VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 28.04.2008 - RO 4 K 07.30168 - asyl.net: M13165
https://www.asyl.net/rsdb/M13165
Leitsatz:

Verfolgungsgefahr wegen Konversion zum Christentum wegen drohender Strafverfolgung im Iran; die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention wird durch die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bestimmt (hier: Schutz der öffentlichen Religionsausübung nach Art. 10 Abs. 1 Bst. b der Qualifikationsrichtlinie); § 28 Abs. 2 AsylVfG schließt zwar die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG aus, lässt aber die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention unberührt; Deutschland setzt insoweit die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention durch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG und die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG um.

 

Schlagwörter: Iran, Christen, Konversion, Apostasie, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Folgeantrag, Anerkennungsrichtlinie, Genfer Flüchtlingskonvention, ernsthafter Schaden, Refoulementverbot, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Strafverfahren, Todesstrafe, Gesetzentwurf, politische Entwicklung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; IpbpR Art. 18; EMRK Art. 9; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5 Abs. 3; GFK Art. 33; RL 2004/83/EG Art. 15; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Verfolgungsgefahr wegen Konversion zum Christentum wegen drohender Strafverfolgung im Iran; die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention wird durch die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bestimmt (hier: Schutz der öffentlichen Religionsausübung nach Art. 10 Abs. 1 Bst. b der Qualifikationsrichtlinie); § 28 Abs. 2 AsylVfG schließt zwar die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG aus, lässt aber die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention unberührt; Deutschland setzt insoweit die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention durch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG und die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG um.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Kernfrage des vorliegenden Rechtsstreits geht dahin, ob und welche Verfolgungsmaßnahmen einem in Deutschtand zum Christentum konvertierten Iraner drohen, wenn er sich in seiner Heimat zum christlichen Glauben bekennt. Dies ist eine Tatfrage, was die Konversion und die konkrete Verfolgungssituation im Iran betrifft. Zuvor ist die Rechtsfrage zu klären, wie der Begriff der Religion als Verfolgungsgrund zu bestimmen ist.

1. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 7 - 10 RL ist einer Person die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Art. 9 RL beschreibt die Verfolgungshandlungen, Art. 10 die Verfolgungsgründe. Zwischen beiden muss eine Verknüpfung bestehen (Art. 9 Abs. 3 RL).

Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL definiert den Begriff der Religion in einem weiten Sinn einschließlich der Entscheidung, sich nach außen zu seiner Religion zu bekennen, an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich (nicht) teilzunehmen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Er geht damit über das Schutzniveau hinaus, das nach der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht nach Art. 16 GG in Form des "religiösen Existenzminimums" zuerkannt wurde (BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, BVerfGE 76, 143/158 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.1.2004, BVerwGE 120, 16 ff.; vgl. nunmehr OVG Saarlouis, Urt. v. 26.6.2007, InfAuslR 2008, 183/185 und VGH München, Urt. v. 23.10.2007, InfAuslR 2008, 101). Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL steht damit in Einklang mit den Regelungen des Völkerrechts: Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte - IPbpR -, der durch Bundesgesetz vom 15.11.1973 (BGBl II 1533) in innerstaatliches Recht transformiert worden ist, schützt u.a. die Freiheit, eine Religion alleine oder zusammen mit anderen, öffentlich oder privat zu bekunden. Art. 9 EMRK schützt u.a. die Ausübung der Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit und den Glaubenswechsel. Eine Einschränkung ist nur zugunsten bestimmter Gemeinschaftsgüter zulässig (Art. 18 IPbpR, Art. 9 Abs. 2 EMRK). Die Freiheit eines Asylbewerbers, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, ist daher nicht beschränkbar und ein Glaubenswechsel ist hinzunehmen (OVG Saarlouis a.a.O. S.186).

Gesetze oder behördliche Maßnahmen des Heimatstaates, die diesen Grundsätzen widersprechen, sind Verfolgungshandlungen bezüglich der Religion, wenn sie die Merkmale des Art. 9 Abs. 1 und 2 RL erfüllen.

