OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 18.10.2007 - 4 Bf 75/06 - asyl.net: M13151
https://www.asyl.net/rsdb/M13151
Leitsatz:

Die Kosten einer Abschiebung können nur dann vom Ausländer verlangt werden, wenn die Abschiebung rechtmäßig war; ein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, der einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis-EG stellte, war bis zur Entscheidung gem. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG aufenthaltsberechtigt.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungskosten, Kostenrecht, Personalkosten, Verjährung, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Gebühren, Auslandsvertretung, Abschiebung, Antrag, Aufenthaltserlaubnis-EG, Auslegung, Rechtmäßigkeit
Normen: AuslG § 82 Abs. 1; AuslG § 83 Abs. 1; AuslG § 83 Abs. 4; AuslG § 83 Abs. 1 Nr. 2; VwKostG § 10 Abs. 1; VwKostG § 20; RL 64/221/EWG Art. 5 Abs. 1; RL 64/221/EWG Art. 1 Abs. 2
Auszüge:

Die Kosten einer Abschiebung können nur dann vom Ausländer verlangt werden, wenn die Abschiebung rechtmäßig war; ein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, der einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis-EG stellte, war bis zur Entscheidung gem. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG aufenthaltsberechtigt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

I. Die im Kostenfestsetzungsbescheid vom 27. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26. Januar 2004 festgesetzten Kosten der für den 7. August 1997 vorgesehenen Abschiebung des Klägers belaufen sich auf 132,72 Euro. Indes hätte die Beklagte hierfür nur 63,91 Euro festsetzen dürfen.

1. Die Kostentragungspflicht des Ausländers hinsichtlich der durch "die Abschiebung" entstandenen Kosten nach § 82 Abs. 1 AuslG hängt nicht davon ab, dass eine Abschiebung tatsächlich erfolgreich durchgeführt wurde. Auch dann, wenn eine Abschiebung vorbereitet, jedoch tatsächlich nicht vollzogen wurde (z.B. weil der Ausländer - wie hier im Falle der für den 7. August 1997 vorgesehenen Abschiebung des Klägers - untergetaucht ist), besteht die Pflicht des Ausländers, die im Vorfeld des gescheiterten Abschiebungsversuchs entstandenen Kosten zu tragen (vgl. z.B. VGH München, Urt. v. 15.12.2003 - 24 B 03.1049 -, InfAuslR 2004. 252 <253>; VGH Mannheim, Urt. v. 19.10.2005 - 11 S 646/04 -, juris Rdnr. 46: OVG Koblenz, Urt. v. 27.7.2006 - 7 A 11671/05 -, juris Rdnr. 23; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Oktober 2006, § 66 AufenthG Rdnr. 8; Renner. Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005. § 66 AufenthG Rdnr. 2). Dies ergibt sich bereits aus § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, in welchem auch die bei der Vorbereitung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten aufgeführt sind. Vor allem aber stünde eine gegenteilige Sichtweise nicht in Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 82 Abs. 1 AuslG. Diese Regelung dient nämlich der Präzisierung und Erweiterung der Veranlasserhaftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG, nicht hingegen ihrer Begrenzung (vgl. OVG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).

3. Der somit dem Grunde nach bestehende Kostenerstattungsanspruch der Beklagten für den Abschiebungsversuch vom 7. August 1997 ist der Höhe nach nur hinsichtlich eines Teils der von ihr erhobenen Kosten gegeben.

a) Zu Recht macht die Beklagte die durch das Schreiben der Grenzschutzdirektion Koblenz vom 17. Juli 1997 nachgewiesenen Kosten für die Beschaffung des durch die togoische Botschaft ausgestellten Laissez-Passer vom 16. Juli 1997 in Höhe von 125,-- DM (= 63,91 Euro) geltend. Aufwendungen für die Beschaffung eines Passersatzpapiers sind, wenn diese im Rahmen der Vorbereitung einer Abschiebung entstehen, Verwaltungskosten i.S.v. § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Urt. v. 22.2.2007 - 11 LB 307/05 -, juris Rdnrn. 17, 28, 30 und 34; VG Stuttgart, Urt. v. 18.3.2005 - 17 K 4860/04 -, juris Rdnr. 17; Funke-Kaiser, a.a.O., § 67 AufenthG Rdnr. 12; Renner, a.a.O., § 67 AufenthG Rdnr. 2). Die gegenüber der togoischen Botschaft für die Ausstellung des Dokuments zu entrichtende Gebühr (100,-- DM), welche die Grenzschutzdirektion Koblenz verauslagt und die Beklagte erstattet hat, sowie die von der Grenzschutzdirektion Koblenz gegenüber der Beklagten erhobene Auslagenpauschale für die Mitwirkung dieser Behörde bei der Beschaffung des Passersatzpapiers (25,-- DM) sind nach dem gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 AuslG ergänzend anwendbaren Verwaltungskostengesetz - hier § 10 Abs. 1 Nr. 7 VwKostG - "Beträge, die anderen in- und ausländischen Behörden zustehen" und somit erstattungsfähige Auslagen nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (vgl. die Legaldefinition des Begriffs "Kosten" in § 81 Abs. 1 AuslG).

