VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 29.02.2008 - 4 K 259/07.A - asyl.net: M13190
https://www.asyl.net/rsdb/M13190
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Bangladesch (hier: Funktionär einer Studentenbewegung); zur Menschenrechtslage.

 

Schlagwörter: Bangladesch, politische Entwicklung, Menschenrechtslage, Oppositionelle, Inhaftierung, Demonstrationen, Strafverfolgung, Haftbedingungen, Folter, Glaubwürdigkeit, Studenten, Jasot, Jasut, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Bangladesch (hier: Funktionär einer Studentenbewegung); zur Menschenrechtslage.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Bangladesch vorliegen.

Die allgemeine Lage in Bangladesch ist gekennzeichnet durch die seit Jahren mit wechselnden Fronten anhaltenden innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL), wobei die frühere Oppositionspartei BNP aufgrund eines erdrutschartigen Wahlsieges zusammen mit den verbündeten islamistisch ausgerichteten Parteien seit den Wahlen 2001 im Parlament über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Februar 2006).

Zwar bestehen nach der Auskunftslage grundsätzlich keine direkten staatlichen Repressionen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung. Gezielte, systematische auf einzelne Bevölkerungsgruppen anhaltend ausgeübte direkte Repressionen kommen danach nicht vor. Demgegenüber wird aber ausgeführt, dass Repressionen staatlicher Organe gegen Einzelpersonen oder Gruppen zu verzeichnen sind, die sich nach Art, Intensität und Motivation unterscheiden. Staatliche Organe lassen sich dabei für parteipolitische oder persönliche Interessen instrumentalisieren.

2006 kam es zu zahlreichen politischen Kundgebungen, Demonstrationen und Generalstreiks. Verstärkt kam es dabei zu willkürlichen Verhaftungen. In der aufgeheizten innenpolitischen Atmosphäre des Jahres 2006 wuchs das Risiko, während einer Demonstration Opfer von Gewalt zu werden, die sowohl von Anhängern der verfeindeten politischen Lager als auch von der Polizei ausgehen kann. Die Studentenflügel der großen Parteien BNP und AL wie auch der kleineren islamistischen Partei Jamaat-e-Islami fielen durch hohe Gewaltbereitschaft auf.

Strafverfahren werden in Bangladesch vordergründig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt. In der Ermittlungs- und Verfahrenspraxis werden nach der Verfassung garantierte rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze jedoch nicht eingehalten. Eine unabhängige Strafjustiz ist im unterinstanzlichen Bereich weiterhin nicht verwirklicht Einflussnahmen auf die Tätigkeit von Polizei, Staatsanwälten oder unterinstanzlichen Strafrichtern (Magistrates) durch Parlamentsabgeordnete der ehemaligen Regierungskoalition oder durch übergeordnete Regierungsstellen kommen vor. Die Korruption in der Polizei und im Justizwesen verschärft das Problem. Medienberichten zufolge wurden im Zuge der Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Übergangsregierung etwa 2.000 Demonstranten festgenommen. Nur eine Minderheit wurde später einem Richter vorgeführt. Die große Mehrzahl der Festgenommenen kam nach Zahlung von Bestechungsgeldern an Polizeikräfte frei. Im Bereich der Strafverfolgung wird häufig willkürlich Anklage bei Straftaten erhoben, die nicht kautionsfähig sind. Weitere Willkürmaßnahmen sind Sammel- und Serienanklagen zur Vermeidung von Haftentlassungen, Manipulation von Zeugen und Beweislagen, Verzögerungen bei der Haftentlassung, Missbrauch der Bestimmungen zur vorläufigen Festnahme ohne richterlichen Haftbefehl und zu richterlich angeordnetem Anschlussgewahrsam ohne zwingende Darlegung konkreter Tatvorwürfe. Lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil kommt vor und gehört zum Instrumentarium einflussreicher Lokalpolitiker, um ihre Gegner mundtot zu machen.

Die Haftbedingungen entsprechen regelmäßig nicht internationalen Standards. Das verfassungsrechtliche Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung wird in der Praxis durch Polizei und Sicherheitskräfte sowohl in Polizeigewahrsam als auch in der Untersuchungshaft regelmäßig verletzt. Die bis zum 29. Oktober 2006 amtierende Regierung setzte Folter zwar nicht systematisch ein, ging aber, trotz anders lautender Ankündigungen, nicht entschieden gegen die Folterpraxis staatlicher Organe vor. Im Rahmen von polizeilichen Zugriffen und im Polizeigewahrsam kann es zu extralegalen Tötungen kommen. Bei den willkürlichen Hinrichtungen spielt die Polizeisondertruppe "Rapid Action Battalion" (RAB) eine besonders auffällige Rolle. "Human Rights Watch" stellte in einem im Dezember 2006 erschienen Bericht eine steigende Zahl von Todesopfern fest. Bei so genannten "cross-fire" Todesfällen werden die Opfer angeblich bei der Verhaftung oder bei Befreiungsversuchen von der RAB erschossen. Regelmäßig handelt es sich bei den Opfern u.a. auch um Personen mit Verbindungen in die Politik (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2007).

Zwischenzeitlich wurden die langjährigen Führerinnen von BNP und AL verhaftet. Das politische System in Bangladesch befindet sich im Umbruch, wobei völlig offen ist, in welche Richtung sich die erst in den Anfängen befindliche demokratische Kultur des Landes entwickeln wird.

Bei dieser Auskunftslage muss im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr vor erneuter politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher ist. Denn dem Kläger kann geglaubt werden, dass er vorverfolgt aus Bangladesch ausgereist ist.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgeführt, dass er in Bangladesch zunächst aktives Mitglied und später auch Sekretär einer Studentenbewegung/-partei mit Namen Jasot/Jasut war. Als Mitglied bzw. Funktionsträger dieser Studentenpartei hat er wiederholt an Demonstrationen teilgenommen. Im August 2005 hatte diese Betätigung bereits einmal zu einer Verhaftung geführt. Der Kläger hat im Weiteren glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass er seine politische Betätigung nach der Haftentlassung Ende August 2005 auf Drängen seines Vaters zunächst für eine Zeit hat Ruhen lassen, sie aber Anfang 2006 wieder aufgenommen hat und sich zum Sekretär hat ernennen lassen. Einer aufgrund dessen akut drohenden polizeilichen Verhaftung hat er sich durch Flucht entzogen. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Verhältnisse in Bangladesch kann eine Wiederholung von politischen Verfolgungsmaßnahmen nicht mit der erforderlichen hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Zudem ist ungewiss, ob im strafrechtlichen Bereich eine rechtsstaatlichen Erfordernissen im Ansatz genügende Durchführung der Verfahren gewährleistet ist. Nicht ausgeschlossen werden kann daher, dass dem Kläger bei einer Rückkehr ein rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwiderlaufendes Verfahren drohen würde.