2. Ohne dass es eine Prüfung von Einzelheiten erfordert, kann hier festgestellt werden, dass der Klägerin wegen des Religionswechsels nach unanfechtbarer Ablehnung ihres ersten Asylantrags nunmehr das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG und die damit verbundene Flüchtlingseigenschaft gemäß Satz 6 dieser Vorschrift nicht zuerkannt werden kann. Dies beruht auf § 28 Abs. 2 AsylVfG. Der Religionswechsel ist ein Umstand, den die Klägerin nach Ablehnung des ersten Asylantrags selbst geschaffen hat. Eine Ausnahme von der Regel, dass in diesem Fall die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden kann, käme etwa in Betracht, wenn sich dieser Religionswechsel bereits vor ihrer Ausreise aus dem Iran angebahnt hätte (vgl. § 28 Abs. 1 a AsylVfG). Dafür bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht in Einklang mit der Qualifikationsrichtlinie. Diese regelt in Art. 5 die Nachfluchtgründe und gibt indessen Abs. 3 den Mitgliedsstaaten die Befugnis festzulegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. Es handelt sich dabei um eine Abweichung von dem Grundsatz des Art. 13 RL in der Weise, dass trotz Vorliegens der materiellen Verfolgungsmerkmale im Sinne des Abschnitts III der Qualifikationsrichtlinie die grundsätzlich vorgesehene Rechtsfolge der Flüchtlingseigenschaft nicht eintritt.

3. Personen, die unter diese Regelung fallen, sind deshalb aber nicht ohne Schutz. Ob allerdings auf diesem Fall der in Art. 15 ff. RL geregelte "subsidiäre Schutz" bzw. die zur Umsetzung der Vorgaben der Art. 15 RL erlassenen nationalen Vorschriften (Art. 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG) zugeschnitten sind, ist fraglich. Nach Art. 2 Buchst. e RL genießt subsidiären Schutz eine Person, die die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, aber stichhaltige Gründe dafür vorgebracht hat, dass sie bei Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL zu erleiden. Die in Art. 15 Buchst. a, b und c RL genannten Fälle eines solchen ernsthaften Schadens müssen nicht mit Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL identisch sein.

Die als Grundlage des § 28 Abs. 2 AsylVfG dienende Regelung in Art. 5 Abs. 3 RL verweist auch nicht auf den subsidiären Schutz nach Art. 15 ff. RL, sondern geht im Gegenteil davon aus, dass die betreffende Person der Sache nach Verfolgung im Sinne vom Art. 9, 10 der Qualifikationsrichtlinie befürchten muss ("... wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht ...") und damit "eigentlich" Flüchtling gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. c RL ist. Sie erlaubt den Mitgliedsstaaten lediglich, die nach der Richtlinie grundsätzlich gebotene Konsequenz der förmlichen Anerkennung als Flüchtling in dem Sonderfall der selbst geschaffenen Nachfluchtgründe abzulehnen.

Um nicht in Widerspruch zur Genfer Konvention zu geraten, will die Richtlinie sicherstellen, dass diese Verfahrensweise jedenfalls nicht dazu führen darf, dass der betroffenen Person die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention abgesprochen werden. Dies ist der Sinn der einleitenden Formulierung in Art. 5 Abs. 3 RL "unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention". Der Sache nach ist deshalb der Standard der Genfer Konvention einzuhalten.

4. Von den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention ist in erster Linie Art. 33 einschlägig. Er verbietet die Ausweisung und Zurückweisung des Flüchtlings in ein Land, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (vgl. auch die Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 A der Konvention).

Ob einem Asylbewerber wegen des Übertritts zur christlichen Religion die in Art. 33 der Genfer Konvention genannten Gefahren in seiner Heimat drohen, hängt insbesondere davon ab, was man unter der Religion versteht, die durch diese Vorschrift gegen Verfolgung geschützt ist. Die in der deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung, die Religionsausübung werde nur insoweit geschützt, als sie nicht über den Kernbereich des sogenannten religiösen Existenzminimums hinausgehe (s.o.), betrifft das Asylrecht nach Art. 16 GG. Sie ist nicht auf den Begriff Religion im Sinne des Art. 33 der Genfer Konvention übertragbar. Das ergibt sich zweifelsfrei aus der Qualifikationsrichtlinie.

