VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.05.2008 - 13 S 499/08 - asyl.net: M13369
https://www.asyl.net/rsdb/M13369
Leitsatz:

Eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG hat zwar selbst keine konstitutive Wirkung, kann aber als öffentliche Urkunde Beweis erbringen über die Frage, ob und wann ein Ausländer einen (mündlichen) Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt hat.

 

Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, Fiktionsbescheinigung, öffentliche Urkunde
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AuslG § 69 Abs. 2 S. 3; AufenthG § 81 Abs. 5; VwGO § 98; ZPO § 417; ZPO § 415 Abs. 1; ZPO § 418 Abs. 1
Auszüge:

Eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG hat zwar selbst keine konstitutive Wirkung, kann aber als öffentliche Urkunde Beweis erbringen über die Frage, ob und wann ein Ausländer einen (mündlichen) Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt hat.

(Amtlicher Leitsatz)

 

In der Sache kann die Beschwerde allerdings keinen Erfolg haben; die Überprüfung der im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf die der Senat als Beschwerdegericht beschränkt ist (siehe § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und die gleichzeitig ergangene Abschiebungsandrohung (Verfügung der Antragsgegnerin vom 13.7.2007) hätte stattgeben müssen.

1. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das statthafte verwaltungsgerichtliche Eilverfahren im vorliegenden Fall ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO ist. Zweifel könnten sich insofern daraus ergeben, dass nach der letzten dem Antragsteller erteilten Aufenthaltserlaubnis (Verfügung vom 15.8.2003, Geltungsdauer bis zum 31.12.2003) in den dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten kein ausdrücklich gestellter Verlängerungsantrag auffindbar ist; dem Antragsteller wurden vielmehr am 18.12.2003 und danach bis zum Jahr 2007 lediglich sog. Fiktionsbescheinigungen nach § 69 Abs. 2 Satz 3 AuslG bzw. § 81 Abs. 5 AufenthG erteilt. Beim Fehlen eines (rechtzeitigen) Aufenthaltserlaubnisantrags käme zur Sicherung des weiteren Aufenthalts nicht das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in Betracht (siehe dazu z.B. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.11.2007 - 11 S 2364/07 -, InfAuslR 2008, 81 m.w.N.). Allerdings hat die Antragsgegnerin auf entsprechende Anfrage des Senats darauf hingewiesen, es sei bei der Ausländerbehörde ständige Praxis, bei einer behördlichen Vorsprache des Ausländers die Fiktion „auszustellen“, auch wenn hierbei keine förmlichen Anträge ausgefüllt würden. In der Tat ergibt sich aus den Verwaltungsakten, dass der Antragsteller noch während der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis, also vor dem 31.12.2003, Unterlagen über sein Arbeitsverhältnis eingereicht hat (Bescheinigungen vom 17.12. und 10.12.2003). Wenn auch eine Vorsprache des Antragstellers bei der Ausländerbehörde in dem hier fraglichen Zeitraum nicht dokumentiert ist, wird doch davon auszugehen sein, dass der am 18.12.2003 nach der damals geltenden Vorschrift des § 69 Abs. 3 AuslG "erteilten" Fiktionsbescheinigung ein entsprechender mündlicher Aufenthaltserlaubnisantrag zugrunde liegt, der die weitere Fiktion auslösen konnte (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis waren nach dem damals geltenden Recht des AuslG nicht formgebunden, wenn auch durch Verwaltungsvorschrift bestimmte Vordrucke zu verwenden waren (siehe § 66 Abs. 1 Satz 1 AuslG und Nr. 69.02 der VwV zu § 69 AuslG vom 28.6.2000, GMBl. S. 618); das gleiche galt ab 1.1.2005 unter der Geltung des AufenthG (siehe § 77 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Ziff. 81.1 der vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG). Die dem Antragsteller über mehrere Jahre hinweg ausgestellten Fiktionsbescheinigungen hatten allerdings keine konstitutive Wirkung, d.h. aus ihnen allein kann die für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO notwendige Fiktionswirkung des Antrags (siehe VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.11.2007 a.a.O.) nicht selbst abgeleitet werden (siehe BVerwG, Urteil vom 3.6.1997 - 1 C 7/96 -, NVwZ 1998, 185: kein feststellender oder rechtsgestaltender Verwaltungsakt, sondern lediglich eine Bescheinigung, die nicht hindert, auf die wahre Rechtslage zurückzugreifen; ebenso OVG Bremen, Beschluss vom 8.1.2004 - 1 B 411/03 -, InfAuslR 2004, 154; Senat, Beschluss vom 21.7.2004 - 13 S 1532/04 -, InfAuslR 2004, 393 und Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Rn 55 zu § 81). Das ändert aber nichts daran, dass es sich bei diesen Bescheinigungen um öffentliche Urkunden handelt, die als solche geeignet sind, vollen Beweis zu begründen. Mangels Regelungscharakters der Fiktionsbescheinigungen (s. oben) wird dabei nicht von § 417 ZPO (i.V. mit § 98 VwGO) auszugehen sein (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2007, Rn 1 zu § 417), wohl aber betreffen sie eine "vor der Behörde... abgegebene Erklärung" im Sinn des § 415 Abs. 1 ZPO bzw. bezeugen eine Tatsache im Sinn des § 418 Abs. 1 ZPO (jeweils i.V. mit § 98 VwGO). Die Antragsgegnerin hat die Fiktionsbescheinigungen der Jahre 2003 bis 2007 jeweils innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse in der vorgeschriebenen Form erteilt (zur Form der Fiktionsbescheinigungen siehe Nr. 69.0.9.2 VWV zum AuslG a.a.O. und Nr. 81.5.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise zu § 81). Danach wird dem Inhaber der Bescheinigung bestätigt, dass er bei der Behörde "die Erteilung/Verlängerung eines Aufenthaltstitels beantragt" hat; die Bescheinigung wird damit im Sinn des § 415 Abs. 1 ZPO "über eine vor der Behörde abgegebene Erklärung errichtet". Mindestens liegt in der Bescheinigung über die Antragstellung und deren Wirkungen eine "Bezeugung" der Tatsache einer Antragstellung (vgl. § 418 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 98 VwGO). Der Gegenbeweis ist zwar zulässig (§§ 415 Abs. 2, 418 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 98 VwGO), hier aber nicht erbracht.

2. In dem danach statthaften gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht allerdings zu Recht entschieden, dass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner bis zum 31.12.2003 gültigen Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt; die hiergegen erhobenen Einwände des Antragstellers führen nicht zum Erfolg.