VG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 27.03.2008 - 2 K 1959/06.A - asyl.net: M13167
https://www.asyl.net/rsdb/M13167
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei.

 

Schlagwörter: Türkei, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungshandlung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die noch anhängige Klage beider Kläger ist zulässig, aber unbegründet.

Die Kläger machen ausschließlich Verfolgungsgefahren in der Türkei wegen ihres Yezidentums geltend. Eine Gruppenverfolgung von Yeziden ist aber in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr anzunehmen.

Die erkennende Kammer hat sich in ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 14.09.2006 - 2 K 2819/05.A; Urteil vom 06.09.2007 - 2 K 2976/04.A; Urteil vom 26.11.2007 - 2 K 1413/04.A) der Auffassung des OVG Münster angeschlossen, dass aufgrund einer veränderten Situation in der Türkei dort nicht mehr von einer Gruppenverfolgung von Yeziden ausgegangen werden kann.

Mit dieser Rechtsprechung stimmen auch das OVG Schleswig (Urteil vom 29.09.2005 - 1 LB 38/04) und das OVG Lüneburg (Urteil vom 17.07.2007 - II LB 332/03) überein.

An dieser Rechtsprechung hält der Einzelrichter fest.

Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die Situation der Kläger. Der Einzelrichter hat keine Zweifel, dass es sich bei den Klägern um Yeziden handelt. Allerdings erscheint ihre Verbindung zu yezidischen Religionstraditionen eher locker.

Ein Abschiebungsverbot kann schließlich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie hergeleitet werden. Dazu ist im Urteil vom 26.11.2007 (2 K 1413/04.A) ausgeführt worden:

"Schließlich können sich die Kläger auch nicht auf eine asyl- oder flüchtlingsrechtlich relevante Einschränkung der Religionsfreiheit berufen. Zwar schützt Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie i.V. m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Teilnahme an religiösen Riten auch im öffentlichen Bereich. Daraus können die Kläger aber nichts für sich herleiten. Denn unabhängig von der rechtlichen Frage, welche Intensität Einschränkungen oder Untersagungen bei der öffentlichen Religionsausübung haben müssen, um schutzbegründende Verfolgungshandlungen darstellen zu können, zeichnet sich die yezidische Religion gerade dadurch aus, dass sie nicht in den öffentlichen Raum hineinwirkt. Sie wird im privaten Bereich praktiziert.."

Das gilt auch hier.

Soweit die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten haben vortragen lassen, dass die yezidischen Qawwal früher turnusartige Rundfahrten zu den verschiedenen Yeziden-Bezirken vorgenommen hätten, dabei von ihnen Symbole des Melek Taus in die Dörfer getragen worden seien und Rezitationen und Diskussionen über religiöse Fragen öffentlich stattgefunden hätten, folgt hieraus nichts für die Kläger. Die Kläger sind keine Qawwals, sie haben nie an solchen Begebenheiten oder anderen öffentlichen Prozessionen oder Pilgerfahrten teilgenommen und auch kein entsprechendes Bedürfnis geäußert. Sie haben ihre Religion geradezu exemplarisch ausschließlich im privaten Bereich praktiziert, soweit sie sich überhaupt an yezidische Glaubensvorstellungen gebunden fühlten. Diese private Ausübung der yezidischen Religion ist für sie auch bei einem Aufenthalt in der Türkei möglich. Eine öffentliche Bekundung ihrer Religion hat für die Kläger nie eine Rolle gespielt. Deswegen können sie auch dann nicht beschwert sein, wenn unterstellt wird, dass für Yeziden eine öffentliche Religionsausübung in der Türkei nicht ohne weiteres möglich ist.

Im Übrigen lässt sich unmittelbar aus Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie ohnehin keine für die Kläger günstigere Rechtslage herleiten. In ihm wird der Begriff der Religion definiert und festgestellt, dass dieser auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst. Diese Definition ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen. Daraus folgt aber nicht, dass bereits jede Einschränkung oder Untersagung der in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie fallenden Tätigkeiten eine schutzbegründende Verfolgung darstellt. Die Frage, was als Verfolgung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie anzusehen ist, beantwortet sich nach Art. 9 Qualifikationsrichtlinie. Nach Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie gelten als Verfolgung Handlungen, die so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen mit vergleichbar gravierender Wirkung bestehen. Nach Art. 9 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen. Daraus folgt zwingend, dass der Eingriff in den Schutzbereich der religiösen Betätigung nur dann eine Verfolgungshandlung darstellt, wenn er gravierend im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie ist. Dementsprechend bestimmt § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, dass unter anderem Art. 9 und Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie für die Feststellung ergänzend anzuwenden sind, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt. Ob Yeziden in der Türkei Einschränkungen unterworfen sind, weil sie nicht in vergleichbarer Weise wie Muslime öffentlich ihre Religion praktizieren könne, ist daher nicht maßgebend. Angesichts des Umstandes, dass die yezidische Religion nahezu ausschließlich im privaten Umfeld ausgeübt wird und nach ihrem eigenen Selbstverständnis nicht notwendigerweise Öffentlichkeit braucht - auch wenn diese nicht ausgeschlossen ist - , sind Restriktionen wie etwa das Unterbinden der Umzüge durch die Qawwals nicht von verfolgungsrelevanter Eingriffsintensität. Für die Kläger kommt hinzu, dass sie - wie ausgeführt - in ihrer Religionsausübung dadurch ohnehin nicht betroffen sind.