bloße Mitgliedschaft in der EPRP oder eine einfache Betätigung für sie kann nicht die Furcht vor einer Verfolgung begründen.

Der von der Bevollmächtigten des Klägers vorgelegte Bericht von amnesty international vom 30. November 2006 vermag keine andere Bewertung zu rechtfertigen. Die ebenfalls von Pro Asyl und dem Bayerischen Flüchtlingsrat in einer Presseerklärung vom 5. Oktober 2006 zitierten Strategiepapiere des Amts für DiasporaAngelegenheiten (beim äthiopischen Außenministerium), die vom Bayerischen Flüchtlingsrat (teilweise übersetzt) veröffentlicht wurden ethiopia.blogsport.de/materialien/), sind nach Ansicht des Gerichts inhaltlich dahin zu bewerten, dass allenfalls führende Oppositionspolitiker oder Personen mit exponierter Stellung in Exilorganisationen bei Rückkehr mit Repressionsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechnen müssen, aber dies gerade nicht auf einfache Parteimitglieder von Exilorganisationen oder bloße Sympathisanten solcher Gruppierungen zutrifft. In der "Richtlinie für den Aufbau der Wählerschaft für den Rest des Jahres 2005/2006" ethiopia.blogsport.de/images/direktive.amt.diasporaangelegenheit en_de.pdf) wird unter III. 3.1.3 "Aufgaben im Zusammenhang mit der politischen Bewegung der im Ausland lebenden Äthiopier" den äthiopischen Auslandsvertretungen zur Hauptaufgabe gemacht, Namenslisten der Oppositionsführer an die Hauptstelle weiterzuleiten, diese Oppositionsführer mit Hilfe unterschiedlicher Informationen aus der Hauptstelle vor den (Exil-) Gruppenmitgliedern bloßzustellen und dafür verstärkt Sorge zu tragen, dass die Hauptakteure vor Gericht gestellt werden. Daraus ist nach Ansicht des Gerichts allenfalls zu entnehmen, dass Äthiopien an der Rückführung exponierter Oppositionspolitiker ein verstärktes Interesse haben könnte und diesen dann auch bei Rückkehr staatliche Repressionsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen könnten. Dass dies auch auf einfache Mitglieder oder Sympathisanten einer Exiloppositionsgruppierung zutrifft, ist der "Richtlinie" nicht zu entnehmen. Eine Bestätigung findet diese Würdigung in dem der "Richtlinie" nachgehenden Schreiben des Amtes für Diaspora-Angelegenheiten an die äthiopischen Auslandsvertretungen vom 31. Juli 2006 (http://ethiopia.blogsport.de/images/folgezirkular_en.pdf), in welchem das Amt für Diasporaangelegenheiten die Auslandsvertretungen um die Übersendung von Listen über Anführer und Organisatoren der "extremistischen Elemente" bittet. Dass dabei auch einfache Mitglieder und Sympathisanten für die äthiopische Regierung von Interesse sind, folgt aus diesem Schreiben nicht.

Nach Überzeugung des Gerichts gehört der Kläger nicht zu dem nach obigen Ausführungen gefährdeten Personenkreis, weil er allenfalls ein einfaches Mitglied der EPRP ist und für das "Komitee zur Unterstützung der EPRP in Deutschland" nur in untergeordneter Funktion tätig ist.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die ablehnende Entscheidung zum Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Die dargestellten, von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen einer verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht vor. Der Kläger würde nicht unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Äthiopien auf Grund der dort herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen in eine extreme Gefährdungslage geraten, die ihn mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tode oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.

Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Für Rückkehrer bieten sich allerdings schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur Existenzgründung. Zwar ist es nach wie vor schwierig einen Arbeitsplatz zu finden. Auch ein soziales Sicherungssystem gibt es in Äthiopien nicht. Die begrenzte Liberalisierung der Wirtschaft bietet aber zumindest denjenigen Rückkehrern, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Republik Äthiopien vom 6.11.2007, IV.1.1).

Der Kläger verfügt nach seinen Angaben im Asylverfahren über eine Ausbildung und eine langjährige Berufserfahrung, welche ihm die Möglichkeit eröffnet, sich in Äthiopien eine Existenz aufzubauen und für seinen Lebensunterhalt zu sorgen (vgl. auch die Ausführungen im Urteil vom 9. September 2004 - Az. Au 1 K 04.30462).