VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 15.01.2008 - AN 19 K 05.02681 - asyl.net: M13130
https://www.asyl.net/rsdb/M13130
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Familienangehörige, Unionsbürger, Freizügigkeit, Freizügigkeitsgesetz/EU, Anwendbarkeit, Regelausweisung, Ermessensausweisung, Terrorismus, Unterstützung, Vereinigung, Tablighi Jamaat, Islamisten, Religionsfreiheit, besonderer Ausweisungsschutz, Meldeauflage, räumliche Beschränkung
Normen: FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU § 3 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 5; AufenthG § 54 Nr. 5; GG Art. 4 Abs. 2; AufenthG § 54 Nr. 5a; AufenthG § 54a Abs. 1; AufenthG § 54a Abs. 2
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Ausweisungsverfügung samt Annexverfügungen nach dem Aufenthaltsgesetz, die von der Regierung von Mittelfranken erlassen worden ist. Das Aufenthaltsgesetz findet im Fall des Klägers auch Anwendung, da er Ausländer ist und seine Rechtsstellung nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).

Den aufenthaltrechtlichen Privilegierungen des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (siehe insbesondere § 6 FreizügG/EU) unterfällt der Kläger nicht, weil er nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes hat (§§ 1, 2 FreizügG/EU). Der Kläger ist selbst kein Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union und auch kein Familienangehöriger einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU). Die Ehefrau des Klägers ist selbst nämlich nicht gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, womit der Kläger aus der Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau für sich nichts abzuleiten vermag, da nämlich gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsrechte von Familienangehörigen das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgers voraussetzen, wie es sich aus § 3 Abs. 1 FreizügG/EU ergibt. Eine gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung der Ehefrau des Klägers ist zunächst nicht etwa daraus abzuleiten, dass ihr eine "Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU" dahingehend erteilt worden ist, dass sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist. Eine solche Bescheinigung ist gemäß absolut herrschender Auffassung (siehe Hailbronner, AuslR, Oktober 2007, RNr. 5 zu § 5 FreizügG/EU) deklaratorischer Natur und vermag also eine gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung nicht zu begründen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür gerade nicht vorliegen. Die Ableitung eigener Freizügigkeit durch einen drittstaatsangehörigen ausländischen Familienangehörigen von einem Unionsbürger ist nämlich nur bei Vorliegen der Tatbestände von § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU möglich, wie es sich aus § 3 Abs. 1 FreizügG/EU ergibt. Auch einer der weiteren Freizügigkeits-Tatbestände liegt offenbar nicht vor, auch wenn die Ehefrau des Klägers generell auch als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin als gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU in Betracht kommt. Voraussetzung für eine derartige Freizügigkeitsberechtigung ist der Besitz eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes und darüber hinaus der Besitz ausreichender Existenzmittel, wie es sich aus der Verweisung durch § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU auf § 4 FreizügG/EU ergibt. Hiervon ist indes im Fall der Ehefrau des Klägers nicht auszugehen, da diese - im Übrigen schon seit längerer Zeit - Bezieherin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist, mithin weder über eigenes Vermögen noch über laufende Einkünfte aus z.B. und insbesondere Erwerbstätigkeit verfügen kann.

Ein Ausländer wird gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG in der Regel dann ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung auf Grund von § 54 Nr. 5 AufenthG liegen im Fall des Klägers vor. Er gehört nach Überzeugung des Gerichts einer Vereinigung an, die den Terrorismus unterstützt, nämlich der TJ. Die synonyme gesetzliche Verwendung des Begriffs "angehört" einerseits und des Begriffs der "Mitgliedschaft" andererseits zeigt auf, dass es nicht auf eine formell dokumentierte Mitgliedschaft bei der jeweiligen Vereinigung ankommt, wie sie ja auch bei der TJ offenbar gar nicht begründet werden kann und weswegen ihre Mitglieder auch eine Bezeichnung der TJ als Organisation ablehnen. Bei dem mit dem Kläger am 21. September 2004 geführten Sicherheitsgespräch hat dieser selbst angegeben, bei der TJ zu sein und weiterhin, früher in jedem Monat drei Tage "Tablighi" (wohl: Missionierung bzw. Propagierung des Islam) gemacht zu haben.

