VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 24.04.2008 - AN 19 S 07.00211 - asyl.net: M13227
https://www.asyl.net/rsdb/M13227
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Regelausweisung, Tablighi Jamaat, Terrorismus, Unterstützung, Mitglieder, Vereinigung, Islamisten, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Falschangaben, Sicherheitsbefragung, Religionsfreiheit, Meldeauflage, räumliche Beschränkung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sofortvollzug, Begründungserfordernis
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3; AufenthG § 54 Nr. 5; AufenthG § 54 Nr. 5a; AufenthG § 54 Nr. 6; GG Art. 4 Abs. 2; AufenthG § 54a Abs. 1; AufenthG § 54a Abs. 2
Auszüge:

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen wie vorliegend auf Grund behördlicher Anordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen ist, die aufschiebende Wirkung wieder herstellen.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1, 3 und 4 des Bescheids vom 22. Dezember 2006 nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO begegnet keinen Bedenken und entspricht den an sie zu stellenden formalen Anforderungen. Unter erkennbarer Berücksichtigung des Ausnahmecharakters einer derartigen Anordnung wurde der sofortige Vollzug der Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Erwägungen gestützt und das Interesse am Sofortvollzug insbesondere der Ausweisungsverfügung dargelegt. Diese Begründung vermag den Sofortvollzug zu tragen. Die Ausländerbehörde hat als tragenden Gesichtspunkt herausgestellt, dass die begründete Besorgnis bestehe, dass sich die im Fall des Antragstellers prognostizierte Gefährdung höchster Rechtsgüter bereits während eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisieren könnte und dabei Gefahren in Kauf genommen werden müssten, die gerade mit der Anwendung der Ausweisungstatbestände unterbunden werden sollten und unterbunden werden müssten, da der Antragsteller Grundinteressen der Gesellschaft beeinträchtige.

Der streitgegenständliche Bescheid selbst begegnet nach der erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung keinen rechtlichen Bedenken, was zunächst und insbesondere hinsichtlich der Verfügung der Ausweisung gilt.

Der Antragsteller erfüllt zunächst den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG, da (mindestens) Tatsachen vorliegen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört, die den Terrorismus unterstützt. Im Sinn der genannten Vorschrift gehört der Antragsteller der TJ an, wenngleich eine Mitgliedschaft in der TJ, deren Mitglieder selbst ihre Bezeichnung als Organisation ablehnen, nicht wie bei anderen Organisationen dokumentierbar ist. Die TJ ist außerdem nach für das Eilverfahren ausreichender Überzeugung der Kammer eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt. Zur Zugehörigkeit eines Ausländers zu einer Vereinigung im Sinn des § 54 Nr. 5 AufenthG ist festzustellen, dass die synonyme gesetzliche Verwendung des Begriffs "angehört" einerseits und des Begriffs der "Mitgliedschaft" andererseits aufzeigt, dass es nicht auf eine formell dokumentierte Mitgliedschaft bei der jeweiligen Vereinigung ankommt, wie sie ja auch bei der TJ offenbar gar nicht begründet werden kann und weswegen ihre Mitglieder auch eine Bezeichnung der TJ als Organisation ablehnen. An der Charakterisierung der TJ als "Vereinigung" im Sinn des § 54 Nr. 5 AufenthG kann ein vernünftiger Zweifel nicht bestehen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.7.2006 - 19 C 06.1496 - und im Übrigen auch BayVGH, Urteil vom 5.3.2008 - 5 B 05.1449 -, worin jeweils die TJ als "Islamistische Organisation" bezeichnet wird). Maßgeblich ist hinsichtlich des Begriffs der Vereinigung, dass ein organisatorischer Zusammenschluss von Personen vorliegt, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Ziele verfolgen und untereinander derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (vgl. Hailbronner, RdNr. 27 zu § 54 AufenthG und das den Beteiligten bekannte Urteil der Kammer vom 15.1.2008 - AN 19 K 05.02682). Darüber hinaus ist der Antragsteller als "Mitglied" der TJ im Sinn des § 51 Abs. 5 AufenthG anzusehen, wobei es für den Ausweisungstatbestand nach dieser Vorschrift bereits genügt, dass Tatsachen die Schlussfolgerung einer Mitgliedschaft rechtfertigen. Die vielfältigen Kontakte des Antragstellers zu anderen Aktivisten der TJ und seine eigenen Aktivitäten für diese Organisation lassen sich schlüssig nur mit einer Zugehörigkeit zur TJ erklären.

Die Kammer ist im Rahmen der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung auch hinreichend davon überzeugt, dass die TJ den Terrorismus im Sinn des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt.

