VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2008 - 11 S 378/07 - asyl.net: M13185
https://www.asyl.net/rsdb/M13185
Leitsatz:

Das durch die Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG vermittelte Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet enthält auch dann kein Recht auf unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn der Aufenthalt dem Zweck der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dienen soll.

Die Ermächtigung des Mitgliedstaats in Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2003/109/EG, aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik bevorrechtigte Arbeitnehmer vorrangig zu berücksichtigen, ist nicht abschließend und steht einer Beschränkung des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, wenn diese - wie im Fall des § 40 Abs. 1 AufenthG - auf einer Arbeitsmarktprüfung beruht.

 

Schlagwörter: D (A), Daueraufenthaltsrichtlinie, Aufenthaltserlaubnis-EG, langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, Familienangehörige, Erwerbstätigkeit, Lebensunterhalt, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Zustimmung, Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktprüfung, Bundesagentur für Arbeit, Leiharbeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; RL 2003/109/EG Art. 8 Abs. 3; AufenthG § 38a; RL 2003/109/EG Art. 14 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; RL 2003/109/EG Art. 19 Abs. 2; RL 2003/109/EG Art. 15 Abs. 2; AufenthG § 39
Auszüge:

Das durch die Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG vermittelte Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet enthält auch dann kein Recht auf unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn der Aufenthalt dem Zweck der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dienen soll.

Die Ermächtigung des Mitgliedstaats in Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2003/109/EG, aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik bevorrechtigte Arbeitnehmer vorrangig zu berücksichtigen, ist nicht abschließend und steht einer Beschränkung des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, wenn diese - wie im Fall des § 40 Abs. 1 AufenthG - auf einer Arbeitsmarktprüfung beruht.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 16.01.2007 sind zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig, sie haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten voraussichtlich keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis.

1. Zwar hat die Antragstellerin zu 2) mit einem den Anforderungen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 19.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. L 16 vom 23.01.2004, S. 44) entsprechenden Dokument der Republik Österreich vom 25.10.2007 nachgewiesen, dass ihr dort die Rechtsstellung einer langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zuerkannt worden ist. Hiermit erfüllt sie die Tatbestandsvoraussetzung des § 38a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 7 AufenthG, der - in Umsetzung des Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG - den Ausländern, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen innehaben, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einräumt. Allerdings ist dieser Anspruch zusätzlich an die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gebunden, so dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Antragstellerin zu 2) entgegensteht, dass sie ihren Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Bundesgebiet nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

a) Dabei steht die Notwendigkeit der Sicherung des Lebensunterhalts und des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes mit der Richtlinie 2003/109/EG in Einklang. Denn nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1, 15 Abs. 2 Satz 1 lit. a) und b) dieser Richtlinie kann die Ausübung des ihr dort in Art. 14 Abs. 1 eingeräumten Aufenthaltsrechts von dem in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderten Nachweis abhängig gemacht werden, dass sie über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und feste regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen für den eigenen und familiären Lebensunterhalt ausreichen.

b) Die Antragstellerin zu 2) kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie im Dezember 2007 kurzfristig für 12 Stunden pro Woche als Reinigungskraft tätig und damit auch gesetzlich krankenversichert gewesen sei und diese Arbeitsstelle nur deshalb verloren habe, weil die Bundesagentur für Arbeit unter dem 24.01.2008 die Zustimmung zur Ausübung dieser Beschäftigung verweigert habe. Denn abgesehen davon, dass ihr Lebensunterhalt auch aufgrund dieser Beschäftigung nicht gesichert gewesen wäre, ist nichts dafür vorgetragen, dass die nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. b) AufenthG auf den Vorrang anderer Bewerber gestützte Verweigerung der Zustimmung zur Aufnahme dieser Beschäftigung rechtswidrig war.

Die nach §§ 38a Abs. 3 Satz 1, 18 Abs. 2 AufenthG gegebene Beschränkung der Ausübung der Erwerbstätigkeit auf die Beschäftigungen, deren Aufnahme die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 Abs. 2 AufenthG zugestimmt hat, widerspricht nicht der Rechtsstellung der Antragstellerin als einer in Österreich langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Denn der Zugang zu einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union kann nach Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 1 und 2 der Richtlinie 2003/109/EG auch dann von dem Ergebnis einer nach nationalem Verfahrensrecht durchzuführenden Vorrangprüfung abhängig gemacht werden, wenn der Aufenthalt zum Zwecke der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit begründet werden soll. Für die Drittstaatsangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union langfristig aufenthaltsberechtigt sind und ihr Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht zum Zwecke der Arbeitsaufnahme ausüben wollen, ergibt sich die Ermächtigung zu einer entsprechenden Reglementierung des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit aus Art. 21 Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie 2003/109/EG.