Die TJ ist eine Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, nämlich ein organisatorischer Zusammenschluss von Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Ziele verfolgen und untereinander derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (vgl. Hailbronner, RdNr. 27 zu § 54 AufenthG). Zwar lehnt die TJ die Bezeichnung als Organisation kategorisch ab. Es gibt weder Mitgliedsausweise noch Nachweise über Zahlungen von Mitgliedsbeiträgen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen und auch Aussagen von Angehörigen der TJ in Sicherheitsgesprächen (Anlage 2 zum Schreiben des Beklagten vom 5.1.2006 Nr. 13, 14, 16 und 17) ist zu ersehen, dass die TJ durchaus organisatorische Strukturen aufweist. So gibt es z.B. danach in jedem Land eine Führungsebene und Ansprechpartner, wobei Vorgaben für die Arbeit der TJ von Pakistan bzw. Indien kommen. Dort befinden sich die Zentren der TJ, die von Scheichs geleitet werden. Einmal im Jahr senden die dortigen Gelehrten Vorgaben an Landesvertreter für die weitere Vorgehensweise. In den Kontinenten unterhält die TJ Zentralen, wie z.B. in Europa wohl in Großbritannien. Die Belange in Deutschland werden von vier Emiren geleitet, die für größere Glaubensfragen zur Verfügung stehen. Diese haben sich auf das Gebiet aufgeteilt. In Deutschland findet alle drei Monate eine "Maschura" (wohl eine Art Funktionärstreffen) statt, bei der auch Einsätze koordiniert und organisiert werden (vgl. Ausarbeitung des Bayer. Landesamtes für Verfassungsschutz, TJ-Nachweis des Extremismus, Anlage 2 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5.1.2006). Es bestehen damit keine Zweifel daran, dass es sich um eine organisatorisch strukturierte internationale Gruppierung handelt.

Mit dem Beklagten geht die Kammer davon aus, dass die TJ den internationalen Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt.

Der Kläger wie auch andere TJ-Mitglieder beteuern zwar, wie z.B. auch anlässlich der Sicherheitsgespräche, Gewalt abzulehnen. Die Auswertung von Sicherheitsgesprächen von TJ-Mitgliedern wie auch vom Kläger erzeugen zwar den vordergründigen Eindruck, dass die Mitglieder der TJ Gewalt ablehnen. Konfrontiert mit Fragen, wie Gewalt und Terrorakte beurteilt werden, zeigt sich jedoch, dass diesbezüglich keine klar ablehnende Haltung existiert, entsprechenden Fragen auch ausgewichen wird.

Wenn die Mitglieder der TJ auch betonen, es gehe um ihre eigene Lebensfindung gemäß dem Koran, so ergibt sich letztlich schon aus den vorhandenen Unterlagen, dass sie Gewalt eben nicht grundsätzlich ablehnen. Vielmehr ist auf Grund der gesamten Erkenntnislage davon auszugehen, dass die TJ die Durchführung von terroristischen Aktionen fördert bzw. zumindest befürwortet. Dabei ist der Begriff des Unterstützens des internationalen Terrorismus nicht eng auszulegen, sondern nach Prüfung der Aktivitäten der Vereinigung durch eine wertende Gesamtbetrachtung zu entscheiden (vgl. BVerwG vom 15.3.2005, Az. 1 C 26/03). Die Schwelle für das Eingreifen dieses mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz ab dem 1. Januar 2002 eingeführten und durch das Zuwanderungsgesetz nur anders gefassten Ausweisungsgrundes ist nach dem Willen des Gesetzgebers angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus deutlich niedriger anzusetzen als bei früheren Regelungen, die eine persönliche und konkrete Gefahr voraussetzen. Gemessen hieran ist die Kammer überzeugt, dass die TJ den internationalen Terrorismus unterstützt. Letztlich sind keine ernsthaften Zweifel vorhanden, dass zahlreiche Personen, die terroristische Anschläge in verschiedenen Ländern begangen haben, aus den Reihen der TJ rekrutiert wurden bzw. mit ihr in Verbindung standen.

Die Verbindungen der TJ zu nachweislich terroristischen Personen liegen deshalb auf der Hand und es ist auch davon auszugehen, dass durch die Aktivitäten der TJ, deren Ziel die Errichtung eines islamischen Staats- und Gesellschaftswesens ist, zumindest die geistige Grundlage und der Boden für Terrorakte geschaffen wird. Eine offene Propagierung von Terrorakten ist für die Erfüllung des Tatbestandes des Unterstützens des Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG nicht erforderlich, wobei eine solche offenbar in Afghanistan und Pakistan durch die TJ durchaus stattfindet.