Der Antragsteller wie auch andere TJ-Mitglieder beteuern zwar, wie zum Beispiel auch anlässlich der Sicherheitsgespräche, Gewalt abzulehnen. Die Auswertung von Sicherheitsgesprächen von TJ-Mitgliedern wie auch vom Antragsteller erzeugen zwar den vordergründigen Eindruck, dass die Mitglieder der TJ Gewalt ablehnen. Konfrontiert mit Fragen, wie Gewalt und Terrorakte beurteilt werden, zeigt sich jedoch, dass diesbezüglich keine klar ablehnende Haltung existiert. So reagierte auch der Antragsteller auf solche Fragen teils ausweichend und teils mit erkennbarer Tendenz, sich nicht zu belasten. Eine klare Absage, gegebenenfalls Gewalt anzuwenden, ist jedenfalls nicht erkennbar. Vielmehr ist auf Grund der gesamten Erkenntnislage davon auszugehen, dass die TJ die Durchführung von terroristischen Aktionen fördert bzw. zumindest befürwortet. Dabei ist der Begriff des Unterstützens des Terrorismus nicht eng auszulegen, sondern nach Prüfung der Aktivitäten der Vereinigung durch eine wertende Gesamtbetrachtung zu entscheiden (vgl. BVerwG vom 15.3.05, Az. 1 C 26/03). Die Schwelle für das Eingreifen dieses mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz ab dem 1. Januar 2002 eingeführten und durch das Zuwanderungsgesetz nur anders gefassten Ausweisungsgrundes ist nach dem Willen des Gesetzgebers angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus deutlich niedriger anzusetzen als bei früheren Regelungen, die eine persönliche und konkrete Gefahr voraussetzen. Gemessen hieran ist die Kammer überzeugt, dass die TJ den Terrorismus unterstützt. Letztlich sind keine ernsthaften Zweifel vorhanden, dass zahlreiche Personen, die terroristische Anschläge in verschiedenen Ländern begangen haben, aus den Reihen der TJ rekrutiert wurden bzw. mit ihr in Verbindung standen.

All diese Beispielsfälle zeigen eindeutig auf, dass eine ganze Reihe von Personen, die terroristische Anschläge in verschiedenen Ländern begangen oder geplant haben, zur TJ gehört haben oder bei ihren terroristischen Aktivitäten mit der TJ in Verbindung standen, zumindest, indem sie diese Gruppierung, zum Beispiel zur Erleichterung ihrer Reise, für Kontakte oder als Anlaufstelle benutzt haben. Die Verbindungen der TJ zu nachweislich terroristischen Personen liegen deshalb auf der Hand und es ist auch davon auszugehen, dass durch die Aktivitäten der TJ, deren Ziel die Errichtung eines islamischen Staats- und Gesellschaftswesens ist, zumindest die geistige Grundlage und der Boden für Terrorakte geschaffen wird. Eine offene Propagierung von Terrorakten ist für die Erfüllung des Tatbestandes des Unterstützens des Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG nicht erforderlich, wobei eine solche offenbar in Afghanistan und Pakistan durch die TJ durchaus stattfindet.

Im Hinblick auf diese Erkenntnisse und im Hinblick auf die internationale Verflechtung der TJ geht die Kammer davon aus, dass die TJ den Terrorismus aktiv unterstützt, jedenfalls aber die Rekrutierung von TJ-Glaubensbrüdern ermöglicht bzw. nicht verhindert, dass Terroristen das TJ-Netzwerk für ihre Zwecke logistisch und als Tarnung nutzen.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die TJ überwiegend friedliche Ziele verfolge, in deren Umfeld es lediglich vereinzelt in politischen Krisengebieten zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen sei. Eine Differenzierung des Unterstützerbegriffes je nach Land ist schon wegen des transnationalen Wirkungskreises der TJ und deren Struktur mit den Zentren in Pakistan und Indien, wo letztlich die Vorgaben für weitere Vorgehensweisen gemacht werden, nicht möglich. Bei der Frage der Beurteilung, ob die TJ den Terrorismus unterstützt, kann ebenso wenig entscheidend sein, in welcher Häufigkeit einzelne T-JMitglieder oder der TJ nahe stehende Personen in den Terrorismus übergewechselt sind oder terroristische Aktivitäten entfaltet haben und in welchem Ausmaß die TJ als Organisation für die Gewaltverbrechen ausgenützt wird. Unabhängig davon, dass offenbar in einer Vielzahl von Fällen diese Verbindungen bestehen, verbietet sich nach Auffassung der Kammer angesichts der qualitativen Tragweite und der verheerenden Auswirkungen bereits einzelner Terrorakte bei der Beantwortung der Frage, ob die TJ den Terrorismus unterstützt, eine quantitative Betrachtungsweise. Entscheidend ist vielmehr, dass eine im Übrigen auch nicht unbeachtliche Menge von Einzeltätern, die der TJ nahe stehen bzw. Mitglied sind oder waren, durch die TJ, wie oben beschrieben, passiv oder aktiv unterstützt wurden, mit der Folge der Gefährdung unzähliger Menschenleben und großer Sachschäden.