Entgegen den Einwendungen der Antragsteller steht der Beschränkung des Zugangs zu einer Beschäftigung auch nicht entgegen, dass seit der Stellung der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis knapp zwei Jahre vergangen sind. Zwar bestimmt § 38a Abs. 4 Satz 3 AufenthG, dass die Aufenthaltserlaubnis eines Drittstaatsangehörigen, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, nach Ablauf einer zwölfmonatigen Beschränkung allgemein zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Allerdings beginnt der Lauf dieser Frist nach § 38a Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG erst mit der - hier nicht gegebenen - erstmaligen Erlaubnis einer Beschäftigung aufgrund der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Beschränkungen des Zugangs zur Beschäftigung, die während der Zeit der Antragsbearbeitung und eines sich an eine Ablehnung anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens bestehen, bleiben somit bei der Fristberechnung außer Betracht. Dies entspricht auch den Vorgaben der Richtlinie 2003/109/EG.

c) Schließlich kann die Antragstellerin zu 2) ihren Lebensunterhalt einschließlich des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes auch nicht aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ihres Ehemannes, des Antragstellers zu 1), nachweisen. Zwar ist dieser im Besitz einer Arbeitsplatzzusage der Fa. ... GmbH vom 15.02.2008, wobei der Lebensunterhalt der Antragsteller über das hierbei zu erwartende Arbeitsentgelt voraussichtlich gesichert wäre. Der Antragsteller zu 1) ist jedoch aus rechtlichen Gründen an der Aufnahme dieser Beschäftigung gehindert, da er im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses als Leiharbeitnehmer bei der Fa. ... AG tätig werden soll und ihm die Bundesagentur für Arbeit deshalb am 06.03.2008 unter Hinweis auf die zwingende Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die notwendige Zustimmung zur Beschäftigung versagt hat.

Dieser Versagung der Zustimmung zur Aufnahme einer Beschäftigung als Leiharbeitnehmer steht der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers zu 1) nach der Richtlinie 2003/109/EG nicht entgegen.

Der zwingende Versagungstatbestand des § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht auch einer Erwerbstätigkeit als Leiharbeiter entgegen, die ein in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger im Bundesgebiet ausüben möchte. Denn § 38a Abs. 3 Satz 1 AufenthG macht dies i.V.m. § 18 Abs. 2 AufenthG von einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG abhängig, der durch die Versagungstatbestände des § 40 AufenthG ergänzt wird. Ein Verstoß gegen die Richtlinie 2003/109/EG liegt hierin nicht. Denn Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2003/109/EG ermächtigt die Mitgliedstaaten, in Fällen der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitsmarktprüfung durchzuführen und hinsichtlich der Anforderungen für die Besetzung einer freien Stelle bzw. der Ausübung einer solchen Tätigkeit ihre nationalen Verfahren anzuwenden. Von dieser Ermächtigung wird auch der von einer (globalen) Arbeitsmarktprüfung beruhende Versagungstatbestand für Leiharbeitnehmer nach § 40 Abs. 1 AufenthG gedeckt. Die Regelung des Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2003/109/EG steht dem nicht entgegen. Denn mit der dortigen Ermächtigung der Mitgliedstaaten, Unionsbürger und privilegierte Drittstaatsangehörige bei der Besetzung einer freien Stelle vorrangig zu berücksichtigen, werden die nach Art. 14 Abs. 3 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2003/109/EG gegebenen Möglichkeiten, den Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund einer Arbeitsmarktprüfung zu steuern, nicht beschränkt, sondern um entsprechende arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen erweitert.

Hinsichtlich der möglichen Rechtsstellung des Antragstellers zu 1) als Ehegatte einer in Österreich langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatangehörigen, ergibt sich die Anwendbarkeit des Versagungsgrundes nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unmittelbar daraus, dass der ihm im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seine Ehefrau grundsätzlich zustehende Aufenthaltstitel nach § 30 Abs. 1 Satz 1 lit. f) AufenthG keinen Zugang zu einer Beschäftigung vermittelt und sich die nach §§ 4 Abs. 3, 39 Abs. 1 AufenthG notwendige Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Erlaubnis der Ausübung einer Beschäftigung gemäß § 39 Abs. 3 AufenthG nach §§ 39 Abs. 2 und 40 AufenthG richtet.