Merkliste
Zitieren als:
, Bescheid vom 10.04.2008 - 5308585-460 - asyl.net: M13166
https://www.asyl.net/rsdb/M13166
Leitsatz:
Schlagwörter: Bangladesch, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Diabetes mellitus, diabetische Nephropathie, Nierenerkrankung, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Dem Antrag wird insofern entsprochen, als festgestellt wird, dass die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Bangladesch vorliegen.

Soweit der Antragstellerin durch ärztliches Attest des Internisten, Endokrinologen und Diabetologen Dr. med. ... vom 24.01.2008 bescheinigt wird, an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit diabetischer Nephropathie sowie einer Hypothyreose bei Autoimmunthyreoiditis und einer diabetischen Neuropathie zu leiden, wobei sowohl ihre Diabeteserkrankung als auch ihre Schilddrüsenüberfunktion eine lebenslange medikamentöse Therapie sowie lebenslange regelmäßige Laborkontrollen und eine Anpassung der Insulindosis und des Schilddrüsenhormons sowie hygienische optimale Bedingungen erforderten, da nur insoweit von einer normalen Lebenserwartung ausgegangen werden könne und schwere Spätschäden wie dialysepflichtiges Nierenversagen oder Erblindung zu vermeiden seien, ist vorab festzustellen, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die im Zielstaat drohende Beeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit besteht, unter der die Ausländerin bereits in der Bundesrepublik Deutschland leidet.

In diesem Zusammenhang wird zunächst Bezug genommen auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesh vom 24.04.2007 (Aktenzeichen: 508-516.80/3 BGD), wonach nach Angaben von UNDP die Ausgaben für die medizinische Versorgung in Bangladesh im Jahr 2003 lediglich 1,1 % des Bruttoinlandsproduktes betrugen. Private Ausgaben, ebenfalls gemessen am Bruttoinlandsprodukt, betrugen 2,3 %. Ein staatliches Sozial- und Krankenversicherungssystem existiert - bis auf geringe Beihilfen zum Existenzminimum an Senioren - nicht. Abgesehen von einer Reihe von kostenlosen medizinischen Hilfsprojekten von Nichtregierungsorganisationen gibt es praktisch keinerlei kostenlose medizinische Versorgung. Eine beitragsabhängige medizinische Versorgung niedrigen Standards ist gewährleistet. In der Hauptstadt Dhaka sowie in Sylhet, Chittagong und Barisal existieren Krankenhäuser sowie andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Die apparative Ausstattung und Hygiene in den Krankenhäusern ist ungenügend. Im Jahr 2005 eröffneten in Dhaka kommerzielle Großkliniken, die Behandlungseinrichtungen nach modernem internationalen Ausstattungsstand und eine gesicherte medizinische Versorgung anbieten. Das Betreuungsumfeld in diesen modernen Krankenhäusern entspricht allerdings nicht westlichen Standards. Die Behandlung in diesen Krankenhäusern ist nur zahlungskräftigen Kunden vorbehalten. Sehr wohlhabende Bangladescher und westliche Ausländer lassen sich bei schweren Erkrankungen weiterhin regelmäßig ins regionale Ausland ausfliegen (Bangkok, Singapur). Ferner gibt es private Arztpraxen, deren Inhaber häufig im Ausland ausgebildet wurden. Im Gegensatz zu ambulanten sind in Einzelfällen längerfristige psychologische und psychiatrische Behandlungen und Betreuungen nach ärztlichen Auskünften in Bangladesh nur schwer zu gewährleisten. Nach Erfahrung der IOM sind diese Behandlungen zudem sehr teuer. Im ländlichen Bereich sind sie nicht möglich.

In Bangladesh werden 98 % des Bedarfs an Medikamenten selbst hergestellt. Hierbei kommt es gelegentlich zu Engpässen. Die Versorgung mit Medikamenten ist aber auch durch Importmöglichkeiten, z.B. aus Singapur oder Thailand, gewährleistet. Die Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland ist ohne behördliche Genehmigung nur mit ärztlicher Bescheinigung in kleinem Umfang möglich.

Die obigen Ausführungen belegen, dass eine adäquate Behandlung der Antragstellerin, was sowohl die ihr verordneten Medikamente als auch regelmäßige Labor- und Blutuntersuchungen etc. betrifft, zu einem in Bangladesh vermutlich nicht möglich ist, doch selbst für den Fall, sollte eine Behandlung in einer der genannten Privatpraxen möglich sein, zumindest für die Antragstellerin jedoch nicht finanzierbar wäre.

Erschwerend in ihrem Fall tritt die Tatsache hinzu, dass offenbar - wie bereits von ihren Verfahrensbevollmächtigten vorgetragen wurde - ihre Diabetes-mellitus-Erkrankung sehr spät festgestellt wurde und bereits zu einer schwerwiegenden Nachfolgeerkrankung, nämlich der sog. diabetischen Nephropathie geführt hat. Hierbei handelt es sich um eine progressive Nierenerkrankung aufgrund einer Angiopathie der Kapillaren des Nierenkörperchens. Das charakteristische histologische Merkmal ist eine knötchenförmige Bindegewebsvermehrung (moduläre Sklerose). Ursache der diabetischen Nephropathie ist ein langjähriger Diabetes mellitus. Die diabetische Nephropathie ist - in Deutschland die häufigste Ursache eines dialysepflichtigen Nierenversagens.

Insofern muss davon ausgegangen werden, dass auch nur ein geringfügiger Abbruch der derzeitigen Behandlung bei der Antragstellerin diese erhebliche Folgeerkrankung nach sich ziehen würde, die in Bangladesh für sie praktisch zum Todesurteil würde. In diesem Zusammenhang wird Bezug genommen auf die Auskunft der Deutschen Botschaft Bangladesh vom 29.03.2007 (Aktenzeichen: RK 521.34 SE), wonach eine Dialysebehandlung sowie eine Nierentransplantation in Bangladesh kaum zufriedenstellend möglich sind, selbst für den Fall, dass genügend Geld zur Verfügung stehen würde. Selbst wenn der Patient alles selber bezahlen würde, was in Bangladesh sehr teuer sei, käme die Verweisung auf eine Behandlung in Bangladesh einem Todesurteil gleich, da es kaum denkbar ist, dass in Bangladesh eine derartige Behandlung zufriedenstellend durchgeführt werden könnte, was sich auch aus dem genannten Lagebericht ergibt, wonach selbst bei modernsten Kliniken die hygienische Verhältnisse und das Pflegepersonal keinesfalls westlichen Standards entsprechen.