In der Person des Antragstellers ist auch der Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG erfüllt. Nach § 54 Nr. 5 a AufenthG wird ein Ausländer in der Regel unter anderem dann ausgewiesen, wenn er die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Von einer solchen Gefährdung durch den Antragsteller ist auf Grund seiner für die TJ entfalteten Aktivitäten auszugehen, da es sich nach Überzeugung der Kammer bei der TJ um eine islamistische Organisation handelt, die Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Rechtsstreit wegen Einbürgerung im Urteil vom 5. März 2008 (5 B 05.1449) insoweit nach Auswertung von Verfassungsschutzberichten und Erkenntnisquellen ausgeführt, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die TJ Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Danach besteht kein Zweifel, dass die TJ eine islamistische Organisation ist, die die Islamisierung der Gesellschaft betreibt, um damit die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen, was generell das Ziel des Islamismus ist. Auf Grund der nachhaltigen Missionierungstätigkeit weisen die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der TJ auch eine über bloße Meinungen hinausgehende Zielstrebigkeit auf. Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes an.

Diese gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen konkretisieren sich auch in der Person des Antragstellers. Wie oben dargestellt, ist der Antragsteller ein Aktivist der TJ, der deren Arbeit durch regelmäßige Missionstätigkeit und regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen unterstützt. Diese Handlungen sind objektiv geeignet, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen voranzutreiben. Die Annahme des Antragsgegners, dass der Antragsteller persönlich die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet und damit den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG erfüllt, ist damit zutreffend.

Im Fall des Antragsteller liegt auch der Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG vor, dies in geradezu offensichtlicher Weise. Der Antragsteller hat nämlich in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen seinen weiteren Aufenthalt dient, gegenüber der Ausländerbehörde in wesentlichen Punkten falsche Angaben über Verbindungen zu Organisationen gemacht, welche der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind. Er wurde auch jeweils zuvor ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen.

Nach alledem sind im Fall des Antragstellers die ihm vorgehaltenen Ausweisungstatbestände nach § 54 AufenthG erfüllt. Für einen Ausnahmefall im Sinn des § 54 AufenthG ist vorliegend nichts erkennbar, da keine Umstände erkennbar sind, dass das Gewicht der gesetzlichen Regeltatbestände nicht zum Tragen kommt und der Sachverhalt hierdurch geprägt wird (hierzu siehe z. B. BVerwG, Beschluss vom 19.3.1999 - 1 B 20/99 - m.w.N.).

Die Ausweisung steht auch nicht im Widerspruch zu dem in Art. 4 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht auf ungestörte Religionsausübung. Bei den Aktivitäten der TJ geht es nicht um reine Religionsausübung, sondern die TJ fördert und unterstützt, wie oben dargestellt, den internationalen Terrorismus. Dies ist durch das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung nicht gedeckt. Dieses Grundrecht ist zwar ohne Vorbehalt. Auch in ein vorbehaltloses Grundrecht darf aber durch die Staatsorgane zum Schutz der im Grundgesetz verankerten Rechtsgüter eingegriffen werden (vgl. Maunz-Düring, RdNr. 91, zu Art. 4 GG).

Die in Nrn. 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides erfolgten Anordnungen bzw. der Hinweis auf die Verpflichtung, sich einmal wöchentlich bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden und ebenso die örtliche Beschränkung des Aufenthalts finden ihre Rechtsgrundlagen in § 54 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Insoweit sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die Verpflichtung zur wöchentlichen Meldung bei der Polizei unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und damit durch die getroffene Verfügung also lediglich ein gesetzliches Verbot konkretisiert und die Rechtslage nochmals verbindlich klargestellt wurde (vgl. Kopp, VwVfG, RdNr. 6 zu § 35). Die Verfügung setzt insoweit in der Sache lediglich voraus, dass eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5 AufenthG oder nach § 54 Nr. 5 a AufenthG besteht, wie es beim Antragsteller der Fall ist und wobei auch gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Bedenken bestehen. Letztlich Gleiches wie für die Anordnung der wöchentlichen Meldung gilt für die Beschränkung des Aufenthalts auf das Gebiet der Stadt ..., wenngleich hier die Regierung von Mittelfranken eine den Aufenthalt räumlich beschränkende Verfügung dadurch getroffen hat, dass sich der Antragsteller ab Zustellung des Bescheides nur noch in ... aufhalten kann und nicht etwa im gesamten ausländerrechtlichen Zuständigkeitsbereich der Regierung von Mittelfranken, mithin in ganz Nordbayern. Die Intention des Aufenthaltsgesetzes war insoweit offensichtlich darauf gerichtet, die Mobilität eines nach § 54 Nrn. 5 oder 5 a AufenthG vollziehbar ausgewiesenen Ausländers nachhaltig zu beschränken, womit insgesamt wohl nicht einmal eine "abweichende Festlegung" im Sinn des § 54 a Abs. 2 AufenthG zu erkennen ist. Im Allgemeinen weiterhin für den Antragsteller zuständig ist die Stadt... (§ 5 Abs. 1 ZustVAuslR), auf deren Stadtgebiet auch der Aufenthalt des Antragstellers beschränkt worden ist.