LG Braunschweig

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Zitieren als:
LG Braunschweig, Beschluss vom 08.05.2008 - 3 T 559/07 - asyl.net: M13376
https://www.asyl.net/rsdb/M13376
Leitsatz:

Ein Ausländer kann ggf. auch nach Jahren sofortige Beschwerde gegen einen nicht wirksam bekanntgemachten Haftbeschluss einlegen, jedenfalls wenn er wegen Inanspruchnahme für die Abschiebungskosten ein Rechtsschutzinteresse daran besitzt.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, einstweilige Anordnung, sofortige Beschwerde, Frist, Bekanntmachung, Zustellung, Bekanntmachung zu Protokoll, Anhörung, Rechtsschutzinteresse, Verwirkung, Abschiebungskosten
Normen: FGG § 22 Abs. 1; FGG § 16 Abs. 2; FGG § 16 Abs. 3; FEVG § 11 Abs. 2; FEVG § 8 Abs. 1
Auszüge:

Ein Ausländer kann ggf. auch nach Jahren sofortige Beschwerde gegen einen nicht wirksam bekanntgemachten Haftbeschluss einlegen, jedenfalls wenn er wegen Inanspruchnahme für die Abschiebungskosten ein Rechtsschutzinteresse daran besitzt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 22 Abs. 1 S. 1 FGG war nicht verstrichen, weil die Frist erst mit der Bekanntgabe beginnt (§ 22 Abs. 1 S. 2 FGG) und der Beschluss vom 19.04.2004 nicht wirksam bekannt gemacht wurde. Der Beschluss ist dem Betroffenen weder nach § 16 Abs.2 FGG zugestellt worden noch im Anhörungstermin vom 30.04.2004 nach § 16 Abs.3 FGG zu Protokoll bekannt gemacht worden. Der Beschluss vom 19.04.2004 wurde dem Betroffenen zwar am 30.04.2004 vom Dolmetscher übersetzt. Die Bekanntmachung nach § 16 Abs.3 FGG setzt aber voraus, dass die Entscheidung des Gerichts wörtlich in das Protokoll übernommen wird (Keidel/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 16 Rn. 25). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben. Der Beschluss vom 19.04.2004 hätte zu diesem Zweck zumindest als Anlage zum Protokoll genommen werden müssen.

Die Tatsache, dass der Betroffene erst 2007 gegen den Beschluss vom 19.04.2004 sofortige Beschwerde eingelegt hat, stellt keinen Missbrauch seiner prozessualen Rechte dar. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dem von den Beteiligten diskutierten Beschluss vom 14.12.2004 mit Recht darauf hingewiesen, dass die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstoßen kann (2 BvR 1451/04, zitiert nach juris, dort Rn.22). Jedoch betrifft diese Rechtsprechung Fallgestaltungen, bei denen ein unbefristeter Rechtsbehelf lange Zeit nicht genutzt wird. Es erscheint zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung auf den konkreten Fall übertragen werden kann, weil es sich bei der sofortigen Beschwerde um ein befristetes Rechtsmittel handelt, dessen Geltendmachung aktuell nur deshalb noch möglich ist, weil der zugrunde liegende Beschluss nicht wirksam bekannt gemacht wurde.

Unabhängig davon hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls darauf hingewiesen, dass das Rechtsschutzinteresse fortbesteht, solange der Rechtsschutzsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann (BVerfG, aaO.). Der Betroffene wird aktuell von der ZAAB Braunschweig vor dem Verwaltungsgericht auf Erstattung der Abschiebekosten in Anspruch genommen. Vor diesem Hintergrund kann dem Betroffenen ein Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung nicht versagt werden.

Das Rechtsmittel ist auch begründet; Nach §§ 11 Abs. 2 S. 1., 8 Abs. 1 S. 1 FEVG wird eine Entscheidung, die eine Freiheitsentziehung anordnet, erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam. Der Beschluss vom 19.04.2004 war zum Zeitpunkt der Inhaftierung indes nicht rechtskräftig. Von der Möglichkeit, nach §§ 11 Abs.2 S.1, 8 Abs.1 S.2 FEVG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen, hat das Amtsgericht keinen Gebrauch gemacht.