Im Hinblick auf diese Erkenntnisse und im Hinblick auf die internationale Verflechtung der TJ geht die Kammer davon aus, dass die TJ den internationalen Terrorismus aktiv unterstützt, jedenfalls aber die Rekrutierung von TJ-Glaubensbrüdern ermöglicht bzw. nicht verhindert, dass Terroristen das TJ-Netzwerk für ihre Zwecke logistisch und als Tarnung nutzen.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die TJ überwiegend friedliche Ziele verfolge, in deren Umfeld es lediglich vereinzelt in politischen Krisengebieten zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen sei. Eine Differenzierung des Unterstützerbegriffes je nach Land ist schon wegen des transnationalen Wirkungskreises der TJ und deren Struktur mit den Zentren in Pakistan und Indien, wo letztlich die Vorgaben für weitere Vorgehensweisen gemacht werden, nicht möglich. Bei der Frage der Beurteilung, ob die TJ den Terrorismus unterstützt, kann ebenso wenig entscheidend sein, in welcher Häufigkeit einzelne TJ-Mitglieder oder der TJ nahe stehende Personen in den Terrorismus übergewechselt sind oder terroristische Aktivitäten entfaltet haben und in welchem Ausmaß die TJ als Organisation für die Gewaltverbrechen ausgenützt wird. Unabhängig davon, dass offenbar in einer Vielzahl von Fällen diese Verbindungen bestehen, verbietet sich nach Auffassung der Kammer angesichts der qualitativen Tragweite und der verheerenden Auswirkungen bereits einzelner Terrorakte bei der Beantwortung der Frage, ob die TJ den Terrorismus unterstützt, eine quantitative Betrachtungsweise. Entscheidend ist vielmehr, dass eine im Übrigen auch nicht unbeachtliche Menge von Einzeltätern, die der TJ nahe stehen bzw. Mitglied sind oder waren, durch die TJ, wie oben beschrieben, passiv oder aktiv unterstützt wurden, mit der Folge der Gefährdung unzähliger Menschenleben und großer Sachschäden.

Die behördliche Anordnung steht auch nicht im Widerspruch zu dem in Art. 4 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht auf ungestörte Religionsausübung. Bei den Aktivitäten der TJ geht es nicht um reine Religionsausübung, sondern die TJ fördert und unterstützt, wie oben dargestellt, den internationalen Terrorismus. Dies ist durch das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung nicht gedeckt. Dieses Grundrecht ist zwar ohne Vorbehalt. Auch in ein vorbehaltloses Grundrecht darf aber durch die Staatsorgane zum Schutz der im Grundgesetz verankerten Rechtsgüter eingegriffen werden (vgl. Maunz-Dürig, RdNr. 91 zu Art. 4 GG).

Das Vorliegen der Voraussetzungen für den besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG führt zu einer Einschränkung der Ausweisungsmöglichkeit dahingehend, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen darf, wobei jedoch solche Gründe im Hinblick auf § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu bejahen sind. Für einen Ausnahmefall im Sinn dieser Vorschrift sind keine Gesichtspunkte erkennbar, womit es insoweit beim Vorliegen eines Regelfalles verbleibt und hierzu gerade noch festzustellen ist, dass der Ausländerbehörde insoweit ein Ermessensspielraum nicht zusteht. Demzufolge konnte der Kläger hier im Weg der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ausgewiesen werden (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Zu beanstanden ist die Ermessensausübung nicht, wobei als Maßstab für die gerichtliche Nachprüfung § 114 VwGO heranzuziehen ist. Vorliegend sind weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch wurde von der gesetzlichen Ermächtigung in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht.

Die im Verfahren weiterhin angegriffene Meldeauflage und die Beschränkung des Aufenthalts auf das Gebiet des Landkreises ... finden ihre Rechtsgrundlage in § 54 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Hierbei handelt es sich um Verfügungen, mit denen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Gebote für den Einzelfall konkretisiert werden und die Rechtslage nochmals in verbindlicher Weise klargestellt wird (vgl. Kopp, VwVfG, RdNr. 6 zu § 35). Die tatbestandliche Voraussetzung für derartige Verfügungen, nämlich eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5 AufenthG, ist vorliegend offensichtlich gegeben. Die Verfügung ist auch in der Sache nicht zu beanstanden, entsprechend den vorstehenden Ausführungen.