Nach ihrer zweiten Begründungserwägung will die Qualifikationsrichtlinie ein gemeinsames europäisches Asylsystem schaffen, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention stützt, damit der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt bleibt und niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die in Art. 9 und 10 RL enthaltenen Einzelheiten über Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründe bilden somit die Interpretation der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Europäische Gemeinschaft. Wenn Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL den Verfolgungsgrund der Religion in dem oben beschriebenen weiten Sinn definiert, kann ein Mitgliedsstaat bei unmittelbarer Anwendung des Art. 33 der Flüchtlingskonvention - als notwendiger Beschränkung des ihm durch Art. 5 Abs. 3 RL eingeräumten Spielraums - nicht dahinter zurückbleiben. Dies wäre ein Widerspruch in sich. Art. 5 Abs. 3 RL erlaubt keine Abweichung von den materiellen Kriterien, sondern nur die Verweigerung einer formellen Anerkennung als Flüchtling.

5. Materiell kommt es also darauf an, ob der Klagepartei wegen des Religionswechsels Verfolgung nach Maßgabe der in Art. 9 und 10 RL genannten Einzelheiten droht. Verfahrens-rechtlich ist ihr zwar die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 13 RL Richtlinie durch die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 RL i.V.m. des § 28 Abs. 2 AsylVfG versagt, der materielle Schutzanspruch nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention bleibt aber erhalten. Er ist im deutschen Recht verfahrensrechtlich in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesichert, mit der Maßgabe, dass die dortige Soll-Regelung einen Anspruch des Betroffenen begründet, wenn Art. 33 der Genfer Konvention auf ihn zutrifft.

Sollte die Richtlinie trotz der oben dargestellten Zweifel dies für einen Fall des subsidiären Schutzes halten, so wären dessen Anforderungen (Art. 24 Abs. 2 RL) erfüllt, weil ein Ausspruch nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG ergeht und damit in der Regel das Aufenthaltsrecht der §§ 25 Abs. 3, 26 AufenthG verbunden ist (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2007 - 2 B 06.31019 -).

6. Gemessen an diesen Grundsätzen kann sich die Klägerin auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen.

6.2. Die Klägerin muss befürchten, bei ihrer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen ihres Religionswechsels verfolgt zu werden. Dies hängt letztes Endes nicht davon ab, ob sie im Iran versuchen wird zu missionieren.

Das Gericht hält einerseits den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18.3.2008 für eine zuverlässige Quelle, was die Lage der zum Christentum konvertierten Muslime im Iran betrifft. Der Lagebericht stellt fest (Seite 20), dass auch nicht missionierende, zum Christentum konvertierte Iraner wirtschaftlich, etwa bei der Arbeitssuche oder gesellschaftlich, bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt werden. Ob darin eine diskriminierende Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b RL zu sehen ist, kann dahinstehen. Denn die Zukunftsprognose bezüglich der Verfolgungsgefahr darf sich nicht in Form einer Momentaufnahme darauf beschränken, was derzeit geschieht oder unmittelbar bevorsteht, sondern sie muss sich auf einen etwas weiteren, absehbaren Zeitraum beziehen (BVerwG, Urt. v. 3.12.1985, NVwZ 1986, 760). Insofern ist von Bedeutung, was der Klägervertreter vorgetragen hat, und vom Auswärtigen Amt im Schreiben vom 26.2.2008 (311-320.21 IRM) bestätigt worden ist: In das iranische Parlament ist der Entwurf einer Strafrechtsnovelle eingebracht worden. Danach soll der Abfall vom moslemischen Glauben mit Strafe bedroht werden bis hin zur Todesstrafe. Dies würde bedeuten, dass zum Christentum konvertierte Muslime mit hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe bedroht sind, Dieser Gesetzentwurf wird derzeit im Parlament beraten. Da die "Reformer" bzw. "Fortschrittlichen" bei der vergangenen Parlamentswahl im Iran, wie allgemein bekannt ist, nicht die Mehrheit erhalten haben, muss befürchtet werden, dass dieser Gesetzentwurf nicht fallengelassen wird, sondern es zu einem entsprechenden Gesetzesbeschluss kommt. Dies gilt zumindest solange, wie keine näheren Einzelheiten bekannt sind. Das Risiko für einen zum Christentum konvertierten Iraner ist derzeit zu groß, als dass man ihn in seine Heimat zurückschicken könnte.