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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 12.03.2008 - 10 B 94.07 - asyl.net: M13204
https://www.asyl.net/rsdb/M13204
Leitsatz:
Schlagwörter: Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Verfahrensfehler, Aserbaidschan, Armenier, Ausbürgerung, Einreiseverweigerung, Begründungserfordernis, Sachaufklärungspflicht, Entscheidungserheblichkeit, Darlegungserfordernis
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die allein auf Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat keinen Erfolg. Die behaupteten Verfahrensmängel sind überwiegend schon nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan; im Übrigen liegen sie nicht vor.

Der 1965 in (Stamm-)Aserbaidschan geborene Kläger ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts armenischer Volkszugehöriger, der aufgrund der damals herrschenden mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung der armenischen Volksgruppe im Jahre 1990 zum Verlassen seines Geburtsorts genötigt war und sich anschließend bis zu seiner Ausreise 1999 in dem völkerrechtlich noch zur Republik Aserbaidschan gehörenden Gebiet von Berg-Karabach aufgehalten hat. Das Berufungsgericht hat in der Ausbürgerung bzw. der Vorenthaltung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit und dem daraus folgenden Verbot der Wiedereinreise nach Stamm-Aserbaidschan eine fortdauernde, an die Volkszugehörigkeit des Klägers anknüpfende Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gesehen und mangels einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative in Berg-Karabach einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung bejaht. Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass das Berufungsgericht die Ausbürgerung bzw. den Eintritt der Staatenlosigkeit des Klägers sowie das Wiedereinreiseverbot als asylerheblich eingestuft hat, und rügt, dass es zu diesem Ergebnis in verfahrensfehlerhafter Weise gelangt sei.

Denn die Beschwerde legt schon nicht dar, dass es aus der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts auf die vermissten Feststellungen zur Wiedereinreisemöglichkeit für aus asylunerheblichen Gründen staatenlos gewordene Personen überhaupt ankam. Sie trägt selbst vor, dass das Berufungsgericht "die als politische Verfolgung zu wertende Situation allein auf die als asylerheblich einzustufende Ausbürgerung bzw. den als asylerheblich einzustufenden Eintritt der Staatenlosigkeit" zurückgeführt habe. Das praktizierte Wiedereinreiseverbot hat es als zwangsläufige Folge und Fortsetzung der in Anknüpfung an die armenische Volkszugehörigkeit und damit aus asylerheblichen Gründen herbeigeführten Staatenlosigkeit des Klägers angesehen und deshalb ebenfalls als asylrelevant bewertet. Ob auch Staatenlosen anderer als armenischer Volkszugehörigkeit die Rückkehr verweigert wird oder nicht, war daher aus Sicht des Berufungsgerichts auch als Indiztatsache unerheblich.

Soweit die Beschwerde sich mit ihrem weiteren Vorbringen gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, dass der Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit bzw. die Herbeiführung der Staatenlosigkeit des Klägers auf asylerheblichen Gründen beruhe, führt dies ebenfalls nicht auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs.2 Nr. 3 VwGO.

Auch bei diesem Vorbringen legt die Beschwerde nicht - wie erforderlich - dar, dass es nach der maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts darauf ankam, ob der Kläger die (neue) Staatsangehörigkeit Aserbaidschans im Jahre 1990 aufgrund des Staatsangehörigkeitsgesetzes zunächst überhaupt erworben hat oder ob er sie zwar erworben, aber aufgrund der Regelung in Art. 20 Abs. 2 dieses Gesetzes alsbald wieder verloren hat. Aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe ist bei verständiger Würdigung den Ausführungen des Berufungsgerichts zu entnehmen, dass es diese Frage nicht als entscheidungserheblich angesehen hat.

Schließlich führen auch die Angriffe der Beschwerde gegen "die Wertung einer infolge der Handhabung der Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1998 als asylerheblich einzustufenden Wiedereinreiseverweigerung" (Beschwerdebegründung S. 7) nicht auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Die Verfahrensrüge, die der Sache nach auf eine Verletzung der Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung wesentlichen erheblichen Beteiligtenvorbringens, also auf einen Gehörsverstoß, sowie auf eine Verletzung der formellen Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zielt, greift nicht durch. Wie die Beschwerde selbst einräumt, ist die Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn sich ein Beteiligter einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu Eigen macht, es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt, das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht eingeht und sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen lässt, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl. Beschluss vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402. 25 § 1 AsylVfG Nr. 324). Die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall liegen hier indes nicht vor. Entgegen der Ansicht der Beschwerde lässt der - wenn auch knappe - Verweis auf die gegenteilige Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig (UA S. 13) in Verbindung mit der Würdigung der einschlägigen Erkenntnismittel und der Begründung der Auffassung des Berufungsgerichts (UA S. 8 und 13) nicht den Schluss zu, das Berufungsgericht habe das entsprechende Vorbringen des Beteiligten aus den Augen verloren oder nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.