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Zitieren als:
, Beschluss vom 29.04.2008 - S 14 AY 1320/08 ER - asyl.net: M13357
https://www.asyl.net/rsdb/M13357
Leitsatz:

Die neue Fassung von § 2 Abs. 1 AsylbLG gilt nicht für abgeschlossene Sachverhalte, d.h. für Fälle, bei denen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. am 28.8.2007 bereits erfüllt waren; auf die 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG sind Zeiten des Bezugs höherwertiger Sozialleistungen anzurechnen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 48-Monats-Frist, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, Sozialhilfebezug, Übergangsregelung, Altfälle, Aufenthaltsdauer, Unterbrechung, Auslandsaufenthalt, Asylantrag, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Die neue Fassung von § 2 Abs. 1 AsylbLG gilt nicht für abgeschlossene Sachverhalte, d.h. für Fälle, bei denen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. am 28.8.2007 bereits erfüllt waren; auf die 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG sind Zeiten des Bezugs höherwertiger Sozialleistungen anzurechnen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne der Antragsteller liegen vor.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die den Antragstellern nunmehr lediglich bewilligten Leistungen nach § 3 AsylbLG sind deutlich geringer als die Leistungen nach § 2 AsylbLG und auch deutlich geringer als Leistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII. Die Beschränkung auf derart geringfügige Leistungen ist grundsätzlich - nach dem gesetzgeberischen Willen - nur zulässig, wenn die besonderen Voraussetzungen für geringere Leistungen nach § 3 AsylbLG vorliegen.

Ob die Voraussetzungen für verminderte Leistungen nach § 3 AsylbLG vorliegend gegeben sind, erscheint - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung - eher zweifelhaft. Es spricht vielmehr Vieles dafür, dass die Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen werden.

Streitig ist insoweit, ob die 48-Monats-Frist vorliegend Anwendung findet und ob Zeiten, in denen Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen wurden, als Anrechnungszeiten anzurechnen sind.

Die ab 28. August 2007 geltende Neufassung der Vorschrift (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 19. August 2007 - BGBl. I S. 1970), welche einen Vorbezug von Leistungen über 48 Monate fordert, findet mangels Übergangsvorschrift Anwendung ab ihrem Inkrafttreten. Diese gilt jedoch nicht rückwirkend für bereits abgeschlossene Sachverhalte, das heißt für Fälle, bei denen die Leistungsberechtigten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 28. August 2007 - wie hier - bereits 36 Monate des Vorbezugs von Grundleistungen erfüllt hatten. Der Entscheidung des SG Osnabrück, Beschluss vom 18.01.2008, - S 16 AY 30/07 ER - folgt die Kammer nicht. In der Entscheidung wird nicht berücksichtigt, dass ein Eingriff in einen abgeschlossene Sachverhalt nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen darf. Vorliegend findet sich eine solche Eingriffsregelung im Gesetz (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 Gesetz vom 19. August. 2007) nicht. Eine Regelungslücke sieht die Kammer nicht. Die Neufassung des § 2 AsylbLG findet erst ab Inkrafttreten Anwendung, nicht aber rückwirkend auf abgeschlossene Sachverhalte.

Nach dem Sinn und Zweck des § Abs. 1 AsylbLG sollen grundsätzlich alle Leistungsberechtigten des § 1 AsylbLG nach 36 Monaten, jetzt 48 Monate, Leistungen auf dem Sozialhilfeniveau des SGB XII erhalten; lediglich bei rechtsmissbräuchlich beeinflusster Aufenthaltsdauer soll dies ausgeschlossen sein (vgl. BT-Drucksache 15/420 S. 121 zu Art. 8 Nr. 3). Der Gesetzgeber des AsylbLG vom 30.06.1993 hat den Wechsel von Leistungen nach §§ 3 - 7 AsylbLG auf Leistungen entsprechend dem BSHG (ab 01.01.2005: SGB XII), d.h. auf Leistungen des soziokulturellen Existenzminimums damit begründet, "dass bei einem längeren Zeitraum des Aufenthalts und - mangels Entscheidung - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entsteht. Insbesondere sind nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet sind" (BT-Drucksache 12/5008, S.15).

