VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.03.2008 - 11 S 2353/07 - asyl.net: M13187
https://www.asyl.net/rsdb/M13187
Leitsatz:

§ 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG setzt nicht voraus, dass im Zeitpunkt der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit bereits fünf Arbeitsplätze geschaffen worden sind; vielmehr reicht es aus, wenn auf der Grundlage einer tragfähigen Planung davon ausgegangen werden kann, dass dies in absehbarer Zeit geschieht.

Arbeitsplätze im Sinne dieses Regelfalles sind nur Vollzeitarbeitsplätze, nicht aber Teilzeitarbeitsplätze oder Arbeitsplätze für geringfügig Beschäftigte.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, selbstständige Erwerbstätigkeit, geringfügige Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, Zukunftsprognose, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Visumsverfahren, Zumutbarkeit, Partnerschaftsabkommen Aserbaidschan, Aserbaidschaner
Normen: AufenthG § 21 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2
Auszüge:

§ 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG setzt nicht voraus, dass im Zeitpunkt der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit bereits fünf Arbeitsplätze geschaffen worden sind; vielmehr reicht es aus, wenn auf der Grundlage einer tragfähigen Planung davon ausgegangen werden kann, dass dies in absehbarer Zeit geschieht.

Arbeitsplätze im Sinne dieses Regelfalles sind nur Vollzeitarbeitsplätze, nicht aber Teilzeitarbeitsplätze oder Arbeitsplätze für geringfügig Beschäftigte.

(Amtlicher Leitsatz)

 

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 18.09.2007 ist zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist nicht ersichtlich, dass im Fall der ... GmbH die Tatbestandsmerkmale des § 21 Abs. 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Aufenthaltsgesetzes vom 25.02.2008, BGBl. I S. 162) erfüllt sind und der Antragsteller deshalb als geschäftsführender Gesellschafter dieser Firma einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat.

a) Anders als vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung vom 15.10.2007 vorgetragen, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass in der Firma ... GmbH zur Zeit mindestens sieben Arbeitnehmer beschäftigt sind. Denn aus dem zuletzt am 29.01.2008 vorgelegten betriebswirtschaftlichen Kurzbericht des Steuerberaterbüros ... über die Tätigkeit der ... GmbH und aus den beigefügten Unterlagen ergibt sich, dass diese Firma seit Oktober 2007 allein zwei Arbeitnehmer auf 400-Euro-Basis und einen Arbeitnehmer auf Lohnsteuerkarte beschäftigt.

Die Tätigkeiten des Antragstellers und seines - ebenfalls aus Aserbaidschan stammenden - Mitgesellschafters in der Firma bleiben bei der Ermittlung der geschaffenen Arbeitsplätze außer Betracht. Denn der Regelfall des § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG knüpft mit dem Erfordernis der Schaffung von mindestens fünf Arbeitsplätzen an den damit grundsätzlich verbundenen positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation an, und es wäre widersprüchlich, wenn der erwartete Beschäftigungseffekt dadurch relativiert werden könnte, dass der Ausländer, der das Aufenthaltsrecht erwerben möchte, eine der von ihm zu schaffenden Arbeitsstellen selbst besetzt.

Die nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG notwendige Schaffung von fünf Arbeitsplätzen ist auch nicht dadurch dargelegt, dass der Antragsteller bei laufendem Geschäftsbetrieb des Fliesenhandels kurz- bis mittelfristig eine Aufstockung des Personalbestands plant.

Allerdings setzt der Regelfall des § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht voraus, dass die dort genannten fünf Arbeitsplätze bereits im Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels geschaffen worden sein müssen (so aber Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: 12/07, A 1, § 21 AufenthG Rn. 5). Vielmehr reicht es aus, dass auf der Grundlage einer tragfähigen Planung davon ausgegangen werden kann, dass dies innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nach der Aufnahme der erst über die Aufenthaltserlaubnis ermöglichten selbständigen Tätigkeit geschieht. Denn die Erteilungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG basieren - ebenso wie die Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) - auf einer Prognose über die Entwicklung der selbständigen Tätigkeit des Ausländers. Dafür spricht auch die im Zusammenhang mit dem Regelfall maßgebliche Erkenntnis, dass einem Ausländer die Umsetzung seiner Geschäftsidee in dem hier geforderten Maße kaum möglich und zumutbar ist, wenn er sich nicht bereits während der Gründungs- und Aufbauphase erlaubt im Bundesgebiet aufhalten darf.

Gleichwohl ist der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt. Denn die ... GmbH möchte nach ihren eigenen Planungen insgesamt allenfalls drei Stellen für Vollzeitbeschäftigte schaffen.

