OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.03.2008 - 7 A 11276/07.OVG - asyl.net: M13120
https://www.asyl.net/rsdb/M13120
Leitsatz:

Zwar erwirbt ein nichteheliches Kind einer ausländischen Mutter auch durch eine von einem deutschen Staatsangehörigen bewusst wahrheitswidrig in rechtsmissbräuchlicher Absicht erklärte Vaterschaftsanerkennung die deutsche Staatsangehörigkeit. Seine Mutter, die mit dem anerkennenden Mann kollusiv zusammengewirkt hat, um sich und dem Kind den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, erhält aber nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Eltern, deutsche Kinder, Vaterschaftsanerkennung, Scheinvaterschaft, Staatsangehörigkeitsrecht, Schutz von Ehe und Familie, Freizügigkeit, Gleichheitsgrundsatz, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StAG § 4 Abs. 1; BGB § 1598 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 4; GG Art. 11; GG Art. 3 Abs. 3
Auszüge:

Zwar erwirbt ein nichteheliches Kind einer ausländischen Mutter auch durch eine von einem deutschen Staatsangehörigen bewusst wahrheitswidrig in rechtsmissbräuchlicher Absicht erklärte Vaterschaftsanerkennung die deutsche Staatsangehörigkeit. Seine Mutter, die mit dem anerkennenden Mann kollusiv zusammengewirkt hat, um sich und dem Kind den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, erhält aber nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sind allerdings erfüllt. Nach dieser Bestimmung ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

Die Klägerin ist die sorgeberechtigte Mutter des am 12. Juli 2002 in Deutschland geborenen Kindes B., das seitdem im Bundesgebiet lebt. Mit der Vaterschaftsanerkennung durch den deutschen Staatsangehörigen J. hat das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

Nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - erwirbt ein Kind durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil Deutscher ist. Ist dies nur der Vater und ist zur Begründung der Abstammung nach den deutschen Gesetzen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft. Da Herr J. im Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht mit der Klägerin verheiratet war, bedurfte es gemäß § 1592 BGB zur Begründung der Vaterschaft der Anerkennung oder gerichtlichen Feststellung. Herr J. hat die Vaterschaft für das Kind B. am 22. November 2002 gegenüber dem Jugendamt mit Zustimmung der Klägerin als Mutter anerkannt.

Diese Vaterschaftsanerkennung ist wirksam. Nach § 1598 Abs. 1 BGB ist eine Anerkennung nur unwirksam, wenn sie den Erfordernissen der §§ 1594 ff. BGB nicht genügt. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Da die Aufzählung der Unwirksamkeitsgründe in § 1598 Abs. 1 BGB abschließend ist, führt selbst eine bewusst wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkennung nicht zu deren Unwirksamkeit (vgl. Diederichsen, in: Palandt, BGB, 67. Auflage 2008, § 1598 Rn. 2 m.w.N.). Der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 1 StAG ist zu entnehmen, dass im Staatsangehörigkeitsrecht die gleichen Maßstäbe gelten sollen wie im Familienrecht (vgl. BT-Drs. 12/4450, S. 36). Folglich ist selbst eine bewusst wahrheitswidrige, in rechtsmissbräuchlicher Absicht erklärte Vaterschaftsanerkennung auch staatsangehörigkeitsrechtlich als wirksam anzusehen, solange sie nicht erfolgreich angefochten ist (insoweit im Ergebnis ebenso HessVGH, Beschluss vom 5. Juli 2005 - 9 ZU 364/05 -, juris, Rn. 6 f.; OVG LSA, Beschlüsse vom 1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 - und vom 25. August 2006 - 2 M 228/06 -, juris). Die Vaterschaftsanerkennung für das Kind B. ist nie angefochten worden.

Die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen ist indes nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen.

Während die erste Alternative dieser Vorschrift ("Ehe") den Fall der sogenannten Scheinehe betrifft, ist die zweite Alternative ("Verwandtschaftsverhältnis") sowohl auf sogenannte Zweck- oder Scheinadoptionen als auch auf missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen - sogenannte Scheinvaterschaften - anwendbar (vgl. die Hinweise des Bundesministeriums des Innern vom 2. Oktober 2007 zum Richtlinienumsetzungsgesetz, Teil I. H. I. 1. S. 46 f. Rn. 183; Breitkreutz/Franßende la Cerda/Hübner, ZAR 2007, 381). Missbräuchlich ist die Vaterschaftsanerkennung, wie § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG zu entnehmen ist, wenn sie ausschließlich erklärt wird, um dem Nachziehenden den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, sie also weder zur Anerkennung der biologischen Vaterschaft erfolgt noch einer sozial-familiären Vater-Kind-Beziehung dient. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Fallgruppen feststellen: Zum einen der Fall, dass ein ausländischer Mann ohne gesicherten Aufenthalt die Vaterschaft für das Kind einer unverheirateten Deutschen (oder einer Ausländerin mit gesichertem Aufenthalt) anerkennt. Zum anderen der Fall, dass ein deutscher Mann die Vaterschaft für das Kind einer unverheirateten ausländischen Mutter ohne gesicherten Aufenthalt anerkennt (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft, BT-Drs. 16/3291, S. 1 und 9 f.). Auf beide Fallgruppen findet § 27 Abs. 1a AufenthG Anwendung. Denn in beiden Fällen wird ein Verwandtschaftsverhältnis, nämlich zwischen dem anerkennenden Vater und dem Kind, begründet, um dem Nachziehenden, das heißt im ersten Fall dem anerkennenden ausländischen Mann selbst und im zweiten Fall der ausländischen Mutter des Kindes und dem Kind - das durch den damit verbundenen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit allerdings aus dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes ausscheidet - den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Dies steht auch nicht im Widerspruch zur oben dargelegten Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung im Familien- und Staatsangehörigkeitsrecht. Denn auch im Ausländerrecht wird nicht der Status des Kindes als deutsches Kind in Frage gestellt. § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG regelt insoweit nur, ob bei einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung Dritte, entweder der anerkennende Mann selbst oder die Mutter, die in kollusiver Weise mit dem anerkennenden Mann handelt, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben.

Eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung in dem dargelegten Sinne liegt hier vor.

Weder die gesetzliche Regelung des § 27 Abs. 1a AufenthG noch deren Anwendung auf den vorliegenden Fall verstößt gegen Art. 6 GG.

Zwar entfalten die staatliche Pflicht zum Schutz der Familie und das Elternrecht (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, die einer Trennung der Klägerin von ihrem deutschen Kind, solange es minderjährig ist, entgegenstehen können (vgl. BVerfGE 80, 81; BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats NVwZ 2000, 59), so dass ihre Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich sein und ihr daher ein Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zustehen kann. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht eine Abschiebung der Klägerin oder deren Androhung, sondern allein der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 4 GG, wonach jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat. Diese Vorschrift enthält nicht nur einen Auftrag an den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 32, 273), sondern auch eine für den gesamten Bereich des privaten und öffentlichen Rechts verbindliche verfassungsrechtliche Wertentscheidung, der bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2005, 2383). Aus Art. 6 Abs. 4 GG lässt sich jedoch nicht herleiten, dass der Staat eine rechtsmissbräuchliche Vaterschaftsanerkennung mit einer Aufenthaltserlaubnis für die kollusiv mit dem Mann zusammenwirkende Mutter "belohnen" muss.

Das in Art. 11 GG gewährleistete Recht auf Freizügigkeit wird durch die Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nicht verletzt. Die Klägerin ist keine Deutsche und daher nicht Trägerin dieses Grundrechts. Ihr ist zwar einzuräumen, dass durch die räumliche Beschränkung ihres Aufenthalts als nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens bloß geduldete Ausländerin auf das Gebiet eines Bundeslandes (vgl. § 61 Abs. 1 i.V.m. § 60a Abs. 3 AufenthG) mittelbar auch ihr minderjähriger deutscher Sohn in seinen Möglichkeiten, sich im Bundesgebiet zu bewegen, faktisch berührt wird. Es kann aber dahinstehen, inwieweit im vorliegenden Verfahren der Klägerin eine etwaige Verletzung ihres deutschen Sohnes in seinem Grundrecht aus Art. 11 GG zu berücksichtigen wäre. Denn eine solche Grundrechtsverletzung liegt nicht vor. Allerdings können auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare faktische Wirkung entfalten, Grundrechte beeinträchtigen. Liegt darin eine mittelbare zielgerichtete Beeinträchtigung des Grundrechts auf Freizügigkeit, ist deren Verfassungsmäßigkeit an Art. 11 GG zu messen (vgl. BVerfGE 110, 177 [191]). Für einen zielgerichteten Eingriff in das Freizügigkeitsrecht des deutschen Kindes der Klägerin ist indes nichts erkennbar. Der Ausschluss einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG mit der Folge, dass die Mutter lediglich eine Duldung erlangen kann und der genannten räumlichen Beschränkung unterliegt, zielt nicht auf eine Beschränkung der Freizügigkeit ihres deutschen Kindes. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass ihr deutsches Kind wenn auch nicht faktisch, so doch rechtlich einen deutschen Vater hat, mit dem es sich von Rechts wegen frei im Bundesgebiet bewegen könnte. Wenn das Kind die Vorteile einer bewusst wahrheitswidrigen, in rechtsmissbräuchlicher Absicht abgegebenen, aber wirksamen Vaterschaftsanerkennung genießt - nämlich den Status als deutscher Staatsangehöriger mit dem damit verbunden Aufenthaltsrecht in Deutschland -, so muss es auch die Nachteile einer bloß rechtlich bestehenden, tatsächlich aber nicht gelebten Vaterschaft eines deutschen Staatsangehörigen in Kauf nehmen.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG liegt ebenfalls nicht vor. Der Sohn der Klägerin besitzt die gleichen Rechte wie andere Kinder deutscher Staatsangehörigkeit. Die unterschiedliche Behandlung seiner Mutter gegenüber deutschen Müttern minderjähriger Deutscher beruht auf ihrer Staatsangehörigkeit. Die Staatsangehörigkeit gehört nicht zu den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgezählten unzulässigen Unterscheidungsmerkmalen (vgl. BVerfGE 51, 1 [30]), insbesondere nicht zu den Merkmalen Herkunft und Heimat (Heun, in: Dreier, GG, 2. Auflage 2004, Art. 3 Rn. 30 f. m.w.N.). Soweit die Klägerin gegenüber anderen ausländischen Müttern minderjähriger Deutscher – etwa in Bezug auf die Wahl des Aufenthalts oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit – ungleich behandelt wird, beruht dies allein auf dem ihr vorwerfbaren missbräuchlichen Verhalten. Dies ist nicht nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässig und stellt auch eine hinreichende sachliche Rechtfertigung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.