VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 05.03.2008 - unbekannt - asyl.net: M13336
https://www.asyl.net/rsdb/M13336
Leitsatz:
Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Situation bei Rückkehr, Kinshasa, Versorgungslage, medizinische Versorgung, Malaria, Infektionsgefahr, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Soweit es § 60 Abs. 7 AufenthG angeht, so hat die Klägerin unabhängig davon, ob in dieser Hinsicht die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens bezüglich der in dem Bescheid des Bundesamtes vom 11. Mai 2006 zu § 60 Abs. 7 AufenthG getroffenen Feststellung erfüllt sind (vgl. § 51 Abs. 1 bis 3 und Abs. 5 VwVfG), im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG (vormals § 53 Abs. 6 Ausländergesetz - AuslG -) in Bezug auf die DRK. Denn ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG ist nicht gegeben.

Die Klägerin würde nicht unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die DRK aufgrund der dort herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen in eine extreme Gefährdungslage geraten, die sie mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tode oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Da eine Abschiebung nur auf dem Luftweg über den Flughafen von Kinshasa erfolgen kann, beschränkt das Gericht die Prüfung der Lebensbedingungen auf den Großraum dieser Stadt, in der die Situation ohnehin besser ist als in den übrigen Landesteilen.

Es lässt sich nicht feststellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrentage geriete und dem baldigen (vgl. zur notwendigen Unmittelbarkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung: BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, a.a.O.) sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Dabei wird nicht verkannt, in welch desolatem Zustand sich das Staatswesen insgesamt befindet. Vor allem ist die wirtschaftliche Lage bedrückend schlecht. Die Arbeitslosenquote wird auf über 90 % geschätzt. Jede geordnete wirtschaftliche Tätigkeit wird erschwert. In der Hauptstadt Kinshasa ist Hauptursache der weiterhin angespannten Versorgungslage mit Lebensmitteln das Fehlen hinreichender Transportmöglichkeiten aus den fruchtbaren Agrarprovinzen in die Stadt. Die Verbindungsstraßen in den Bandundu und zur Hafenstadt Matadi sowie die Eisenbahnverbindung dorthin sind in desolatem Zustand, die Flussschifffahrt auf dem Kongo in die Ostprovinzen ist seit Jahren kriegsbedingt unterbrochen. Gegenwärtig gibt es verstärkte Bemühungen, den Kongo entsprechend einschlägiger VN-Sicherheitsrats-Resolutionen wieder für die Schifffahrt zu öffnen. Eine Lösung scheint sich abzuzeichnen. Die MONUC hat in geringem Umfang die Flussschifffahrt von Kinshasa in die Rebellengebiete zur humanitären Lebensmittelversorgung wieder eröffnet, daneben verkehren regelmäßig kleinere Transportboote zwischen dem Bandundu und Kinshasa. In Ergänzung dazu versucht die Bevölkerung in Kinshasa, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern. Eine im September 2001 veröffentlichte Untersuchung der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Kinshasa zur Ernährungssituation in Kinshasa ergab u.a., dass z.B. von 611 Haushalten in Kinshasa in einem Untersuchungszeitraum von 3 Monaten 22% der Haushalte eine Mahlzeit, 61,1 % zwei und 16,1 % drei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen können. Von 598 Haushalten haben 14,1 % im Untersuchungszeitraum eine gesteigerte Menge Lebensmittel zur Verfügung gehabt, 59,1 % weniger, bei 26,8% blieb die Menge der konsumierten Lebensmittel über drei Monate gleich. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bevölkerung in Kinshasa schwierig ist, dass dank verschiedener Überlebensstrategien jedoch keine akute Unterversorgung wie etwa in anderen Hungergebieten Afrikas herrsche. So waren in den Armutsvierteln von Kinshasa Kimbanseke und Selembao im Februar 2001 12 % der Kinder unter 5 Jahren latent unterernährt, unter akuter Unterernährung litten 2,6 %. Auch OCHA, die humanitäre Koordinierungsorganisation der Vereinten Nationen, kommt im Februar 2002 zu dem Ergebnis, dass dank der Anpassungsfähigkeit der Akteure im informellen Nahrungssektor eine befürchtete akute Mangelsituation im Großraum Kinshasa ausgeblieben ist. Im Großraum Kinshasa variiert die allgemeine (zu unterscheiden von akuter/schwerer) Unterernährungsrate zwischen 10 und 20 Prozent (vgl. AA, Lageberichte vom 1. Februar 2008, 5. September 2006, 14. Dezember 2005, 9. Mal 2005, 4. August 2003 sowie 2. August 2002).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die allgemein beschriebene katastrophale Versorgungslage in erster Linie den Nordosten des Landes, nicht aber in gleicher Weise den Großraum Kinshasa betrifft.

