VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 05.05.2008 - A 1 K 1240/06 - asyl.net: M13374
https://www.asyl.net/rsdb/M13374
Leitsatz:

Asylanerkennung für Anhängerin von Falun Gong.

 

Schlagwörter: China, Falun Gong, Demonstrationen, Festnahme, Umerziehung, Folter
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für Anhängerin von Falun Gong.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat als politisch Verfolgte nach Art. 16 a Abs. 1 GG Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Damit liegen bei ihr auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vor, weshalb ihr auch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 6 AufenthG).

Die Klägerin hat eine Vorverfolgung in diesem Sinne glaubhaft dargelegt. Sie hat sich am 21.07.1999 zusammen mit ihrer Tochter und anderen Falun Gong-Anhängern zu ihrer Provinzregierung begeben, um gegen die Unterdrückungsmaßnahmen der chinesischen Regierung gegenüber Falun Gong zu demonstrieren. Dabei ist sie in Wutan ein Tag festgehalten und im Anschluss daran nach Huanggang gebracht worden. Von dort aus ist sie nach Hause entlassen worden. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung sind ihre Bücher über Falun Gong abgenommen worden. Im Oktober 1999 machte sich die Klägerin nach Peking auf, um gegen das Verbot von Falun Gong zu protestieren. Ebenso wie ihre Tochter ist die Klägerin, unabhängig von ihr, in Peking dann festgenommen, nach Huanggang gebracht und dort einen Monat im Untersuchungsgefängnis festgehalten worden. Während dieser Zeit ist die Klägerin auch misshandelt worden. Ein drittes Mal wurde die Klägerin am 18.06.2000 in Huanggang 15 Tage festgehalten und im Anschluss daran zu einem 15 Tage dauernden Umerziehungskurs gebracht worden. In der Folgezeit, z.B. am 17.07.2001, zwei Tage vor dem Neujahrsfest 2002, im Herbst 2003, ist es zu Hausdurchsuchungen bei der Klägerin gekommen. Ferner hat die Klägerin bis zu ihrer Ausreise Flugblätter für Falun Gong verteilt, wobei sie dies nur in äußerst konspirativer Weise tun konnte, da sie unter ständiger Beobachtung der Polizei gestanden hat. Als sie schließlich erfahren hat, dass sie erneut zum Besuch eines Umerziehungskurses gezwungen werden sollte, ist die Klägerin zu ihrer hier im Bundesgebiet lebenden Tochter geflohen, um den mit dem "Gehirnwäschekurs" einhergehenden Misshandlungen zu entgehen.

Das erkennende Gericht ist davon überzeugt, dass der Vortrag der Klägerin der Wahrheit entspricht. Sie hat ihr Verfolgungsschicksal anschaulich und detailliert geschildert. Für die Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens spricht auch, dass es in vollem Umfang der Auskunftslage, wie sie sich aufgrund der in die mündliche Verhandlung eingeführten Informationen ergibt, entspricht (vgl. Lageberichte des AA vom 08.11.2005 und vom 18.03.2008, Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.11.2006 an Bayrischen VGH, Auskunft des AA vom 09.02.2006 an VG Chemnitz, Prof. Dr. Oskar Weggel vom 14.01.2006 an VG Chemnitz, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Falun Gong September 2006; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "Organraub" an Falun Gong-Häftlingen; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Menschenrechte März 2006 und Asylverfahren Januar 2006; Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: China 6. Parteien und Organisationen Juni 2002/Falun Gong; amnesty international, Jahresberichte 2005 - 2007; ai vom 17.08.2004: Falun Gong). Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 18.03.2008 aus: "Wer Falun Gong öffentlich oder auch in Gruppen Gleichgesinnter praktiziert, kann in der VR China festgenommen und, sofern er sich nicht - aus Sicht der chinesischen Sicherheitsbehörden - glaubwürdig von der Bewegung distanziert, ohne Gerichtsverfahren in ein Umerziehungslager überstellt werden. Der Gruppierung wird eine große Zahl staatsgefährdender Delikte sowie anderer Straftaten vorgeworfen. Teilweise werden auch lediglich praktizierende einfache Anhänger diesen Maßnahmen unterworfen. In Fällen "glaubwürdiger Reue und Einsicht" kann nach einem Aufenthalt in einem Umerziehungslager der "Umerziehungserfolg" festgestellt werden. Die betreffende Personen werden dann in das Privatleben entlassen. Eine fortgesetzte Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden ist jedoch zu unterstellen ... Bisher kam es zu Festnahmen von über 1.000 Falun Gong-Anhängern. Zahlreiche ihrer Führer wurden landesweit zu Haftstrafen verurteilt, auch über Verhaftungen ohne Verurteilung ohne Zwangseinweisung in psychiatrische Anstalten wurde von Menschenrechtsorganisationen berichtet. ..." Das erkennende Gericht hat bereits mit rechtskräftigen Urteilen vom 22.01.2002 - A 1 K 10493/01 und vom 20.08.2004 A 1 K 10963/04 - die gleichen Feststellungen getroffen und hält aufgrund der Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel an seiner Rechtsauffassung fest, dass derjenige, der in China so öffentlichkeitswirksam wie die Klägerin für Falun Gong eintritt und bereits einmal festgenommen und misshandelt worden ist auch bei einer Rückkehr nach China nach wie vor mit ähnlichen Erlebnissen rechnen muss. Unabhängig davon, ob Falun Gong mit einer Religion vergleichbar ist oder nicht, werden ihre Anhänger jedenfalls wegen vom chinesischen Staat vermuteter staatsfeindlicher Aktivitäten verfolgt (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008, 08.11.2005, 15.11.2004, 17.09.2002, Auskünfte des AA vom 06.11.2006 an Bayrischen VGH und vom 09.02.2006 an VG Chemnitz; Jahresberichte amnesty international 2005 - 2007). Das Verbot der Falun Gong erging aus der Sicht des chinesischen Staates wegen staatsfeindlicher Aktivitäten und richtet sich maßgeblich gegen eine nicht der kommunistischen Partei unterstehende Gruppierung und gegen die als Staatsgefährdung angesehene Vorgehensweise der Falun Gong (so schon Auskunft des AA vom 17.05.2000 an VG Karlsruhe und durchgehend die oben zitierten Lageberichte).