VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 24.04.2008 - 4 K 280/06 - asyl.net: M13224
https://www.asyl.net/rsdb/M13224
Leitsatz:

Die Nichterfüllung der Passpflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen, wenn nach Erteilung des Aufenthaltstitels ein Pass erteilt werden wird; der Aufenthalt eines Staatenlosen in Deutschland ist rechtmäßig i. S. d. Art. 28 S. 1 StlÜbk, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels allein daran scheitert, dass er die Passpflicht nicht erfüllt.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Deutschverheiratung, deutsche Kinder, Passpflicht, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Staatenlose, Staatenlosenübereinkommen, Reiseausweis, Palästinenser, Libanon, UNRWA, rechtmäßiger Aufenthalt, Anspruch, Duldung, atypischer Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 3; StlÜbk Art. 28 S. 1; StlÜbk Art. 1 Abs. 2 Bst. i; VwGO § 91 Abs. 1
Auszüge:

Die Nichterfüllung der Passpflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen, wenn nach Erteilung des Aufenthaltstitels ein Pass erteilt werden wird; der Aufenthalt eines Staatenlosen in Deutschland ist rechtmäßig i. S. d. Art. 28 S. 1 StlÜbk, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels allein daran scheitert, dass er die Passpflicht nicht erfüllt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist (mit ihrem Hauptantrag) auch begründet.

Der Anspruch beruht auf § 28 Abs. 1 AufenthG.

Doch kann die Beklagte der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger nicht die Nichterfüllung seiner Passpflicht entgegenhalten. Denn der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausstellung eines Dokuments, mit dem er seine Passpflicht erfüllen könnte. Dass ihm die Ausstellung eines solchen Dokuments von der Behörde möglicherweise deshalb verweigert wird, weil er wiederum keinen Aufenthaltstitel besitzt, kann kein Grund für die Versagung der Aufenthaltserlaubnis sein. Die Nichterfüllung der Passpflicht greift als Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. Nr. 4 AufenthG nicht ein, wenn die Passerteilung Folge der Erteilung eines Aufenthaltstitels ist; sie hat insoweit keine Bedeutung, wenn der Ausländer mit der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels einen Anspruch auf Erteilung eines Papiers hat, mit dem die Passpflicht erfüllt wäre (so – zu der dem § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG entsprechenden Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 3 in dem bis zum 31.12.2004 geltenden Ausländergesetz – BVerwG, Urteile vom 16.07.1996, NVwZ 1998, 180, und vom 16.10.1990, NVwZ 1991, 787, jew. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Febr. 2008, Bd. 1, § 5 RdNr. 8).

Als – unstreitig – (auch de jure) staatenloser Palästinenser aus dem Libanon hat der Kläger einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.09.1954 (BGBl. II, 473) – StlÜbk – (zur Geltung dieses Übereinkommens speziell für staatenlose von der UNRWA registrierte Palästinenser vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1993, NVwZ 1993, 782; zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 StlÜbk im nationalen Recht vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1990, a.a.O.). Der Kläger ist nicht aufgrund von Art. 1 Abs. 2 lit. i StlÜbk vom Anwendungsbereich des zuvor genannten Übereinkommens ausgeschlossen. Denn er genießt nicht (mehr) den Schutz oder Beistand eines Organs oder einer Organisation der Vereinten Nationen, zu denen auch die United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees (UNRWA) gehört, bei der der Kläger offiziell registriert ist (vgl. hierzu Hailbronner, a.a.O., Bd. 3, B 4 RdNr. 11 m.w.N.). Spätestens seit er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und Vater eines deutschen Kindes ist und mit ihnen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kann von ihm – unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob bei einer ehrlichen Absicht zur freiwilligen Rückkehr in den Libanon tatsächlich eine Möglichkeit der Rückkehr dorthin gegeben wäre – nicht verlangt werden, sich dauerhaft wieder in den Libanon und dort unter den Schutz dieser im Nahen Osten tätigen Organisation zu stellen und dadurch von seinen deutschen Familienmitgliedern, denen ein Daueraufenthalt im Libanon nicht zugemutet werden kann, getrennt zu werden.

Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen des Art. 28 Satz 1 StlÜbk. Obwohl die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des Art. 28 Satz 1 StlÜbk grundsätzlich nicht schon durch das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels begründet wird, sondern erst mit dem Besitz des Aufenthaltstitels (BVerwG, Urteil vom 16.07.1996, a.a.O.), gilt im Fall des Klägers ausnahmsweise etwas anderes. Denn dass ihm formal noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, liegt, wie gesagt, allein daran, dass er seine Passpflicht (noch) nicht erfüllt hat. Auch hier kann das dem Kläger jedoch nicht entgegengehalten werden. Der Regelversagungsgrund der Nichterfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) dient nämlich nur der Durchsetzung des Passzwangs, greift aber nicht ein, wenn die Passerteilung Folge der Erteilung eines Aufenthaltstitels ist (BVerwG, Urteil vom 16.07.1996, a.a.O., m.w.N.).

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dahingestellt bleiben, ob der Aufenthalt des Klägers auch deshalb als rechtmäßig im Sinne des Art. 28 Satz 1 StlÜbk gilt, weil er seit Jahren eine Duldung besitzt und die Ausländerbehörden, zumindest seit er mit deutschen Staatsangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, seine Abschiebung und Ausreise aus Deutschland nicht mehr anstreben. Zwar vermittelt eine Duldung im Allgemeinen keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Etwas Anderes kann – im Geltungsbereich des Art. 28 StlÜbk, dessen Auslegung auch internationale Regeln zu berücksichtigen hat – jedoch dann gelten, wenn die Duldung zum Zweck langfristiger Aufenthaltsgewährung gleichsam als Vorstufe einer Aufenthaltserlaubnis, somit als "verkappte Aufenthaltserlaubnis" erteilt wird (so BVerwG, Urteil vom 16.10.1990, a.a.O., m.w.N.), wofür im Fall des Klägers inzwischen Überwiegendes spricht.

Mit dem Besitz eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 StlÜbk würde der Kläger auch seine Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AufenthV).

Ob die Nichterfüllung der Passpflicht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger auch deshalb nicht als Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG entgegengehalten werden kann, weil bei ihm ein Ausnahmefall vom Regelversagungsgrund anzunehmen wäre, kann hiernach ebenfalls dahingestellt bleiben. Immerhin ist ein solcher Ausnahmefall anerkannt, wenn ein Ausländer, der – wie der Kläger – einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um einen als Pass oder Passersatz anerkanntes Dokument zu erlangen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.03.2008 - 11 S 378/08 - m.w.N.). Der Fall des Klägers dürfte ein (weiterer) Beleg dafür sein, dass die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach derzeit für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon grundsätzlich von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Ausreise und Abschiebung in den Libanon auszugehen und die Beschaffung von Heimreisedokumenten für diesen Personenkreis, der in Deutschland lediglich geduldet werde, durch eigene Bemühungen gegenwärtig ausgeschlossen sei, wohl zutreffend ist (vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 24.07.2007 - 27 A 180/06 -, sowie - ausführlich - VG Freiburg, Urteil vom 17.03.2005 - 1 K 1065/04 -, jew. m.w.N.). Der Kläger hat unstreitig mehrere Versuche unternommen, von der libanesischen Auslandsvertretung ein Heimreisepapier zu bekommen, und er ist mit diesem Anliegen entweder abgewiesen oder auf unabsehbare Zeit vertröstet worden. Ein weiteres Zuwarten ohne eine klare Perspektive, dass der libanesische Staat die beantragten Papiere in absehbarer Zeit ausstellen wird, dürfte dem Kläger wohl nicht (mehr) zuzumuten sein.