b) Personalkosten der Polizei im Zusammenhang mit dem Abschiebungsversuch vom 7. August 1997 (1,5 Arbeitsstunden eines Polizeibediensteten x 35,79 Euro = 53,69 Euro) hat der Kläger nicht zu erstatten. Es ist nämlich bereits nicht erkennbar, wofür die von der Beklagten erhobenen Personalkosten der Polizei angefallen sein sollen.

c) Die von der Beklagten erhobenen Kosten in Höhe von 15,12 Euro für die Benutzung eines Dienst-Kfz bei einer Fahrt am 7. August 1997 von der Ausländerbehörde zum Flughafen und zurück zur Ausländerbehörde (24 gefahrene Kilometer x 0,63 Euro) hat der Kläger ebenfalls nicht zu tragen. Wodurch diese Kosten entstanden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.

4. Die in Höhe von 63,91 Euro bestehende Kostenforderung der Beklagten ist nicht verjährt. Gemäß § 83 Abs. 4 Satz 3 AuslG verjähren Erstattungsansprüche nach den § 82 Abs. 1, § 83 Abs. 1 AuslG in sechs Jahren nach Fälligkeit. § 20 Abs. 1 Satz 2 VwKostG, wonach die Verjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Anspruch fällig geworden ist, findet aufgrund dieser spezialgesetzlichen Regelung (Beginn bereits bei Fälligkeit) keine Anwendung (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2003, § 83 AuslG Rdnr. 11). Die durch den Abschiebungsversuch vom 7. August 1997 entstandenen Kosten wurden (erst) mit Bescheid vom 27. Oktober 2003 festgesetzt. Dies führt jedoch nicht zur Verjährung des Anspruchs, denn gemäß § 83 Abs. 3 AuslG war die sechsjährige Verjährungsfrist durch den Aufenthalt des Klägers im Ausland nach der Abschiebung vom 7. Juni 2000 unterbrochen worden. Erst ab dem Jahr 2003 hielt sich der Kläger wieder im Bundesgebiet auf. Da infolge des Endes der Unterbrechung eine neue Verjährung begann (§ 20 Abs. 4 VwKostG) und der Kostenfestsetzungsbescheid noch im Jahre 2003 erlassen wurde, ist die Forderung der Beklagten nicht durch Verjährung erloschen (§ 20 Abs. 1 Satz 3 VwKostG).

II. Für die Abschiebung vom 7. Juni 2000 kann die Beklagte die von ihr festgesetzten Kosten nicht verlangen.

1. Voraussetzung für die Erhebung von Abschiebungskosten ist, auch wenn dies in den § 82, § 83 AuslG nicht ausdrücklich geregelt wurde, dass die Abschiebung selbst rechtmäßig war (vgl. z.B. OVG Koblenz, Urt. v. 10.2.1988 - 13 A 205/87 -, InfAuslR 1988, 170 m.w.N.). Es ist einer Behörde bereits wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verwehrt, für eine von ihr zu Unrecht ergriffene Maßnahme von dem Betroffenen Kosten zu verlangen (vgl. z.B. VGH Mannheim, Urt. v. 8.2.1991 - 10 S 2674/90 -, VBlBW 1991, 303 <304 m.w.N.>; OVG Hamburg, Urt. v. 28.3.2000 - 3 Bf 215/98 -, NJW 2001, 168 <169 m.w.N.>). Auch wenn im Hinblick auf die Heranziehung zu Abschiebungskosten verschiedentlich die Auffassung vertreten wird, eine Kostenpflicht entstehe dann nicht, wenn die Abschiebung in "offensichtlich" rechtswidriger Weise durchgeführt wurde (so z.B. Renner, a.a.O., § 66 AufenthG Rdnr. 2 m.w.N.; Hailbronner, a.a.O., Stand Dezember 2006, § 66 AufenthG Rdnr. 1 m.w.N.; weitere Nachweise bei OVG Hamburg, Urt. v. 7.10.1998 - OVG Bf V 45/96 -, juris Rdnr. 40; Funke-Kaiser, a.a.O., § 66 AufenthG Rdnr. 4 m.w.N.), ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung in einem die Erstattung von Abschiebungskosten betreffenden Verfahren nicht auf "offensichtliche" Rechtsfehler zu beschränken (so aber wohl VGH Kassel, Urt. v. 19.1.1992 - 7 UE 2546/84 -, EZAR 137 Nr. 13). Einer bloßen Evidenzkontrolle stünde neben dem bereits erwähnten Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung auch § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG ("Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht entstanden wären, werden nicht erhoben") entgegen, in welchem von einer Beschränkung auf offensichtliche Rechtsfehler nicht die Rede ist (vgl. VGH Mannheim, Urt, v. 19.10.2005, a.a.O., juris Rdnr. 47 f.; Urt. v. 28.3.2006 - 13 S 347/06 -. juris Rdnr. 7 m.w.N.; Funke-Kaiser, a.a.O., § 66 AufenthG Rdnr. 5).

2. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung des Klägers hat nicht deswegen zu unterbleiben, weil im gegen diese Abschiebung gerichteten Eilverfahren 16 VG 1786/2000 der Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 12. Mai 2000 abgelehnt worden ist und dieser Beschluss Rechtskraft erlangt hat. Zwar ist das Verwaltungsgericht in dem Beschluss vom 12. Mai 2000 von der Rechtmäßigkeit der Abschiebung des Klägers ausgegangen. Es liegt aber im Wesen einer im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ergangenen Entscheidung, dass die tatsächliche und rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch das Gericht eine vorläufige ist und nur unter dem Vorbehalt der endgültigen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren ergeht. Eine abweichende tatsächliche und rechtliche Bewertung des Sachverhalts in einem späteren Klageverfahren ist somit trotz der Rechtskraft des im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ergangenen Beschlusses möglich (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003, 1397 <1398>; vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 15.12.1993 - 6 C 20.92 -, BVerwGE 94, 352 <356>; Happ, in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 123 Rdnr. 75; Kilian, in Sodan/Ziekow, VwGO, Großkommentar, 2. Aufl. 2006, § 121 Rdnr. 94).

3. Die Abschiebung vom 7. Juni 2000 war rechtswidrig. Ihr stand entgegen, dass sich der Kläger seit seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG vom 16. Februar 2000, welcher am 17. Februar 2000 bei der Beklagten einging, gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 vorläufig im Bundesgebiet aufhalten durfte, bis über diesen Antrag eine Entscheidung getroffen wurde. Eine solche Entscheidung hat die Beklagte indes nicht getroffen.

b) Der Kläger erfüllt die Voraussetzung, dass er eine "Entscheidung über Erteilung oder Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis" i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 64/221/EWG von der Beklagten begehrt hat (ebenso bereits der Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. September 2003 im Beschwerdeverfahren 1 Bs 461/03, BA S. 5). Der Antrag des Klägers auf Erteilung einer "Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise Aufenthaltsbefugnis" vom 16. Februar 2000 war zwar nicht wörtlich (auch) auf eine Aufenthaltserlaubnis-EG gerichtet. Indes ist ein Antrag in einem Verwaltungsverfahren grundsätzlich so auszulegen, wie dies dem erkennbaren Zweck und Ziel am besten dienlich ist. Diese Auslegung ergibt, dass der Antrag vom 16. Februar 2000 (auch) als ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG anzusehen ist. Der Kläger hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er ein gemeinsames Kind mit der spanischen Staatsangehörigen V. habe, welche im Besitz einer bis zum 13. Januar 2005 gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG war.

c) Der Antrag auf eine erste Aufenthaltserlaubnis führte dazu, dass sich der Kläger bis zur Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung der beantragten Aufenthaltserlaubnis-EG gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG vorläufig im Bundesgebiet aufhalten durfte. Ob dem Kläger tatsächlich eine Aufenthaltserlaubnis-EG zustand, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 64/221/EWG: Das vorläufige Aufenthaltsrecht besteht "bis zur Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis". Der Betroffene darf sich auch dann vorläufig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufhalten, wenn ihm die beantragte erste Aufenthaltserlaubnis letztlich verweigert wird, ihm also nicht zusteht. Wollte man nur tatsächlich freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats bzw. tatsächlich freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen aus einem Drittstaat das vorläufige Aufenthaltsrecht zubilligen, liefe diese Regelung leer, denn diese Personen dürfen sich auch ohne Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG, welche nur deklaratorisch wirkt und nicht erst konstitutiv ein Aufenthaltsrecht begründet (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 25.7.2002 - Rs. C-459199 -, InfAuslR 2002, 417 <420 m.w.N.>; OVG Hamburg, Beschl. v. 5.8.1999 - 3 Bs 113/99 -, BA S. 7; Beschl. v. 29.9.2003, a.a.O., BA S. 5 m.w.N.), im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates aufhalten, und dies nicht nur vorläufig. Die Regelung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 64/221/EWG ergibt also nur dann einen Sinn, wenn gerade in Zweifelsfällen, in denen erst geprüft werden muss, ob es sich um eine freizügigkeitsberechtigte Person handelt oder nicht, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht dieser Person besteht. Nur dann entfaltet die Vorschrift ihre beabsichtigte Schutzwirkung. Die Zeit der Prüfung der Freizügigkeitsvoraussetzungen soll der Betroffene im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates verbringen dürfen, weswegen diese Prüfung auch nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift "binnen kürzester Frist, spätestens jedoch innerhalb von sechs Monaten nach der Antragstellung" getroffen werden muss.