In diesem Sinne genügt zur Erfüllung der 36-Monats-Frist (bzw. jetzt 48 Monatsfrist) des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch der unmittelbare oder entsprechende Bezug von Leistungen nach dem BSHG bzw. dem SGB XII. Das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen auf der Höhe des soziokulturellen Existenzminimums (= BSHG- bzw. SGB XII-Niveau) gehören, besteht unabhängig davon, ob ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt über einen mindestens 36-monatigen Zeitraum durch Leistungen nach §§ 3 - 7 AsylbLG oder - erlaubt - anders bestritten hat (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2007 - L 20 B 4/07 AY ER, Beschluss vom 28.01.2008, L 20 B 85/07 AY ER). Wenn bereits der Bezug der (niedrigen) Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Ablauf von 36 Kalendermonaten die von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezweckte Besserstellung rechtfertigt, dann gilt dies erst recht, wenn der 3-Jahres-Zeitraum durch den Bezug von "höherwertigen" Sozialleistungen gedeckt ist. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen verlangt die Erfüllung höherer Anspruchsvoraussetzungen als jene für § 3 AsylbLG. Daraus resultiert, dass bei einem Bezug dieser "höherwertigen" Sozialleistungen auch Ansprüche nach § 3 AsylbLG potenziell bestehen, welche nur deswegen nicht zum Tragen kommen, weil diese Leistungen nachrangig sind (Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007 - L 7 AY 14/06 ER; vgl. in diesem Sinne auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2008 m.w.N.).

Nach Auffassung der Kammer lag es nicht in der Absicht des Gesetzgebers, durch die Änderungen des AsylbLG grundsätzlich allen Personen, die - wie die Antragsteller - bereits vor dem 28.08.2007 anstelle von Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG bezogen haben, diese Privilegierung ab dem 28.08.2007 wieder zu entziehen und ab diesem Zeitpunkt zunächst wieder nur noch Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG zu gewähren. Es findet sich an keiner Stelle der Gesetzesbegründung und auch nicht im Gesetz selbst ein Hinweis darauf, dass alle Leistungsberechtigten, die sich bereits seit geraumer Zeit nicht rechtsmissbräuchlich im Bundesgebiet aufhalten und die bereits vor dem 28.08.2007 einen Anspruch in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung der Vorschriften des BSHG/SGB XII gehabt haben, durch die Änderungen des AsylbLG ihre bisherigen Ansprüche verlieren sollten, um sich dann von neuem einen entsprechenden Anspruch durch erneuten Bezug abgesenkter Leistungen nach denn AsylbLG zu erwerben.

Ähnliches ist für die Unterbrechung des Aufenthaltes anzunehmen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ("insgesamt 36 Monate") ist eine Gesamtdauer des Leistungsbezugs maßgebend; hieraus ist nicht ohne weiteres zu ersehen, dass Unterbrechungen schädlich sind. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch eine Relativierung der Fristberechnung geboten, zumal der Wortlaut nicht so eindeutig ist, dass er einer entsprechenden Auslegung entgegensteht. Nachhaltige und tiefgreifende Unterbrechungen des Zeitraums führen nach der nachstehenden Rechtsprechung des OVG Niedersachsen (Beschluss vom 27. März 2001, a.a.O.) dazu, dass nach einer solchen Unterbrechung die Fristberechnung erneut zu beginnen hat. Denn insoweit kommt die Integrationskomponente, auf die auch die Begründung zum Entwurf der Vorschrift abhebt (BT-Drucks. 13/2746, S. 15), nicht mehr zum Tragen. Diese soll es nach Ablauf von 36 Monaten des Leistungsbezugs in niedriger Höhe dem Leistungsberechtigten ermöglichen, sich durch öffentliche Mittel in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Bei nachhaltiger Unterbrechung steht der Leistungsberechtigte jedoch ebenso da wie einer, der die Leistungen noch nicht 36 Monate bezogen hat. Soweit das OVG Niedersachsen und ihm folgend die Verwaltungsgerichte (VG Ansbach (Beschluss vom 11. November 2003 - AN 13 E 03.01779 - <juris> und Hannover (Beschluss vom 15. Juni 2004 - 7 B 2809/04 -) entschieden haben, dass eine nachhaltige Unterbrechung einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfordert, sieht das Gericht darüber hinaus gehend auch dann, wenn während eines nur kurzfristigen Aufenthalts in einem Drittstaat ein Asylantrag gestellt wird, ebenfalls eine nachhaltige Unterbrechung als gegeben.