Soweit die ... GmbH zusätzlich zur Schaffung von drei Vollzeitarbeitsplätzen noch den - flexiblen - Einsatz von weiteren Arbeitskräften auf der Basis einer geringfügigen Beschäftigung plant, reicht dies nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG deshalb nicht aus, weil diese Vorschrift die Schaffung von mindestens fünf Vollzeitarbeitsplätzen erfordert (vgl. ebenso Abschnitt A Ziff. 21.1.2. der jedenfalls als Auslegungshilfe verwertbaren Zusammengefassten Vorgaben des Innenministeriums zur Anwendung aufenthalts- und asylrechtlicher Regelungen ab dem 1. Januar 2005 (ZV-AufenthR 2005); Stand: Dezember 2007). Denn bei einer Berücksichtigung auch von Teilzeitarbeitsplätzen oder von Arbeitsplätzen für geringfügig Beschäftigte könnte die Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht mehr ihren Zweck erfüllen, die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen eines übergeordneten wirtschaftlichen Interesses an der selbständigen Tätigkeit eines Ausländers im Bundesgebiet sowie der Erwartung einer positiven Auswirkung dieser Tätigkeit auf die Wirtschaft (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG) zu vereinfachen. So würde die dem Regelfall des § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zugrunde liegende Annahme, dass mit der Schaffung von fünf Arbeitsplätzen ein hinreichend positiver Effekt auf die Beschäftigungssituation verbunden ist, bei der Berücksichtigung von Teilzeitarbeitsplätzen und Arbeitsplätzen für geringfügig Beschäftigte im Einzelfall stark relativiert. Angesichts der hohen Anforderungen, die § 21 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit stellt, reicht aber nicht schon jedweder, etwa mit der Schaffung von fünf sog. Minijobs verbundener und entsprechend geringfügiger tatsächlicher Beschäftigungseffekt zur Begründung eines übergeordneten wirtschaftlichen Interesses an der selbständigen Tätigkeit eines Ausländers im Bundesgebiet sowie der Erwartung einer positiven Auswirkung dieser Tätigkeit auf die Wirtschaft. Im Ergebnis führte die Erstreckung des Regelfalls auf die Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen oder von Arbeitsplätzen für geringfügig Beschäftigte deshalb dazu, dass die Ausländerbehörde das jeweilige Gewicht des damit verbundenen Beschäftigungseffekts ermitteln und mit der entsprechenden Darlegungslast das Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls von den Erteilungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG prüfen müsste. Eine Verwaltungsvereinfachung wäre hiermit nicht verbunden.

b) Die Erteilungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG sind auch sonst nicht gegeben.

Eine solche Darlegung lässt sich vor allem nicht daraus ableiten, dass der Antragsteller nach seinen Angaben plant, zusätzlich zu den drei Vollzeitarbeitsstellen noch weitere Teilzeitarbeitsplätze sowie Stellen für geringfügig Beschäftigte zu schaffen. Zwar dürften die Erteilungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG (bei einer zusätzlich vorliegenden Investition von mindestens 500.000 Euro) dann vorliegen, wenn durch die selbständige Tätigkeit des Ausländers zwar nicht die nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen fünf Vollzeitarbeitsplätze geschaffen werden, aber unter Berücksichtigung auch der Teilzeitarbeitsplätze sowie der Arbeitsplätze für geringfügig Beschäftigte ein Beschäftigungseffekt erzielt wird, der mit den Auswirkungen der Schaffung von fünf Vollzeitarbeitsplätzen auf die Beschäftigungssituation vergleichbar ist. Allerdings ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nichts für einen solchen vergleichbaren Beschäftigungseffekt der geschäftlichen Tätigkeit der ... GmbH. Der Antragsteller hat insoweit allein vorgetragen, dass er solche Arbeitsplätze schaffen wolle. Er hat jedoch keine substantiierten Angaben dazu gemacht, um wie viele Arbeitsplätze es sich im einzelnen handelt und mit welcher Dauerhaftigkeit diese besetzt werden sollen.

c) Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 AufenthG zusätzlich auch § 5 Abs. 2 AufenthG entgegenstehen dürfte. Denn der Antragsteller ist mit einem Schengen-Visum für einen auf 45 Tage beschränkten Besuchs- und Geschäftsaufenthalt und damit gerade nicht mit dem für einen Daueraufenthalt nach § 21 Abs.1 AufenthG erforderlichen Visum eingereist. Besondere Umstände, nach denen es nicht zumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Hierauf hatte die Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 21.02.2007 und 23.02.2007 hingewiesen.

Mit Blick auf ein eventuelles Visumverfahren weist der Senat auch darauf hin, dass der Antragsteller ein Aufenthaltsrecht auch nicht auf der Grundlage des Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Aserbaidschan andererseits (ABl. vom 17.09.1999, L 246/3) ableiten können dürfte. Zwar gewähren die Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten aserbaidschanischen Gesellschaften bei der Gründung von Töchtergesellschaften und Zweigniederlassungen zum Zwecke der Erwerbstätigkeit sowie bei der Ausübung einer solchen gewerblichen, kaufmännischen oder freiberuflichen Tätigkeit eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist, als die einem Drittland gewährte Behandlung (Art. 23 Abs. 1, 2 und 3 des Partnerschaftsabkommens). Auch sind diese im Gemeinschaftsgebiet niedergelassenen Gesellschaften berechtigt, im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Aufnahmelandes, in Schlüsselpositionen Personen mit aserbaidschanischer Staatsangehörigkeit zu beschäftigen (Art. 28 Abs. 1 des Partnerschaftsabkommens). Allerdings ist die Fa. ... GmbH, deren Geschäftsführer der Antragsteller ist, gerade keine solche Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung einer aserbaidschanischen Muttergesellschaft.