In dieser Situation, mag sie bei Gesamtschau aller Umstände auch äußerst bedrückend sein, kann nicht angenommen werden, dass jeder Kongolese im Falle der Rückkehr in sein Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dies gilt auch für die Klägerin.

Der Klägerin, für die kein anderweitiger gleichwertiger Abschiebungsschutz gegeben ist, ist vorliegend auch nicht wegen der in Kinshasa bestehenden schlechten medizinischen Versorgungslage oder einer im Falle ihrer Rückkehr möglicherweise drohenden Malariaerkrankung Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzubilligen.

Das Risiko, an Malaria, insbesondere der gefährlichen Form der Malaria tropica, zu erkranken, ist in der DRK sehr hoch. Malaria ist eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten in der DRK, an der z.B. im Jahre 2000 etwa 200.000 Menschen starben (vgl. Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin/Prof. ..., Auskunft an das Bundesamt vom 2. April 2002 (im Folgenden: Prof. ...); Schweizerisches Bundesamt für Flüchtlinge, Bericht vom 1. Oktober 2001 über die medizinische Infrastruktur und Behandlung in Kinshasa (im Folgenden: Schweizerisches Bundesamt)).

Der Krankheitsverlauf bei kleinen Kindern führt häufiger zu schwereren Verläufen als bei Heranwachsenden und Erwachsenen (vgl. Prof. ...; vgl. auch Schweizerisches Bundesamt, wonach von den genannten Todesfällen des Jahres 2000 40.000 Kinder, also ein Fünftel, betroffen waren und im ersten Drittel des Jahres 47 % der Todesfälle in der Pädiatrie von Kinshasa auf Malaria zurückzuführen waren).

Somit ist eine größere Zahl von Menschen von der Malariaerkrankung betroffen mit der Folge, dass insoweit die "Sperre" des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eingreift und Abschiebungsschutz nur gewährt werden kann, wenn jedem Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, alsbald nach der Ankunft in der DRK an dieser Krankheit zu sterben. Das ist jedoch nicht der Fall.

Auch bei einer Erkrankung gibt es jedenfalls in Kinshasa hinreichende Möglichkeiten ärztlicher Hilfe und in ausreichender Menge Medikamente (Vgl. Prof. ...; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Kinshasa, Auskunft vom 18. Mai 2001 an den VGH Baden-Württemberg).

Bei rechtzeitigem Erkennen der Krankheit und Behandlung mit den entsprechenden Medikamenten tendiert die Sterblichkeitsrate gegen Null.

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG NRW (vgl. Urteil vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95 -) auch davon aus, dass die Kosten für die notwendigen Medikamente zur Behandlung einer Malariaerkrankung (vgl. die Übersicht der verfügbaren Medikamente unter Angabe der Preise im Bericht des Schweizerischen Bundesamtes, Seite 16; ferner Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Kinshasa, Auskunft vom 18. Mai 2001 an den VGH Baden-Württemberg) aufgebracht werden können oder bei einer absoluten Mittellosigkeit von anderen Stellen aus ethischen Gründen zunächst zur Verfügung gestellt werden. Zwar befindet sich das Gesundheitswesen in der DRK allgemein in einem sehr schlechten Zustand. Die staatlichen Krankenhäuser sind heruntergewirtschaftet oder aber geplündert. Sie sind auf Grund ihrer geringen Anzahl, ihrer schlechten Ausstattung und infolge der unzureichenden hygienischen Verhältnisse nicht in der Lage, im erforderlichen Umfang - insbesondere bei komplizierten Eingriffen - die Kranken im ausreichenden Maß zu versorgen. Die ärztliche Versorgung ist in Kinshasa jedoch grundsätzlich gewährleistet. In seinem Bericht vom 1. Oktober 2001 über die medizinische Infrastruktur und Behandlung in Kinshasa berichtet das Schweizerische Bundesamt für Flüchtlinge, dass es in Kinshasa 1.500 medizinische Einrichtungen gibt. Zwar sind davon viele rein profitorientiert. Auch ist der Großteil der medizinischen Einrichtungen in Kinshasa schlecht ausgerüstet und erhält - mit Ausnahme der konfessionellen medizinischen Einrichtungen - keine Hilfe vom Ausland. Andererseits sind aber im Bereich der medizinischen Versorgung häufig Organisationen der großen Kirchen, so der Heilsarmee, der katholischen Kirche, der Kirche von Christus im Kongo und der kimbanguistischen Kirche tätig. Diesen gehören in Kinshasa mehr als 70 % der Gesundheitszentren sowie einige Spitäler. Zusammengefasst stellt der Bericht fest, die medizinische Infrastruktur in Kinshasa weise große Unterschiede auf, von rein profitorientierten Einrichtungen mit ungenügend ausgebildetem Personal bis hin zu gut geführten Spitälern mit Spezialisten. Die meisten Krankheiten können in Kinshasa behandelt werden. Das gilt zum Beispiel für Diabetes Mellitus I und II mit Bluthochdruck; Asthma und Bronchialerkrankungen, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Pneumopathie, Typhus und auch Röteln (vgl. AA, Lageberichte vom 1. Februar 2008, 5. September 2006, 14. Dezember 2005, 9. Mai 2005, 4. August 2003; Schweizerisches Bundesamt).

Nach den Erkenntnissen ist auch die Versorgung mit Medikamenten gesichert. In letzter Zeit sind in Kinshasa über 100 Apotheken neu eröffnet worden. Im Allgemeinen sind die Apotheken zwar relativ einfach ausgestattet. Auch wenn Mangel an gewissen Basisprodukten wie zum Beispiel HIV und Blutgruppentests besteht, so sind Medikamente gegen Malaria-, Tuberkulose-, Rheuma-, Husten- und Durchfallerkrankungen und auch Anämiepräparate sowie Antibiotika doch einfach zu erhalten (vgl. Schweizerisches Bundesamt).

Allerdings besteht weder ein Krankenversicherungssystem noch eine freie staatliche Gesundheitsfürsorge. Bei abhängig Beschäftigten zahlen in der Regel die Arbeitgeber die Behandlungskosten. Angesichts der Arbeitslosenquote von über 90 % dürfte dies auf einen Rückkehrer jedoch nur ausnahmsweise zutreffen. In den anderen Fällen müssen die Behandlungskosten von der Großfamilie aufgebracht werden. Nur für zahlungskräftige Patienten - was ebenfalls als Ausnahmefall einzustufen ist - stehen hinreichend ausgestattete private Krankenhäuser und fachkundige Ärzte zur Verfügung (vgl. AA, Lageberichte vom 1. Februar 2008, 5. September 2006, 14. Dezember 2005, 9. Mai 2005, 4. August 2003 und vom 2. August 2002).

Angesichts dieser Situation wird die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung indes im Wesentlichen von so genannten Nicht-Regierungsorganisationen, u.a. den Kirchen, getragen. Wenngleich die Patienten. bzw. ihre Angehörigen auch hierfür die Behandlung aufkommen müssen, sind die Kosten jedoch deutlich niedriger als etwa in Deutschland, weil von den Kirchen im Wesentlichen essentielle Medikamente eingesetzt werden (vgl. Auskunft des Missionsärztlichen Instituts Würzburg vom 6. November 2000 an das VG München).

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen in einem Notfall sicherlich zunächst der Patient behandelt und anschließend der Arzt versuchen wird, von ihm oder seiner Familie Kostenerstattung zu erhalten (vgl. Sachverständigengutachten ... (Missionsärztliches Institut Würzburg, Sitzungsniederschrift des VG Frankfurt/Main vom 27. Juni 2002 - 4 E 30155/98.A (3),4 E 4937/99.A (3), 4 E 2667/01.A (3), 4 E 2682/01.A (3), 4 E 593/02.A (3) und 4 E 594/02.A (3)).

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch nach der Einschätzung von Dr. ... selbst in den Fällen, in denen eine Malaria nicht sofort erkannt wird, der schwere Verlauf der Malaria innerhalb kürzester Zeit zwar eintreten kann, aber nicht muss, wobei von diesen schweren Erkrankungsfällen ca. jeder vierte tödlich verläuft.